# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Der Oberumfaller | |
> Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann hat sich nicht nur von Merkel | |
> losgesagt. Auch der Willkommenskultur fällt er in den Rücken. | |
Bild: Werner Faymann und Angela Merkel: In der Flüchtlingsfrage gehen sie vers… | |
Nach dem jüngsten Soloauftritt von Angela Merkel bei Anne Will hat nun der | |
österreichische Bundeskanzler nachgelegt: „Im Zentrum“ – ebenfalls ein | |
Diskussionsforum, ebenfalls ein Soloauftritt. Ist das nun Kopie oder | |
Antwort? Der Titel der Sendung suggerierte Letzteres. Denn er stellte die | |
Frage: „Ist das ihr Europa, Herr Faymann?“ als direkte Anlehnung an Merkels | |
Aussage: „Wenn der eine seine Grenze definiert, muss der andere leiden. Das | |
ist nicht mein Europa.“ | |
Und die Antwort war eindeutig. All das, was der Außenminister, was der | |
Koalitionspartner ÖVP betrieben hat – Grenzen schließen, Balkanroute | |
sperren, Obergrenzen einführen – all das vertritt der Kanzler nun als das | |
Seine. Mit derselben Vehemenz mit der er kürzlich noch das Gegenteil | |
vertreten hat. Nun ist er der Grenzendefinierer. Der Obergrenzendefinierer. | |
Seine Antwort lautet: Das ist mein Österreich. Dieses Österreich – der | |
Umfaller Europas. Und Faymann ist sein Chef, sein Regierungschef. Darauf | |
bestand er. Der Oberumfaller also. | |
Bis vor Kurzem war er noch Merkels Verbündeter in der Flüchtlingspolitik. | |
Jetzt aber ist er umgefallen. Auf die Frage nach dem Warum, meinte er: Weil | |
eine gemeinsame europäische Lösung nicht funktioniert. Das sagt er in dem | |
Moment, wo Österreich gerade diese, nämlich eine gemeinsame, eine | |
europäische Lösung verhindert. Denn eine einseitige Grenzschließung „löst… | |
das Flüchtlingsproblem nur für Österreich. | |
Wie weit ist Faymann da von Merkel entfernt, die meinte – nachhaltig für | |
Deutschland sei, dass Europa zusammenhalte. Wie unterschiedlich ist | |
Faymanns Horizont: „Wir (also dieses Österreich, das seinen Horizont | |
begrenzt) sind nicht das Wartezimmer Deutschlands.“ Klar, diese Aufgabe hat | |
er nämlich erfolgreich an Griechenland delegiert. Wie die Bilder aus | |
Idomeni zeigen. | |
Nein, diese einseitige Grenzschließung löst das Problem nicht. Aber es geht | |
ja auch nicht um Lösungen, sondern um Ordnung. Jetzt soll Ordnung | |
geschaffen werden. Denn dem Kanzler sitzen die Rechten im Nacken – und da | |
setzt er auf die bewährte Technik, die schon seit 30 Jahren nicht | |
funktioniert: das Abrücken von der eigenen Position. Jetzt richtet der | |
Umfaller Merkel aus: „Wir schaffen das nicht“ – um sich dadurch als Chef … | |
bestätigen! | |
Denn darum geht es ja – darum, sich zu bestätigen. So eine Politik löst | |
keine Probleme. Außer die der Politiker. Die können sich dann als | |
Handelnde, als Entschlossene, als Retter inszenieren. | |
Heinz Bude meinte kürzlich in einem Interview, Merkels Auftritt sei eine | |
„Stimmungsintervention“ gewesen. Ein wunderbarer Ausdruck, um zu | |
beschreiben, dass solch ein TV-Auftritt dazu dient, die öffentliche | |
Stimmung zu beeinflussen. Merkel habe, so Bude, beruhigt. Faymanns Auftritt | |
war auch eine Stimmungsintervention – allerdings in eine ganz andere | |
Richtung. | |
## Für Faymann ist da Notwehr | |
Denn Faymann hat sich nicht nur von seiner Verbündeten Merkel losgesagt – | |
sondern auch von jener „Willkommenskultur“, die er gerade noch unterstützt | |
hat. Auch diesen Exverbündeten fällt er in den Rücken. Schrillster Beweis | |
dafür ist das Wort „Notwehr“. Seine nunmehrige Kehrtwende sei eben das – | |
eine Notwehr. Notwehr aber suggeriert, die Flüchtlinge seien eine | |
Bedrohung, die man abwehren müsse – als ob es sich hier um einen Kampf | |
(noch dazu einen auf Augenhöhe) handeln würde. | |
Am perfidesten aber ist, dass Faymann seinen Schwenk, die neue nationale | |
Ordnungspolitik, gerade durch die österreichische Willkommenskultur | |
legitimiert. Nur weil Österreich geholfen habe, habe es nun die „moralische | |
Kraft“, jetzt Ordnung herzustellen! | |
Faymanns Stimmungsintervention war das ziemlich durchsichtige Manöver, die | |
Situation als Bedrohung zu skizzieren, um sich selbst als Retter zu | |
präsentieren. Ja, Faymann hat Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit | |
signalisiert. Er hat sich als jenen inszeniert, der Ordnung schafft und die | |
Dinge im Griff hat. Selbst in Europa. Selbst auf Kosten Europas. | |
Wie meinte der Schriftsteller Doron Rabinovici so schön? „Faymann ist der | |
Beweis, dass man im Zentrum und zugleich völlig daneben sein kann.“ | |
21 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Isolde Charim | |
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