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# taz.de -- Grüne Flüchtlingspolitik: Kretschmann zögert nicht allein
> Sichere Herkunftsstaaten? Der Minister kann leider nicht. Warum sich
> wichtige Grüne im Moment gerne in Schweigen hüllen.
Bild: Wahlkampf ist mühsam. Schwierige Entscheidungen – und dann dieses stä…
Berlin taz | Herauszufinden, was der Grüne Tarek Al-Wazir über die sicheren
Herkunftsstaaten denkt, ist nicht ganz einfach. Ist es richtig, Flüchtlinge
aus Marokko, Tunesien oder Algerien unkompliziert abzuschieben? In Staaten
also, in denen Schwule und Lesben ins Gefängnis kommen? In denen laut
Amnesty International Menschen gefoltert werden?
Al-Wazir ist Wirtschaftsminister in Hessen und Vize-Regierungschef in einer
schwarz-grünen Koalition. Er muss im Bundesrat über die Ausweitung der
sicheren Herkunftsstaaten mitentscheiden, die die Bundesregierung am
Mittwoch im Kabinett beschlossen hat. Schon am Mittwoch hatte ihn die taz
um eine Stellungnahme gebeten.
Nach mehreren Telefonaten, E-Mails und zwei Tagen Bedenkzeit schickt
Al-Wazirs Sprecher am Freitag endlich eine Mail. Nicht mit Antworten,
sondern mit einem Link – zu einem [1][Video aus dem Landtag]. Hessens
Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner sagt hinter dem Rednerpult, die
Landesregierung werde sehr genau prüfen und bewerten, was auf dem Tisch
liege. Und Al-Wazir? Jener, schreibt der Sprecher zurück, teile die
Einschätzungen des Fraktionschefs „auf ganzer Linie“.
Puh, hätten wir das also geklärt. Nichts Genaues weiß man nicht in
Wiesbaden. Ähnlich sieht es bei anderen regierenden Grünen in den
Bundesländern aus. Nordrhein-Westfalens Landeschef Sven Lehmann sagt am
Freitag, der Gesetzentwurf liege vermutlich im März im Bundesrat vor. „Wir
werden dann das Stimmverhalten von NRW in der Koalition besprechen.“
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ließ auf
taz-Anfrage schon am Mittwoch ausrichten, seine Landesregierung prüfe den
Entwurf und werde „zügig“ entscheiden.
## Das alte Dilemma
Der Plan der Großen Koalition stellt die Regierungsgrünen in den Ländern
vor ein Dilemma. Ein Bundesparteitag hatte die Ausweitung der sicheren
Herkunftsstaaten noch im November als falsch bezeichnet. Die in neun
Bundesländern mitregierenden Grünen könnten das Koalitionsgesetz
blockieren, weil es im Bundesrat zustimmungspflichtig ist. Aber wollen sie
das eigentlich?
Zu diesem Thema schweigt nicht nur der Hesse Al-Wazir am liebsten. Denn
wenn man in der Regierung sitzt, zählen andere Dinge als eng bedruckte
Parteitagsbeschlüsse. Spätestens seit den sexuellen Attacken in der Kölner
Silvesternacht nehmen Ängste in der gesamten Bevölkerung zu. Da fällt es
schwer, linksgrüne Positionen hochzuhalten. Die Koalition nimmt absichtlich
nordafrikanische Staaten ins Visier, aus denen viele der Täter kamen. 78
Prozent der Deutschen finden es [2][laut einer ARD-Umfrage] richtig,
Marokko, Algerien und Tunesien als „sicher“ zu deklarieren. Der Hesse
Wagner wies in seiner Landtagsrede ausdrücklich auf die große Zustimmung in
der Bevölkerung hin.
Auch die grün-mitregierten Landesregierungen sind auf Mehrheiten
angewiesen. Für sie ist die Versuchung, gegen das Parteiprogramm zu
entscheiden, immens. Viele Grüne, die das Konzept scharf ablehnen, glauben
jetzt, dass ihre Länderkollegen umfallen. „Ich fürchte, dass Kretschmann
zustimmt. Nicht aus inhaltlichen, sondern aus wahltaktischen Überlegungen“,
sagt eine gut vernetzte Landespolitikerin.
In Baden-Württemberg wird am 13. März ein neuer Landtag gewählt.
Kretschmann, der wieder Ministerpräsident werden will, will sich bei dem
Flüchtlingsthema nicht angreifbar machen. Auch, indem er schnell und
pragmatisch abschieben lässt. Schließlich lauert die Landes-CDU auf jeden
Fehler. Ein Nein zu mehr sicheren Herkunftsstaaten würde sie ihm als
Schwäche vorhalten.
## Verwirrung durch Chef-Interview
Allerdings wird der Bundesrat wohl erst nach den Landtagswahlen in
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz über die sicheren Herkunftsstaaten
entscheiden. Am 18. März ist die erste Befassung der Länderkammer geplant,
am 17. Juni müsste sie ihr endgültiges Okay geben. Dazwischen berät der
Bundestag. Kretschmann könnte sich also eigentlich Zeit lassen. Allerdings
ist das Thema im Raum, der Druck ist hoch - und ständige Nachfragen von
Journalisten nerven in einem Wahlkampf sehr.
Für Verwirrung sorgte bei den Grünen am Freitag [3][ein Interview], das
Parteichef Cem Özdemir der Rheinischen Post gegeben hatte. „Wir
verschließen uns Gesprächen nicht prinzipiell“, sagte Özdemir darin zu den
sicheren Herkunftsstaaten. Als die Journalistin fragte, was er im Gegenzug
fordere, zählte Özdemir mehrere Wünsche der Grünen auf, etwa eine Lösung
für langjährig Geduldete.
Wollte der Chef etwa Bedingungen für ein Ja im Bundesrat stellen? Deutete
sich da ein Kurswechsel an? Prompt waberten Gerüchte durch die Partei. Die
Grüne Jugend ging Özdemir frontal an. „Wir ärgern uns sehr über diese
Aussage des Parteivorsitzenden“, sagte Sprecherin Jamila Schäfer. Sie
verwies auf den Parteitag im November. „Solche Beschlüsse sind dafür da,
durch die Parteispitze vertreten zu werden.“
In der Berliner Grünen-Zentrale dementierte man sofort. Weder habe Özdemir
mit dem Interview Verhandlungen eröffnen, noch Bedingungen stellen wollen,
hieß es. Özdemir selbst sagte der taz dazu: „Ich führe in
Zeitungsinterviews keine Verhandlungen zwischen Bundesregierung und
Landesregierungen.“ Das Konstrukt der sicheren Herkunftsstaaten diene zur
innenpolitischen Beruhigung, löse aber keines der Probleme.
Die Frage ist nun, ob sich die Grünen in den Ländern trauen, gegen das
Bauchgefühl der Bevölkerung zu stimmen. Oder ob sie doch in Verhandlungen
mit der Bundesregierung einsteigen. Könnte Kretschmann sich eigentlich ein
Ja vorstellen, wenn die Grünen im Gegenzug Wünsche erfüllt bekommen? Sein
Sprecher sagte am Freitag das, was wichtige Grüne im Moment oft sagen: kein
Kommentar.
5 Feb 2016
## LINKS
[1] http://hessenschau.de/politik/landtag/landtagsvideos/video-10916~_story-lan…
[2] /ARD-Umfrage-zur-Asylpolitik/!5275127/
[3] http://www.rp-online.de/politik/deutschland/cem-oezdemir-angela-merkel-sitz…
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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