| # taz.de -- EU-Türkei-Gipfel: Ein Wunschlos-glücklich-Paket | |
| > Was passiert mit der Balkanroute? Was schlägt die Türkei vor? Wovon | |
| > profitiert die Europäische Union? Eine Übersicht in Fragen und Antworten. | |
| Bild: Ratspräsident Donald Tusk begrüßt den türkischen Ministerpräside… | |
| Was ist das Ergebnis des EU-Gipfels mit der Türkei – und wie ist es | |
| zustande gekommen? | |
| Der Sondergipfel ging mit einem „Statement“ zu Ende. Es greift fast alle | |
| Punkte auf, die Kanzlerin Merkel und Ministerpräsident Davutoğlu in einem | |
| separaten Vortreffen am Sonntagabend ausgekungelt hatten. Merkel behauptet, | |
| Davutoğluhabe seine Wünsche „auf einem Zettel“ aufgeschrieben und selbst | |
| erarbeitet. Daran zweifeln allerdings viele EU-Experten – sie wollen die | |
| Handschrift der Kanzlerin erkennen. Einige EU-Chefs sollen sich denn auch | |
| über Merkels Coup beschwert haben, Ungarns Viktor Orbán drohte sogar mit | |
| Veto. Doch am Ende kam es gar nicht zur Abstimmung – man einigte sich | |
| darauf, alle strittigen Fragen auf den nächsten Gipfel zu verschieben. | |
| Was wird aus der sogenannten Balkanroute? | |
| Sie ist nicht geschlossen, sagte Merkel zu Beginn des Gipfels. Am Ende | |
| tauchte die umstrittene Formulierung denn auch nicht mehr auf, die | |
| Kanzlerin hatte sich in dieser Frage durchgesetzt. Allerdings willigte | |
| Merkel dem neuen Passus zu, wonach „irreguläre Migrantenströme auf der | |
| Balkanroute nun zu einem Ende gekommen“ sind. Mehr noch: Im Gipfelpapier | |
| heißt es nun, dass „die Migrationskrise in Europa beendet“ werden soll. | |
| Nicht nur die Balkanroute ist zu, ganz Europa schottet sich ab. | |
| Worüber wird noch verhandelt, welche Punkte wurden vertagt? | |
| Verhandelt wird noch über die Frage, wie viel zusätzliches Geld die Türkei | |
| für ihre Zusammenarbeit bekommen soll. Zunächst war von mehr als 10 | |
| Milliarden Euro die Rede, am Ende nur noch von weiteren 3 Milliarden. | |
| Vertagt wurde die Frage, ob und wie „legale“ Flüchtlinge aus der Türkei | |
| nach Europa umgesiedelt werden können. Bisher hat sich nicht einmal | |
| Deutschland offiziell zu diesen neuen Kontingenten bekannt. Und die meisten | |
| EU-Staaten – nicht nur die Osteuropäer – lehnen die Aufnahme weiterer | |
| Flüchtlinge ab. Beim nächsten EU-Gipfel dürfte es darüber zum großen Streit | |
| kommen. | |
| Was verbirgt sich hinter der Eins-zu-eins-Formel? | |
| Was die Regierung in Ankara konkret vorschlägt, ist nicht bekannt. In der | |
| Gipfelerklärung heißt es lediglich, dass „für jeden Syrer, der von der | |
| Türkei von den griechischen Inseln zurückgenommen wird, ein anderer Syrer | |
| aus der Türkei in die EU-Staaten umgesiedelt“ werden soll. Diese „legalen�… | |
| Flüchtlinge sollten aus Flüchtlingslagern kommen und nicht selbst | |
| entscheiden können, in welches EU-Land sie geschickt werden, hieß es beim | |
| Gipfel in Brüssel. Es dürfte daher zu streng bewachten Zwangsverschickungen | |
| kommen – von den griechischen Inseln in die Türkei, und aus türkischen | |
| Lagern in EU-Länder. Deutschland soll dabei nicht mehr das einzige Zielland | |
| sein. | |
| Worin liegen hierbei die Vorteile für die EU? | |
| Sie könnte „die Flüchtlingskrise in Europa beenden“, wie die EU-Chefs in | |
| ihrem Gipfelpapier freudig feststellen. Außerdem würde die EU ihre | |
| Asylpolitik de facto in die Türkei auslagern. Wenn alle EU-Staaten | |
| mitmachen, könnte sogar eine solidarische Umverteilung der Asylbewerber in | |
| Gang kommen. Dies haben Merkel und die EU-Kommission immer wieder | |
| gefordert. Doch bisher leisten die meisten EU-Staaten Widerstand. Offen ist | |
| derzeit, was mit Irakern und Afghanen geschieht. | |
| Wie ist das mit EU-Recht vereinbar? | |
| Wohl kaum. Solange die Türkei nicht zum sicheren Drittland erklärt wird, | |
| verstößt die pauschale Abschiebung von Schutzsuchenden gegen geltendes | |
| Asylrecht, kritisierte die grüne Europaabgeordnete Barbara Lochbihler. Das | |
| hat auch Filippo Grandi, Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, | |
| bekräftigt. Die EU-Kommission behauptet dennoch, alles sei rechtlich in | |
| Ordnung. | |
| Was bietet die EU der Türkei? | |
| Ein Wunschlos-glücklich-Paket. Die EU will nicht nur die Rückführung der | |
| Flüchtlinge aus Griechenland in die Türkei finanzieren, sondern noch | |
| weitere Milliardenhilfen obendrauf geben. Zudem sollen „so schnell wie | |
| möglich“ neue Verhandlungskapitel für den EU-Beitritt geöffnet werden. Das | |
| Sahnehäubchen ist die Zusage, die ursprünglich für Herbst geplante | |
| Visaliberalisierung zu beschleunigen – sie soll nun „spätestens Ende Juni�… | |
| kommen. Das war das Hauptanliegen der Türkei; schon im Sommer könnten alle | |
| Türken visafrei nach Europa reisen. | |
| Was ist mit den Menschenrechten in der Türkei? | |
| Nichts. Man habe darüber gesprochen, sagte Merkel nach dem Gipfel zwar. | |
| Doch in der EU-Erklärung heißt es lapidar: „Die Staats- und Regierungschefs | |
| haben mit dem türkischen Premierminister auch die Lage der Medien in der | |
| Türkei diskutiert.“ Konsequenzen? Keine. | |
| Was sagen die stets lautstarken politischen Kritiker zu dem Deal? | |
| Sie sprechen von „Erpressung“ und einem „Ausverkauf europäischer Werte�… | |
| Kritik kommt auch aus der CSU: Man dürfe die Zukunft Deutschlands nicht vom | |
| Wohlwollen der Türkei abhängig machen, kritisiert der CSU-Europaabgeordnete | |
| Markus Ferber. Sein Fraktionschef Manfred Weber wagte es hingegen nicht, | |
| die Kanzlerin offen zu kritisieren. Auch EU-Parlamentspräsident Martin | |
| Schulz (SPD) schweigt. | |
| Stehen Merkel, der amtierende Ratspräsident Rutte und Kommissionschef | |
| Juncker jetzt alleine da? | |
| Sie fühlen sich als Sieger und als Retter der viel beschworenen | |
| „europäischen Lösung“. Sie habe sich nie allein gefühlt, sagte Merkel �… | |
| da ist auch etwas dran: Denn statt der geplatzten „Koalition der Willigen“ | |
| stehen nun alle 28 EU-Staaten mehr oder weniger hinter ihrem Kurs. | |
| Allerdings hat fast jedes EU-Land nationale Vorbehalte. Beim nächsten | |
| EU-Gipfel könnte es also ganz schnell wieder ziemlich einsam um die | |
| Kanzlerin werden. | |
| Wie erpressbar ist die Regierung vor den Landtagswahlen in Deutschland? | |
| Offiziell gar nicht. Die türkischen Forderungen wurden beim EU-Gipfel nicht | |
| als Erpressungsversuch, sondern als „interessante Vorschläge“ und | |
| „ehrgeizige Pläne“ präsentiert. Hinter den Kulissen gab es aber großen | |
| Ärger darüber, dass Deutschland und die Türkei die EU mit völlig neuen, | |
| nicht abgesprochenen Plänen konfrontieren. Die Überrumpelungstaktik könnte | |
| sich jedoch schon beim nächsten EU-Gipfel in der kommenden Woche rächen. | |
| 8 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Eric Bonse | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| EU-Gipfel | |
| Balkanroute | |
| Schwerpunkt Türkei | |
| Menschenrechte | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Balkanroute | |
| Schwerpunkt Türkei | |
| Mazedonien | |
| Asyl | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Flüchtlinge | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Vor dem EU-Innenministertreffen: Österreich will geschlossene Grenzen | |
| Europas Grenzen bleiben für Flüchtlinge geschlossen, wenn es nach der | |
| österreichischen Innenministerin geht. So sitzen in Griechenland mehr als | |
| 35.000 Menschen fest. | |
| Südosteuropa für Flüchtlinge dicht: Ganz Ungarn im Ausnahmezustand | |
| Flüchtlinge können über die Balkanroute nur noch mit gültigem Visum | |
| einreisen. Ungarn verhängt den Ausnahmezustand. | |
| Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa: Die Balkanroute ist dicht | |
| Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien machen ihre Grenzen dicht. An | |
| der Kooperation zwischen der EU und der Türkei gibt es Kritik. | |
| Debatte um EU-Beitritt der Türkei: Ein sehr privilegierter Partner | |
| Plötzlich ist wieder von der Aussicht auf einen EU-Beitritt der Türkei die | |
| Rede. Doch das ist reine Augenwischerei. Denn den will in Wirklichkeit | |
| niemand. | |
| Flüchtlinge in Idomeni: Warten im Schlamm | |
| An der Grenze zu Mazedonien warten 13.000 Menschen. Starke Regenfälle | |
| machen das Leben im Flüchtlingslager noch unerträglicher. | |
| Kommentar EU-Türkei-Gipfel: Salto mortale | |
| Die Türkei ist auf dem Weg in eine Diktatur – und führt in Brüssel die EU | |
| vor. Merkel macht mit und beerdigt das Grundrecht auf Asyl. | |
| „Durchbruch“ bei Flüchtlingsgipfel vertagt: Türkei nimmt alle Syrer, wenn… | |
| Ankara bietet an, alle Flüchtlinge, die illegal nach Griechenland gelangt | |
| sind, wieder zurückzunehmen. Der Vorschlag ist allerdings an Bedingungen | |
| geknüpft. | |
| Flüchtlingspolitik der EU: Davutoğlus Wunschkonzert | |
| Beim Gipfel in Brüssel streiten sich alle. Die türkische Regierung nutzt | |
| die Situation und erweitert ihren Forderungskatalog. |