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# taz.de -- Folgen des Wiener Beschlusses: Obergrenze. Obergrenze?
> Es ist unwahrscheinlich, dass Österreich seine Grenzen schließt. Doch der
> Beschluss setzt Merkel unter Druck. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Bild: Wo ist der Unterschied zwischen einem Grenzübergang und einer Grenzüber…
Schließt Österreich die Grenzen für Flüchtlinge?
Die Regierung in Wien will bis 2019 maximal 130.000 Menschen aufnehmen,
2016 soll nach 37.500 Schluss sein. Die Frage, was mit den „überschüssigen�…
Geflüchteten passiert, lassen die Verantwortlichen in Wien offen. Klar ist:
Im Moment durchqueren viel mehr Menschen Österreich. Der Staat ist das
letzte Transitland auf der sogenannten Balkanroute in Richtung Mittel- und
Nordeuropa.
Der Großteil der Geflüchteten, die aus Slowenien oder Ungarn in Österreich
ankommen, wollen weiter nach Deutschland. Tausende sind es, Woche für
Woche. Wollten österreichische Grenzschützer sie aufhalten, gäbe es
zunächst juristische Einwände – weil zum Beispiel die Genfer
Flüchtlingskonvention verletzt werden könnte. Die Wiener Regierung will nun
zwei Rechtsgutachten in Auftrag geben und danach entscheiden.
Wie sähe eine Grenzschließung aus?
Österreich hat seit Dezember seine Grenzsicherung zu Slowenien verstärkt.
Am Grenzübergang Spielfeld steht ein kilometerlanger Zaun, den die
Regierung als „Grenz-Leitsystem“ bezeichnet. Machte Wien Ernst mit einer
Schließung, müsste dieser Zaun verlängert und befestigt werden, um die
grüne Grenze zu sichern.
Vielleicht spräche sich die Maßnahme unter Flüchtlingen schnell herum, so
dass weniger Menschen ankämen. Wahrscheinlich würden sich aber dennoch
tausende Menschen stauen und versuchen, an manchen Stellen über den Zaun zu
gelangen. Die Geflüchteten haben eine lange, gefährliche Reise hinter sich
– und wenig zu verlieren.
Käme es vor geschlossenen Grenzen zu Gewalt?
Die Obergrenzen-Fans verschweigen, dass zu einer Sicherung auch Tränengas,
Gummigeschosse und Knüppel gehören würden. Im besten Falle gäbe es solche
Szenen nur einen begrenzten Zeitraum lang. Dann liefe die Balkanroute leer,
weil die Härten die Flüchtlinge abschrecken würden. Die Fluchtrouten würden
sich verlagern – Italien oder Griechenland wären wieder wichtige Ziele.
Die Balkanroute ist ja deshalb so beliebt, weil der Landweg relativ sicher
ist. Tausende Verzweifelte würden also versuchen, mit Hilfe von Schleppern
über das Mittelmeer überzusetzen. Der Frühling kommt, die
Wetterverhältnisse bessern sich, der Seeweg wird wieder attraktiver. Die
Folgen sind bekannt, es gäbe viele Tote auf See. Für Deutschland bedeutete
eine Grenzschließung Österreichs, dass hier erstmal deutlich weniger
Menschen ankämen. Österreich wirkte wie ein Bollwerk.
Wie könnte Wien den Beschluss ohne Schließung umsetzen?
Falls die Regierung einen juristischen Weg findet, das Recht auf Asyl und
die Genfer Flüchtlingskonvention zu begrenzen, nähme sie in Zukunft nur
noch wenige Flüchtlinge auf. Sie könnte dennoch Menschen, die nach
Deutschland wollen, durch die Grenze lassen und in Richtung Bayern
weiterleiten. Dieses Szenario ist wahrscheinlicher als die Grenzschließung,
weil der Imageschaden für Österreich kleiner wäre.
Noch mehr Geflüchtete würden fortan nicht mehr Österreich als Ziel angeben,
sondern Deutschland, weil sie ihre Chance auf Asyl maximieren wollen.
CSU-Chef Horst Seehofer hat den Wiener Beschluss am Mittwoch genau so
interpretiert. Die Flüchtlingszahlen in Deutschland könnten durch die
österreichische Obergrenze also sogar steigen.
Was ist das politische Signal, das Österreich sendet?
Das Signal ist eindeutig und in seiner Wirkung nicht zu unterschätzen: Ein
wichtiger EU-Staat räumt ein, dass er überfordert ist. Österreichs
Regierung wendet sich von Angela Merkels Kurs ab, die Grenzen in Europa
offen zu halten. Die Befürworter von Obergrenzen und Grenzschließungen in
Osteuropa und auch in Deutschland – siehe CSU und Teile der CDU – sehen
sich bestärkt.
Österreich wird ausstrahlen. Der Beschluss ist ja nicht das einzige Zeichen
einer zunehmenden Desintegration in der EU. Mazedonien hatte für zwei Tage
seine Grenze zu Griechenland für Flüchtlinge geschlossen, am Donnerstag
werden nur noch Flüchtlinge durchgelassen, die nach Österreich oder
Deutschland wollten.
Was bedeutet Österreichs Entscheidung für Merkel?
Das ist offen. Wenn Österreich tatsächlich die Durchreise der Menschen nach
Deutschland stoppt, sänken die Flüchtlingszahlen relevant. Für Merkel, die
seit Monaten im Dauerfeuer ihrer Kritiker steht, wäre das – zynisch gesagt
– eine Entlastung. Davon ist allerdings nicht auszugehen. Die Österreicher
prüfen bekanntlich erstmal, eine echte Grenzschließung ist aus den
beschriebenen Gründen unwahrscheinlich. Das heißt für Deutschland: Es
werden auf absehbare Zeit weiter sehr viele Flüchtlinge in Bayern ankommen
und um Schutz bitten.
Kippt jetzt die Diskussion in Deutschland?
Die Bild-Zeitung titelt heute: „Die Wende?“ Das ist eine entscheidende
Frage für Merkel. Der Wiener Beschluss entfaltet vor allem eine symbolische
Wirkung. Die deutsche Diskussion hat sich in den vergangenen Wochen und
Monaten in rasanter Geschwindigkeit gedreht, diese Diskursverschiebung nach
rechts wird von dem Beschluss des Nachbarstaates beschleunigt. Für Merkel
wird es immer schwerer, mit ihrem Argument durchzudringen, nur die
europäische Lösung samt Sicherung der Außengrenzen sei sinnvoll. Sie
kritisierte die Wiener Entscheidung, weil sie ihre Lösung erschwert.
CSU rebelliert seit Monaten gegen Merkel – ohne Erfolg?
Es geht nicht um Horst Seehofers CSU, auch wenn sie am lautesten Kritik
übt. Entscheidend ist, dass wichtige Teile von Merkels eigener Partei ihren
Kurs inzwischen ablehnen und dass die Skepsis in der Bevölkerung wächst.
Merkel wird auch auf höchster politischer Ebene kritisiert, man muss fast
sagen: demontiert. Bundespräsident Joachim Gauck sagte am Mittwoch auf dem
Weltwirtschaftsforum in Davos, eine „Begrenzungsstrategie“ könne moralisch
und politisch sogar geboten sein, um die Handlungsfähigkeit des Staates zu
erhalten.
Sigmar Gabriel, SPD-Chef und Vizekanzler, sagte ebendort: „Um ganz ehrlich
zu sein, ich glaube nicht, dass wir zu einer europäischen Lösung kommen,
bei der wir Flüchtlinge von den griechischen Inseln oder Italien auf alle
Mitgliedstaaten verteilen können.“ Einfach gesagt wendet sich ein
konservativer Bundespräsident offen gegen die Kanzlerin. Und der
sozialdemokratische Vizekanzler, der neben ihr im Kabinett sitzt, erklärt
ihren Weg für untauglich. Mehr Gegenwind geht kaum.
Muss Merkel also ihren Kurs ändern?
Bisher weigert sie sich beharrlich, von ihrer Linie abzurücken. Das ist
verständlich, ihr droht ein veritabler Gesichtsverlust. Merkel hat sich mit
Sätzen wie „Das Grundrecht auf Asyl kennt keine Obergrenze“ festgelegt, wie
sie es bisher in ihrer Ära mit keinem Thema gemacht hat. Aber ein
Kurswechsel ist dennoch nicht mehr ausgeschlossen. Im März stehen die
wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz an, die
rechtspopulistische AfD steigt scheinbar unaufhaltsam in der Wählergunst.
Klar ist, dass Merkel noch einige Schritte versuchen will, um die
europäische Lösung zu schaffen. Eine wichtige Rolle spielt die Türkei.
Merkel will dieses wichtige Transitland für syrische Flüchtlinge dazu
bringen, die Einreise zur EU zu dämpfen. Sie verwies kurz nach dem
Beschluss Österreichs auf ein Treffen der EU-Regierungschefs Mitte Februar:
„Danach können wir eine Zwischenbilanz ziehen.“ Wer will, kann dies als
vorsichtiges Zugeständnis an die Kritiker lesen. Merkel verpflichtet
erstmals selbst zu einem zeitlich befristeten Fazit.
21 Jan 2016
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Österreich
Asylpolitik
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