| # taz.de -- Sharing Economy: Was müssen wir noch besitzen? | |
| > Junge Unternehmer arbeiten an einem Wirtschaftsmodell, in dem das Teilen | |
| > das Kaufen ersetzen soll. Klingt vernünftig – aber wollen wir das auch? | |
| Bild: Zahnbürsten teilt man eher ungern. Je weniger intim, desto besser aber f… | |
| Das Teilen ist eigentlich eine uralte Sache. Warum tun seit einigen Monaten | |
| bloß alle so, als sei das etwas völlig Neues? Die New York Times findet | |
| sogar, Teilen zähle zu den zehn Dingen, die unsere Welt verändern werden. | |
| Der gemeinschaftliche Konsum, das Teilen und Tauschen von Auto, Wohnung, | |
| Trampolin oder Pullovern wird beliebter. Laut einer Bitkom-Studie von 2012 | |
| teilen 17 Prozent der deutschen Internetnutzer Gegenstände oder ihre | |
| Wohnung über Online-Plattformen. Das sind immerhin 9 Millionen Menschen. | |
| Und 85 Prozent können sich das grundsätzlich vorstellen. | |
| Wissenschaftler wie Michael Kuhndt sehen darin Zeichen eines ganz neuen | |
| Lebensstils. „Besitz wird zunehmend als Belastung empfunden“, sagt er, und | |
| „Status-Symbole fallen“. Eine Kultur des Teilens könne sogar unsere | |
| Industrie verändern, so dass sich dort langlebigere Produkte durchsetzen. | |
| Unseren Konsumstil, der die Wirtschaft antreibt, würde das auf lange Sicht | |
| infrage stellen. Seit der Nachkriegszeit schließlich verschreiben uns | |
| Regierung und Wirtschaft das Wachstum als Allheilmittel: kaufen, kaufen, | |
| kaufen. Wehe der Wert des BIP sinkt im Vergleich zum Vorjahr. | |
| Eine Generation von jungen Unternehmern sagt jetzt, der Markt sei längst | |
| gestättigt. Sie versprechen genau so viel Spaß - aber weniger | |
| Verschwendung. Wenn wir Dinge lieber teilen, leihen oder austauschen, statt | |
| sie zu kaufen. | |
| Teilen ist im Internet auf Facebook, Twitter und Google+ schon lange zum | |
| Programm geworden. Die Bereitschaft, Informationen zu teilen wächst – | |
| überträgt sich aber auch auf Dinge aus Holz und Stein. | |
| Seit Urzeiten teilen die Menschen Essen, Wohnraum und was sie sonst noch | |
| zum Leben brauchen mit anderen Menschen – ohne das Gefühl zu haben, dafür | |
| etwas zurückgeben zu müssen. Für den US-Anthropologen David Graeber ist | |
| Teilen gar der Naturzustand. | |
| Und jetzt soll das plötzlich der neueste Shit sein? | |
| ## Interessant weil nicht mehr alltäglich | |
| Vielleicht wird das Teilen gerade auch deshalb wieder so interessant und | |
| bedeutsam, weil es nicht mehr alltäglich ist, glauben die Autoren einer | |
| aktuellen Studie namens „Sharity“ des Gottlieb Duttweiler Instituts in der | |
| Schweiz. Wachsender Wohlstand, sinkende Preise und die Massenproduktion | |
| haben es ab den 50er Jahren immer mehr Menschen ermöglicht, die Objekte | |
| ihrer Begierde zu kaufen und für sich alleine zu nutzen. | |
| Einkind-Familien und Einpersonen-Haushalte nahmen zu – und die Anzahl der | |
| Menschen, mit denen man Dinge teilt, ab. Teilen wird immer mehr zu etwas | |
| Besonderem, so die Autoren, das man bewusst tut, bis hin zum demonstrativen | |
| Akt. | |
| Aber tun wir das wirklich gerne? Und tun wir es auch wirklich – wenn es | |
| darauf ankommt? | |
| ## Mehr Erfolg | |
| Immerhin ist es so: Forscher wie der Soziobiologe Edward O. Wilson sind | |
| sich darin einig, dass auf lange Sicht Menschen und Gruppen erfolgreicher | |
| sind, wenn sie teilen. | |
| Schrumpfende Ressourcen zwingen uns ohnehin, wieder mehr zu teilen, schrieb | |
| Elinor Ostrom in ihrem Buch „Was mehr wird, wenn wir teilen“ (2011). Die | |
| US-Wissenschaftlerin erforschte Gemeinschaften, die ihren ökonomischen | |
| Alltag jenseits von Markt und Staat selbst regulieren, 2009 bekam sie dafür | |
| den Wirtschaftsnobelpreis. | |
| Bei Essen, na klar, kein Problem. Ein Picknick im Park, jeder bringt was | |
| mit - ist doch großartig. Und wenn die Nachbarin klingelt, weil sie einen | |
| Kuchen backen will, aber kein Rührgerät hat, dann leiht man das auch schon | |
| mal aus. Wenn man darauf vertraut, dass die Griffe nicht klebrig sind, wenn | |
| sie es zurückbringt, und dass man ihr nicht hinterherlaufen muss. | |
| Aber würden wir uns auch einen Laptop teilen? Oder einem Freund die | |
| Wanderschuhe für den Urlaub im Gebirge leihen, in denen eine Woche lang | |
| seine Schweißfüße stecken? Oder einer Freundin die Unterhose oder die | |
| Zahnbürste leihen, wenn sie spontan übernachtet? | |
| ## Der Haben-Wollen-Reflex | |
| Je persönlicher und intimer es wird, je mehr es um Status geht, desto mehr | |
| setzt der alte Reflex des Haben wollens ein. | |
| Genau diesen Reflex wollen junge Online-Unternehmer jetzt überwinden. Auch | |
| indem sie auf Online-Plattformen zeigen, wem man vertrauen kann. | |
| In der Titelgeschichte „Die neuen Habenichtse“ der taz.am wochenende | |
| stellen wir drei Unternehmer vor, die mit dem Teilen das Zeitalter des | |
| Haben-Wollens überwinden möchten. Einige würden mit der Idee sogar gern das | |
| Wirtschaftssystem zerstören. Ein anderer sagt, wir würden in Zukunft nicht | |
| mehr an einem Ort leben, sondern sechs Monate an einem Ort: "Dazu brauche | |
| ich nichts. Abgesehen von meiner ID-Card und meinem sozialen Netzwerk. Und | |
| meinen Erinnerungen." | |
| Eine Illusion? Schließlich liegt der Anteil der sogenannten Sharing-Economy | |
| an der Gesamtwirtschaft noch im Promillebereich, schwer messbar. Und | |
| dennoch: Etablierte Konzerne fühlen sich angegriffen – und ergreifen | |
| Gegenmaßnahmen. | |
| Kann man also auf die neuen Sharing-Unternehmer hoffen? Was teilen Sie | |
| selbst gerne? Und was gar nicht? Was bringt Ihnen das Teilen? Ein gutes | |
| Gefühl? Mehr Geld? Was müssen wir noch besitzen? | |
| Diskutieren Sie hier auf taz.de und auf | |
| [1][//www.facebook.com/taz.kommune:facebook.com/taz.kommune]. Die | |
| Titelgeschichte „Die neuen Habenichtse“ lesen Sie in der [2][taz.am | |
| wochenende vom 1./2. Juni 2013]. | |
| 31 May 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://https | |
| [2] http://bit.ly/17vqaM6 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Maria Amberger | |
| ## TAGS | |
| Teilen | |
| Tauschen | |
| Internet | |
| Online | |
| Share Economy | |
| Wirtschaft | |
| Sven Regener | |
| Bezahlmodell | |
| Lebensmittel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Unterwegs als Kurierfahrer bei „Foodora“: Radeln against the Machine | |
| Zwei Monate hat sich unser Autor als Fahrradkurier in der Share Economy | |
| verdingt. Er lernte, wie man einen Algorithmus austrickst. | |
| Was wollen wir teilen?: Selbst das Gartentrampolin | |
| Wir müssen nicht kaufen, was wir uns auch leihen können. Aber wo liegen die | |
| Grenzen der Sharing Economy? Wir haben mit Nutzern gesprochen. | |
| Filesharing und Musikdownloads: Windige Anwälte | |
| Die Initiative „Don’t Fuck with Music“ setzt sich für die Urheberrechte … | |
| Musikern ein. Im Netz wird sie als Helferin von Abmahnanwälten kritisiert. | |
| Flattr-Chef über Paywalls: „Wir respektieren die Privatsphäre“ | |
| Linus Olsson über den Onlinespendendienst Flattr, eine Revolution, die | |
| ausgeblieben ist, und die deutsche Diskussion über Paywalls. | |
| Lebensmittel müssen nicht im Müll landen: Esst mehr Abfälle! | |
| Bis zu 15 Millionen Tonnen Lebensmittel landen jährlich in Deutschland auf | |
| dem Müll. Eine Internetplattform will das ändern und hilft beim Verteilen. |