# taz.de -- Schlechte Stimmung zur Grünen Woche: Wer weniger liefert, der krie… | |
> Das Einkommen der Bauern fällt weltweit seit vier Jahren, das Höfesterben | |
> schreitet voran. Wachsen oder weichen, das ist von der Politik so | |
> gewollt. | |
Bild: Die Milchbauern stöhnen über die fallenden Preise. | |
Berlin taz | Die Milchquote ist wieder da – zumindest bei der Molkerei | |
Friesland Campina. Der niederländische Konzern, der in Deutschland Marken | |
wie Landliebe und Optimel vertreibt, weiß nicht mehr wohin mit der Milch. | |
So versucht er die Bauern dazu zu bringen, die Liefermengen konstant zu | |
halten und zahlt ihnen eine Prämie von zwei Cent pro Liter, wenn sie nicht | |
mehr liefern als im Vormonat. | |
Friesland Campina setzt damit auf ein Instrument, dass die Europäische | |
Union im vergangenen Jahr abgeschafft hatte: die Milchquote. Die Politik | |
wollte Schluss machen mit der staatlichen Gängelung. Die Landwirte sollten | |
so viel produzieren dürfen, wie sie wollten, und ihre Milch dann auf dem | |
Weltmarkt absetzen. So die Idee. | |
Die Landwirte folgten ihr mehrheitlich und molken mehr Milch – nur der | |
Weltmarkt macht nicht mit. Traditionelle Absatzgebiete wie China oder der | |
Nahe Osten werden von Wirtschaftskrisen gebremst oder von Bürgerkriegen | |
geschüttelt; Russland unterliegt noch immer einem Embargo. Die Bauern | |
würden „aus heutiger Sicht innerhalb von zwei Jahren die Hälfte ihres | |
Einkommens verlieren“, hatte Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen | |
Bauernverbands, zur Eröffnung der Grünen Woche in Berlin am Donnerstag | |
gewarnt. | |
Die Stimmung ist schlecht wie lange nicht mehr unter den Landwirten. Und | |
viele nervt es sichtlich, dass es zu einem gesellschaftlichen Thema | |
geworden ist, wie sie ihre Tiere halten und ihre Felder vor Unkraut | |
schützen. | |
„Wir machen euch satt“, heißt etwas trotzig die Demo, zu der eine | |
Initiative von Landwirten aufruft, die „frei von Vorurteilen und Ideologie“ | |
über Landwirtschaft diskutieren will. Los geht es am Samstag um 9.15 Uhr | |
direkt vor dem Berliner Hauptbahnhof. Sollte die Demonstration der | |
Landwirte wie geplant um 11 Uhr zu Ende gehen, werden sich die Teilnehmer | |
der Konkurrenzveranstaltung gegen Massentierhaltung, „Wir haben es satt“, | |
wohl gerade auf den Weg zum Potsdamer Platz machen. So unterschiedlich | |
beide Proteste und Initiativen auch sind – dass derzeit etwas grundlegend | |
falsch läuft in der Landwirtschaft, würden wohl beide unterschreiben. | |
Die Preise auf dem Weltmarkt fallen und fallen. Laut der | |
Welternährungsorganisation FAO sind sie 2015 im vierten Jahr gesunken, | |
Lebensmittel waren im Schnitt 19 Prozent billiger als im Vorjahr. Damit | |
folgen sie den anderen Rohstoffen, allen voran dem Erdöl, das derzeit auch | |
von einem Tiefstpreis zum nächsten taumelt. | |
Dem Milchpreis geht es nicht anders, schon seit Mitte 2014 im Sinkflug, | |
stürzt er seitdem immer rasanter ab. Durchschnittlich 23 Prozent weniger | |
bekamen die Landwirte 2015 im Vergleich zum Vorjahr. Derzeit zahlen einige | |
der traditionell knickrigen norddeutschen Molkereien den Bauern nur noch 24 | |
Cent pro Liter. Um kostendeckend zu arbeiten, sind 30 bis 40 Cent nötig. | |
„Wenn das so weitergeht“, sagt Milchbauer Ottmar Ilchmann, „dann gehen bis | |
zum Sommer massenhaft Höfe pleite“. Ilchmann bewirtschaftet im | |
ostfriesischen Rhauderfehn einen Hof mit 60 Kühen. Damit bildet er zwar in | |
der offiziellen Statistik ziemlich genau den Durchschnitt ab – der liegt | |
bei 58 Tieren pro Hof. De facto ist er aber inzwischen ein Winzling in der | |
Branche. | |
## Auch Schweinehalter haben Angst | |
Zwar halten laut Statistischem Bundesamt noch immer 73.300 Betriebe in | |
Deutschland Milchkühe, insgesamt 4,3 Millionen Tiere. Doch der | |
„Strukturwandel zu größeren Betrieben hält an“, teilen die Statistiker m… | |
Immer weniger Höfe halten immer mehr Tiere, vor allem im Norden und Osten | |
zum Teil mit über 1.000 Rindern. Viele kleine geben auf. | |
Nicht nur unter den Milchbauern herrscht Angst, sondern auch unter den | |
Schweinehaltern. Sie müssen ihre Tiere zu Preisen an die Schlachthöfe | |
verkaufen, die die Kosten nicht mehr decken. Unter 1,30 Euro bekamen sie im | |
Durchschnitt 2015 für das Kilo. Weil sie nicht so gut organisiert sind wie | |
die protesterprobten Milchbauern, verschwinden ihre Höfe leiser – dafür | |
aber massenhaft. In den vergangenen 15 Jahren hätten 80 Prozent der Höfe | |
die Tierhaltung aufgegeben, sagte Barbara Unmüßig, Vorstand der den Grünen | |
nahe stehenden Heinrich-Böll-Stiftung, als sie vergangene Woche den | |
„Fleisch-Atlas“ vorstellte, den die Stiftung zusammen mit dem Bund für | |
Umwelt und Naturschutz (BUND) herausbringt. | |
„Wenn bei steigenden Produktionsmengen in Bayern fast 30.000 Betriebe und | |
in Niedersachsen mehr als 13.000 Höfe die Schweinehaltung aufgeben, dann | |
haben wir es mit einem tiefgreifenden Strukturwandel zu Lasten | |
kleinbäuerlicher und mittelständischer Betriebe zu tun“, sagte Unmüßig. | |
Im Bundeslandwirtschaftsministerium hält man das Höfesterben für ein | |
notwendiges Übel. Die „konsequente Fortsetzung der Marktausrichtung unserer | |
Land- und Ernährungswirtschaft“ sei der richtige Weg, beschied der | |
Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser neulich Landwirten auf einer | |
Veranstaltung in Hessen. Für die Bauern gilt also noch immer die politische | |
Ansage, zu wachsen oder zu weichen. | |
## „Weiter-so“ ist nicht die Antwort | |
„Die Frage ist doch“, sagt Robert Habeck, grüner Landwirtschaftsminister in | |
Schleswig-Holstein, „wie wenige Bauern wir uns künftig leisten wollen.“ | |
Jährlich gäben schon ohne die aktuelle Krise fast zwei Prozent der Betriebe | |
auf. „Deshalb ist ein Weiter-so wie bisher keine Antwort“, sagte Habeck. | |
Er würde gern mehr Agrarsubventionen umlenken. Statt faktisch Landbesitzer | |
fürs Vorhalten von Boden zu fördern, sollten Landwirte zunehmend dafür | |
entlohnt werden, dass sie einen Beitrag für das Gemeinwohl leisten, die | |
Artenvielfalt und das Klima schützen und ihre Nutztiere schonen – für das, | |
was der Markt nicht honoriert. Allerdings: Die aktuelle Krise von | |
Milchbauern und Schweinehaltern kann auch Habeck in seinem Bundesland nur | |
mit akuten Hilfsgeldern der EU lindern. Ein Tropfen auf den heißen Stein. | |
„Gegen den derzeitigen Preisverfall gibt es eigentlich kein Mittel“, sagt | |
Landwirt Ilchmann. Der Milchbauer, sitzt im Vorstand der | |
Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und wendet sich in | |
seinem Beitrag für den am Donnerstag veröffentlichten „Kritischen | |
Agrarbericht“ gegen die „Ideologie des Mengenwachstums“. Er hält die | |
Forderung nach Höfen, die auf dem Weltmarkt mit Betrieben aus Neuseeland | |
oder Australien konkurrieren, für Unfug. „Die können aufgrund natürlicher | |
Bedingungen wie ganzjähriger Weidehaltung immer günstiger produzieren“, | |
sagt er. | |
Der Niedersachse, der seinen Hof konventionell betreibt, sieht durch die | |
derzeitige Krise das gesamte Modell – „Bauer liefert unhinterfragt alles | |
ab, und die Molkerei nimmt ebenso unhinterfragt alles ab“ – infrage | |
gestellt, schreibt er im kritischen Agrarbericht und wünscht sich eine | |
Neuausrichtung: Bauern produzieren Qualität, kommunizieren sie den | |
heimischen Verbrauchern – und die zahlen entsprechend mehr. | |
## Biobauern sind nicht betroffen | |
Vorbild dafür sind für Ilchmann die Biobauern, die genau diesem Konzept | |
folgen. Von der aktuellen Milchkrise sind sie nicht betroffen. Laut dem | |
größten ökologischen Anbauverband Bioland erzielten sie das ganze Jahr über | |
Preise von 47 bis 49 Cent pro Liter Milch. Zwar haben sie auch höhere | |
Kosten, trotzdem sehen viele Landwirte in ökologischer Erzeugung offenbar | |
einen Notausgang: Im vergangenen Jahr ließen sich so viele Landwirte von | |
Bioland zertifizieren wie seit 2010 nicht mehr. | |
„Wir erleben seit Jahren ein stürmisches Wachstum der Nachfrage“, so Felix | |
Prinz zu Löwenstein, Chef des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft | |
(BÖLW), „aber wir kamen lange nicht nach.“ Noch immer müsse der Handel | |
Biowaren im Ausland kaufen, doch „wir haben ein Jahr, das eine Trendwende | |
andeutet“, so Löwenstein. Nicht nur die Öko-Milchbauern blieben von | |
Absatzproblemen unbehelligt, auch die Öko-Schweinebauern hatten wenig | |
Sorgen. Sie erhielten von den Schlachtern mit drei Euro pro Kilogramm | |
Fleisch mehr als Doppelte als ihre konventionell produzierenden Kollegen. | |
Allerdings: Nicht die ganze Ökobranche jubelt, es gibt auch nachdenkliche | |
Stimmen. Der „Kritische Agrarbericht“ etwa setzt seinen inhaltlichen | |
Schwerpunkt dieses Jahr beim „Wachstum“. Und diskutiert, wie lange eine | |
nachhaltige Landwirtschaft wachsen kann, ohne ihre Prinzipien aufzugeben. | |
In der aktuellen Krise könne das nur heißen: „Begrenzt die Menge“, schrei… | |
Ilchmann in seinem Beitrag. Der holländische Molkereikonzern Campina macht | |
vor, wie es gehen könnte. | |
15 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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