# taz.de -- EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei: Fehlstart mit Obergrenze | |
> Der umstrittene Flüchtlingspakt ist in Kraft. Und nun? Hier ein paar | |
> Fragen und Antworten zum Deal mit der Türkei. | |
Bild: Seit Sonntag ist die neue Vereinbarung in Kraft. Die Migranten, die hier … | |
BRÜSSEL taz | Seit Sonntag wird zurückgeschickt, jedenfalls auf dem Papier. | |
Alle „irregulären“ Flüchtlinge, die auf den griechischen Inseln ankommen, | |
sollen in die Türkei ausgewiesen werden und ihren Traum von Europa | |
aufgeben. So sieht es der umstrittene Flüchtlingspakt vor, den die EU mit | |
der Türkei geschlossen hat. | |
Doch in der Praxis ist davon noch nichts zu sehen. Kein einziger Migrant | |
wurde bisher abgeschoben. Auch der „Kampf gegen das Geschäftsmodell der | |
Schlepper“, den Kanzlerin Angela Merkel angekündigt hat, ist ein Flop. Am | |
Montag kamen wieder mehr als Tausend Flüchtlinge auf den griechischen | |
Inseln an. | |
Die EU müsse nun endlich Druck auf die Regierung in Ankara ausüben, damit | |
diese ihre Küste besser überwache, sagte der griechische Premier Alexis | |
Tsipras: „Wenn der Strom nicht reduziert wird, können wir die Inseln nicht | |
in erfolgreicher Weise räumen, damit das Abkommen vollständig umgesetzt | |
werden kann.“ | |
War es also ein Fehler, den Pakt sofort in Kraft zu setzen? | |
Merkels Sprecher Steffen Seibert sagt: Nein. Es brauche „ein paar Tage“, | |
bis die zugesagten Sicherheitskräfte, Dolmetscher und Asylexperten die | |
griechischen Behörden bei der „Rückführung“ der Flüchtlinge in die Tür… | |
unterstützen könnten. Allerdings: Bis dahin dürften wieder einige Tausend | |
auf den Inseln gelandet sein. Die EU hat zu früh auf den Startknopf | |
gedrückt – sie hätte lieber warten sollen, bis Griechenland wirklich bereit | |
ist. | |
Ist die Abschiebung der Flüchtlinge überhaupt legal? | |
Darüber streiten die Experten. Für Ärger sorgt vor allem, dass die Türkei | |
die Genfer Flüchtlingskonvention nur teilweise anwendet. EU-Kommissionschef | |
Jean-Claude Juncker hält das aber für vertretbar, wenn Griechenland die | |
Türkei zum sicheren Drittstaat erklärt. Auf die massiven Proteste reagierte | |
die EU zudem mit der Versicherung, auf Massenabschiebungen zu verzichten | |
und jeden Fall individuell zu prüfen. | |
Der Haken: Griechenland soll Asylanträge möglichst komplett als unzulässig | |
ablehnen. Die EU-Kommission schickt sogar Experten nach Athen, um bei der | |
Ablehnung zu „helfen“. Das Asylrecht werde so zur Farce, sagen Kritiker wie | |
die grüne Europaabgeordnete Ska Keller. | |
Was bedeutet das Eins-zu-eins-Prinzip? | |
Für seine Anhänger ist es eine magische Formel, mit der die Fluchtwelle | |
gestoppt und die „legale“ Einreise gesichert werden soll. Für Kritiker ist | |
es hingegen ein perverses Prinzip, das dazu führt, dass Flüchtlinge nur | |
noch dann willkommen sind, wenn möglichst viele „illegal“ nach Griechenland | |
kommen und abgeschoben werden. | |
Das ist tatsächlich der Grundgedanke: Für jeden in die Türkei abgeschobenen | |
„illegalen“ Syrer soll ein anderer legal in die EU einreisen. Die | |
Abgeschobenen sollen keine Chance mehr haben, nach Europa kommen – zur | |
Abschreckung. | |
Wie soll das funktionieren? | |
Das kann bisher niemand schlüssig erklären. Die EU-Kommission versuchte es | |
am Montag in Brüssel – und scheiterte. Klar ist nur, dass die Türkei zur | |
Drehscheibe für syrische Flüchtlinge wird und dass sie dabei nichts zu | |
verlieren hat: Die EU zahlt für das Karussell. | |
Gibt es eine Obergrenze? | |
Auch wenn es die Bundesregierung bestreitet: Diese Obergrenze gibt es, sie | |
ist sogar schriftlich fixiert. Insgesamt will die EU nämlich exakt 72.000 | |
syrische Asylbewerber übernehmen – höchstens. | |
Auf Deutschland entfallen davon maximal 15.000 – ein Witz im Vergleich zu | |
den Zahlen, die bisher kamen. CSU-Chef Horst Seehofer könnte eigentlich | |
zufrieden sein. Allerdings könnte Deutschland noch wesentlich mehr Menschen | |
aus der Türkei übernehmen: auf freiwilliger Basis. | |
Was machen die anderen EU-Staaten? | |
Abwarten und Tee trinken. Grundsätzlich hätten sich alle zur Aufnahme von | |
Flüchtlingen bereit erklärt, so Merkel in Brüssel. Die Quoten legt ein | |
Verteilungsschlüssel der EU-Kommission fest. | |
Doch Ungarn und die Slowakei machen nicht mit, Großbritannien sowieso | |
nicht. Und für den Start der „legalen“ Aufnahme aus der Türkei haben sich | |
auch noch keine Freiwilligen gefunden. | |
Was wird aus den Menschen in Idomeni? | |
Das ist unklar. Merkel hat an die Gestrandeten appelliert, in bessere | |
Unterkünfte in Griechenland umzuziehen. Doch dafür stehen nach Angaben von | |
Hilfsorganisationen nicht genügend Plätze bereit. Und was nach einem Umzug | |
geschehen soll, das ist auch noch unklar. Im Flüchtlingspakt wird die Lage | |
in Idomeni mit keinem Wort erwähnt. | |
Kann der Deal noch einmal aufgedröselt werden? | |
Nein, er ist endgültig. Merkel sprach vom „Moment der Unumkehrbarkeit“. Es | |
gibt nicht einmal eine Klausel, die definiert, was passiert, wenn die | |
Türkei oder Griechenland nicht mitspielen und der Andrang über den Seeweg | |
nach Europa anhält. Die EU hat sich selbst ein Bein gestellt und von der | |
Türkei abhängig gemacht. | |
21 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Flucht | |
Europäischer Gerichtshof | |
Flucht | |
Obergrenze | |
Schwerpunkt Flucht | |
Familie | |
Schwerpunkt Flucht | |
Polen | |
Flüchtlinge | |
Griechenland | |
Schwerpunkt Flucht | |
Österreich | |
Schwerpunkt Landtagswahlen 2019 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte EU-Türkei-Abkommen: Ein unmoralisches Geschäft | |
Europas Flüchtlingspolitik folgt keinen humanitären Grundsätzen. Sie setzt | |
auf die Veränderung von Marktanreizen. | |
Menschen mit Behinderung: Starke kleine Schwestern | |
Sind die Geschwister behindert, läuft vieles im Alltag anders. Vor allem im | |
Alter wächst die Verantwortung der Angehörigen. | |
Flüchtlingslager Idomeni: Auflösung kommt nur langsam voran | |
Erst 600 der 12.000 Geflüchteten haben Idomeni in vom griechischen Staat | |
gestellten Bussen verlassen. Derweil kommen immer weniger Boote über das | |
Ägäische Meer. | |
Islamophobie in Polen: Ich beschütze euch | |
Mit ihren kruden Thesen hat es Miriam Shaded in Polen zum Medienstar | |
gebracht. Gefeiert wird die Halbsysrerin nicht nur von rechts. | |
Die Wahrheit: Stoppt die Schwemme! | |
Celebrities not welcome: Es braucht dringend eine Obergrenze für Prominente | |
in den Flüchtlingslagern rund um den Erdglobus. | |
Merkels EU-Pakt mit der Türkei: Die Kritik ist parteiübergreifend | |
Die CSU fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, mehr zu reden. Kritik | |
kommt vor allem aus der Linken und von den Grünen. | |
Flüchtlingshelfer in Dänemark: Bestraft für eine Fahrt und einen Tee | |
Weil Bürger Flüchtlingen halfen, müssen sie wegen Menschenschmuggels eine | |
Geldbuße zahlen. Hunderte Klagen wurden erhoben. | |
Kolumne Knapp überm Boulevard: Der Oberumfaller | |
Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann hat sich nicht nur von Merkel | |
losgesagt. Auch der Willkommenskultur fällt er in den Rücken. | |
CDU-Bürgermeister will mehr Flüchtlinge: Wenn zehn Familien bleiben würden | |
Zu Besuch in Hettstedt in Sachsen-Anhalt. Der Gegend, aus der die Menschen | |
weggehen, könnten Flüchtlinge helfen. Wäre da nur nicht die AfD. |