| # taz.de -- Flüchtlingspolitik der EU: Davutoğlus Wunschkonzert | |
| > Beim Gipfel in Brüssel streiten sich alle. Die türkische Regierung nutzt | |
| > die Situation und erweitert ihren Forderungskatalog. | |
| Bild: Alle Welt schaut nach Idomeni, aber die Hilfe bleibt aus | |
| Es sollte ein kurzer Sondergipfel werden. Beim Mittagessen in Brüssel | |
| wollten Kanzlerin Angela Merkel und die anderen EU-Chefs mit dem türkischen | |
| Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu einen neuen Deal zur Flüchtlingskrise | |
| vereinbaren. Alles war bis ins Detail abgesprochen. Doch dann platzte die | |
| feinziselierte Regie, mit der Merkel vor den Landtagswahlen am Wochenende | |
| punkten wollte. | |
| Erst gab es Streit über die Abriegelung der Balkanroute. „Die Balkanroute | |
| ist geschlossen“, hatten die EU-Botschafter (auch der deutsche) in den | |
| Entwurf für die Gipfel-Schlussfolgerungen geschrieben. Merkel wollte das | |
| plötzlich nicht mehr durchgehen lassen. „Es kann nicht sein, dass | |
| irgendetwas geschlossen wird“, sagte die Kanzlerin zu Beginn der Brüsseler | |
| Krisenrunde. | |
| Dann hatte Davutoğlu seinen großen Auftritt. In letzter Minute, so | |
| berichten EU-Diplomaten, habe der türkische Regierungschef neue, brisante | |
| Forderungen aus der Tasche gezogen. Nun wollte er nicht mehr zu seiner | |
| Zusage stehen, nicht asylberechtigte, „illegale“ Flüchtlinge aus | |
| Griechenland zurückzunehmen. | |
| Außerdem legte Davutoğlu einen Wunschkatalog vor: Für jeden | |
| zurückgenommenen „Illegalen“ solle die EU einen „legalen“ Flüchtling | |
| aufnehmen. Von 200.000 pro Jahr war die Rede. Über fünf Jahre würde das die | |
| Umsiedlung von einer Million Migranten aus der Türkei nach Europa bedeuten. | |
| Außerdem solle die EU dafür jährlich mindestens 2 Milliarden Euro zahlen. | |
| Bisher war nur von 3 Milliarden die Rede, für zwei Jahre. | |
| ## Schnellerer Beitritt | |
| Mehr noch: Die Türkei fordert auch, die EU-Beitrittsverhandlungen zu | |
| beschleunigen – zwei Tage, nachdem sie die größte Oppositionszeitung | |
| geschlossen und so EU-Grundwerte mit Füßen getreten hatte. Zudem möchte sie | |
| die geplante Visa-Erleichterung ausweiten. Nicht nur Geschäftsleute, | |
| sondern möglichst alle Türken sollen visafrei nach Europa einreisen können. | |
| Für die meisten EU-Chefs kamen die neuen Forderungen völlig überraschend. | |
| Nur Merkel war im Bilde, schließlich hatte sie die halbe Nacht vor dem | |
| Gipfel mit Davutoğlu vorverhandelt. Die Kanzlerin habe bereits zugesagt, | |
| für jeden „illegalen“ Migranten, der in die Türkei zurückgeschickt wird, | |
| einen „legalen“ nach Europa zu holen, hieß es. Eine offizielle Bestätigung | |
| war dafür nicht zu finden. | |
| Wie Merkel forderte auch Kommissionschef Jean-Claude Juncker, die | |
| umstrittene Passage zur Balkanroute zu ändern. Österreichs Kanzler Werner | |
| Faymann wiederum kündigte Widerstand gegen eine Neufassung an. Selbst | |
| Frankreichs Staatschef François Hollande sagte, die Balkanroute sei zu, | |
| dies sei ein Fakt. | |
| So waren die Fronten bei diesem Gipfel verhärtet. Merkel stand fast allein | |
| gegen den Rest der Europäer. Die Hardliner aus Osteuropa hatten ihre | |
| Grenzen dicht gemacht und wollten daran auch nicht mehr rütteln. Europa | |
| müsse dürfe niemanden ohne Registrierung oder Erlaubnis einreisen lassen, | |
| sagte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Jeder Plan, Menschen aus der | |
| Türkei oder Griechenland umzusiedeln, ziehe nur noch mehr Einwanderung an. | |
| ## Einigung über Lesbos | |
| Derweil hatte die Nato noch kurz vor Beginn des EU-Türkei-Gipfels erklärt, | |
| dass sie ihren Einsatz gegen Flüchtlinge und Schlepper in der Ägäis starten | |
| könne. Das Militärbündnis habe mit Ankara und Athen entscheidende | |
| Formalitäten geklärt. Das heißt: Das deutsche Flaggschiff des zuständigen | |
| Nato-Verbands darf nun auch türkische Gewässer befahren. Es sei auf dem Weg | |
| in sein Einsatzgebiet zwischen der griechischen Insel Lesbos und der | |
| türkischen Küste. Retten sie während des Einsatzes schiffbrüchige | |
| Flüchtlinge, werden sie diese in die Türkei zurückbringen – „unabhängig… | |
| Ort der Seenotrettung“, wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums | |
| sagte. | |
| Zuletzt hatte sich die Regierung in Ankara geweigert, Flüchtlinge | |
| aufzunehmen, die die Nato aus griechischen Gewässern rettet. Rechtliche | |
| Bedenken gegen die Vereinbarung wies das Verteidigungsministerium zurück. | |
| „Alle Dinge, die wir machen, sind nach geltendem nationalen und | |
| internationalen Recht“, sagte ein Sprecher. | |
| Aus dem Verteidigungsministerium hieß es, die Gewässer vor Lesbos seien nur | |
| ein „erstes Operationsgebiet“, auf das man sich mit der Türkei geeinigt | |
| haben. Ob die Nato-Schiffe in Zukunft auch weitere Gebiete befahren dürfen, | |
| ist demnach offen. Unklar ist außerdem, ob die Türkei auch Flüchtlinge | |
| aufnimmt, die die griechische Küstenwache oder die EU-Agentur Frontex in | |
| griechischen Gewässern aufhält. | |
| 7 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Eric Bonse | |
| Tobias Schulze | |
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