# taz.de -- Industrielle Landwirtschaft: Das ostdeutsche Acker-Imperium | |
> Die KTG Agrar SE bewirtschaftet satellitengesteuert 30.000 Hektar in | |
> Ostdeutschland, so viel Land wie kein anderer Konzern im Land. | |
Bild: Die KTG Agrar wächst und wächst: 2013 hat der Konzern seinen Umsatz um … | |
ORANIENBURG taz | Es war einmal ein Bauer, der hatte kein Land. Er wuchs | |
auf einem Hof in Bayern auf, die Eltern bauten Spargel und Erdbeeren an. | |
Doch den Hof erbte der ältere Bruder. Da zog er aus, sein Glück zu suchen. | |
Heute ist Siegfried Hofreiter Herr über den größten Landwirtschaftskonzern | |
Deutschlands, die KTG Agrar, ein Imperium mit 23 Standorten, 775 | |
Mitarbeitern und mehr als 40.000 Hektar, davon rund 32.000 in | |
Ostdeutschland und auch noch 8.000 in Litauen. | |
Dazwischen liegen rund 30 Jahre und eine Geschichte, die eng verknüpft ist | |
mit dem rasanten Wandel der Landwirtschaft in Ostdeutschland. | |
Der Bauer lebt in einem Haus, das aussieht wie von der bayrischen Alm nach | |
Brandenburg teleportiert, Holzbalkone, Giebeldach, Heckenrosen. Es steht | |
mitten auf dem Gelände des Standorts Oranienburg. Gegenüber erhebt sich ein | |
Verwaltungsbau; weiter hinten liegen neue, saubere Maschinen- und | |
Lagerhallen zwischen Erdbeerfeldern verstreut. | |
Aber der KTG-Vorstandsvorsitzende ist nicht da. Er ist in seinen Ländereien | |
unterwegs. Stattdessen läuft Benedikt Förtig über die Einfahrt heran, 29 | |
Jahre alt, ein stämmiger Baden-Württemberger mit Hornbrille und BWL-Diplom, | |
der aus einer Bauernfamilie stammt und vor fünf Jahren eine E-Mail an | |
Hofreiter schrieb, weil er „unbedingt Teil eines innovativen, wachsenden | |
Unternehmens sein wollte“. Inzwischen hat er es in den Vorstand der KTG | |
Agrar geschafft, die als SE – Societas Europaea – firmiert, als | |
Aktiengesellschaft in der Europäischen Union. | |
Förtig weiß, dass die KTG in den Augen vieler für eine Entwicklung steht, | |
die darauf hinausläuft, dass Geld und Land in den Händen weniger | |
konzentriert sind. Investoren und Konzerne übernehmen immer mehr Flächen, | |
die Preise für Kauf und Pacht steigen rapide. Förtig lächelt schmal und | |
sagt: „Bei uns ist das so, dass wir uns mehr im internationalen Wettbewerb | |
sehen. Wir schauen im Moment vor allem nach Osteuropa. Und verglichen mit | |
den Verhältnissen dort, sind wir eher klein.“ | |
Aber wer eine Weile in den ländlichen Gegenden im Osten unterwegs ist, hört | |
andere Geschichten. Die handeln von einem Ausverkauf, der mit der Wende | |
einsetzte. Bernd Graebert*, Landwirt in der Altmark, Sachsen-Anhalt, sitzt | |
in seinem schmalen Wohnzimmer und erinnert sich, wie Siegfried Hofreiter | |
Mitte der 90er Jahre mit seinem jüngeren Bruder Werner in der Region | |
aufgetaucht ist. | |
## Der Umsatz stieg auf 165 Millionen Euro | |
## | |
Nach dem Ende der DDR wurde aus der Landwirtschaftlichen | |
Produktionsgenossenschaft (LPG) am Ort eine Agrargenossenschaft, die 1996 | |
vor der Pleite stand. Dann kamen die Hofreiters, sagt er, und die | |
Mitglieder ließen sich überreden, ihnen ihre Anteile günstig zu verkaufen. | |
„Wir haben das selbstständige Wirtschaften nicht gelernt“, sagt er. „Die | |
wussten, wie man mit Insolvenzen reich wird. Die standen immer gleich da, | |
wo eine Agrargenossenschaft auf der Kippe stand.“ | |
Er selbst konnte von Stadt, Kirche und dem Treuhand-Nachfolger BVVG 150 | |
Hektar pachten. Nur wollten die Hofreiters das nicht einfach hinnehmen, | |
sagt Graebert, zeigt aus dem Fenster. „Da unterm Nussbaum haben wir | |
diskutiert.“ Sie hätten ihm gesagt: Er schaffe das doch allein nicht. | |
Lieber solle er ihnen seine Flächen überlassen und für sie als Manager | |
arbeiten. „Ich wollte das nicht“, sagt er leise. Viele Eigentümer aber | |
hatten nichts dagegen, den Investoren Flächen zu verpachten, meist alte | |
Leute ohne Bindung an ihr Land: „Die waren froh, als die Hofreiters kamen.“ | |
Die KTG Agrar wächst und wächst: 2013 hat der Konzern seinen Umsatz um 50 | |
Prozent gesteigert, auf 165 Millionen Euro. Ein Viertel der Flächen, die | |
sie bewirtschaftet, ist Hofreiters Eigentum. Nun breitet sich das | |
Unternehmen zunehmend nach Osten aus: In Rumänien und Russland ist die KTG | |
bereits als Farmmanager aktiv. | |
In Oranienburg schlendert Benedikt Förtig durch den Schatten der | |
Maschinenhalle, vorbei an riesigen Mähdreschern und Traktoren, die aussehen | |
wie eine Mischung aus Marsfahrzeug und Panzer, gewaltige Maschinen mit 500 | |
PS. Zwar hat jeder Standort einen eigenen Maschinenpark, sagt Förtig, | |
zusätzlich aber gibt es eine Flotte von Mähdreschern, die sich zur | |
Erntezeit wie eine mobile Einsatzgruppe von Süden nach Norden wälzt, bis | |
nach Rügen, wo die Maschinen nach Litauen verschifft werden. „Wir haben in | |
der KTG-Gruppe 40 Mähdrescher, die jeweils zwischen 350.000 und 400.000 | |
Euro kosten. Die setzen wir so ein, dass das Erntefenster maximal | |
ausgenutzt wird.“ | |
Von Oranienburg aus werden die Aktivitäten auf allen Flächen des | |
KTG-Imperiums gelenkt. Sämtliche Maschinen sind per Satellit und GPS mit | |
der Zentrale verbunden. Förtig tritt auf einen Trecker hinter der | |
Maschinenhalle zu. Über eine Leiter geht es hoch zum Führerhäuschen. Neben | |
dem Sitz hängt ein Tablet, auf dem der Fahrer alles sehen kann. Der Trecker | |
fährt sogar von selbst seine festgelegte Route ab, vollautomatisch. „Alles | |
ist vernetzt“, sagt Förtig, „alles ist ein System.“ | |
## Marktführer Öko-Anbau | |
Inzwischen ist die KTG nicht mehr nur im Feldbau aktiv, sondern will die | |
gesamte Wertschöpfungskette abdecken. Sie hat zuletzt eine Reihe | |
insolventer Firmen aufgekauft, den Tiefkühlkosthersteller Frenzel, die | |
Anklamer Ölmühle, den Ökovermarkter Bio-Zentrale. Im Öko-Anbau ist die KTG | |
schon länger Marktführer, 50 Prozent seiner Flächen bewirtschaftet der | |
Konzern nach EU-Öko-Verordnung. Nun nimmt die Zahl der Veganer zu, und | |
deswegen konzentriert man sie sich jetzt auf gentechnikfreie Soja, sagt | |
Förtig: „Da gibt es enorme Potenziale.“ | |
Zudem betreibt die KTG Biogasanlagen. Dort werden Mais und Hirse verwertet, | |
die vorwiegend aus eigenem Anbau stammen. Zweimal im Jahr wird geerntet, | |
sagt Förtig, erst Getreide, dann Biomasse. Er hat sich in die Kantine | |
gesetzt, in einer Vitrine am Eingang stehen Fertiggerichte und | |
Kartoffelpüree zur Schau. Die KTG vertreibt die Produkte unter der Marke | |
„Die Landwirte“, die mit Slogans von Nachhaltigkeit und Bildern wie aus | |
einer Landlustfotostrecke für sich wirbt. „Der Trend geht in Richtung | |
Regionalität“, sagt Förtig. „Bio wird immer wichtiger. In den nächsten z… | |
Jahren sehen wir eine Riesenchance, diesen Markttrend mitzugestalten.“ | |
Rund 100 Kilometer weiter im Osten, im Oderbruch, bleibt von den glänzenden | |
Werbebildern nicht viel übrig. Dieter Frerichs*, ein ortsansässiger Bauer, | |
fährt von seinem Hof. Am Fenster zieht das Geschachtel der Felder vorbei, | |
Frerichs zeigt nach rechts und links. „Das ist KTG“, sagt er, „das ist | |
Odega“, eine weiterer Agrargroßkonzern. „Da wieder KTG.“ | |
## „Gegessen wird immer“ | |
Nach wenigen Minuten tauchen neben der Straße riesige graue Fassaden auf, | |
Betonhallen, von denen die Farbe blättert. Der Betrieb wirkt wie | |
stillgelegt. Die KTG hat die Siwuk Agrargesellschaft vor sechs Jahren | |
übernommen. Von den Beschäftigten sei nur ein Traktorist geblieben: „Den | |
lassen sie da, weil die sonst gar nicht wissen, welches ihre Felder sind.“ | |
Frerichs lacht laut auf, die Arbeiter kämen ja nur zur Ernte angefahren: | |
„Die sind immer zwei, drei Tage im Dorf, arbeiten Tag und Nacht und sind | |
dann wieder weg.“ | |
Mit seinem Agrarreich hat Siegfried Hofreiter eine Wette auf die Zukunft | |
abgeschlossen, die sich auf zwei Gewissheiten stützt: Die Weltbevölkerung | |
wächst. Zugleich werden die Ackerflächen wegen Erosion und der Ausbreitung | |
der Städte kleiner. Oder, wie er selbst oft sagt: „Gegessen wird immer.“ | |
Trotzdem ist unklar, ob das Geschäftsmodell auf die Dauer funktionieren | |
kann. Denn der Konzern ist stark von den EU-Flächenprämien abhängig. Die | |
KTG kassiert pro Jahr rund 10 Millionen Euro Subventionen. „Das Unternehmen | |
hat sein Wachstum mit Schulden erkauft“, sagt ein Finanzexperte, der anonym | |
bleiben will. Als die KTG Agrar 2007 an die Börse ging, hat er große | |
Erwartungen in sie gesetzt. Heute sagt er: „Es klingt wie eine schöne | |
Geschichte, doch man sollte sich nicht blenden lassen: Sie haben viel | |
investiert, aber die Rückflüsse sind nicht wie gewünscht.“ | |
Kleinere Betriebe aber können im Wettbewerb mit den Großkonzernen kaum | |
mithalten. In Oranienburg beschäftigt die KTG 25 landwirtschaftliche | |
Arbeitskräfte auf 4.000 Hektar, das sind 0,6 pro 100 Hektar. In | |
Ostdeutschland liegt der Durchschnitt bei 1,8, im Süden sogar bei 4,6. Um | |
zu verstehen, wie die Bedingungen in den hoch rationalisierten Betrieben | |
für die Beschäftigten aussehen können, hilft ein Anruf bei Jan Bröcker*. Er | |
hat bis 2013 am KTG-Standort Marxdorf gearbeitet. Zu seinen Aufgaben | |
gehörte es, Biomasse zu den Biogasanlagen zu fahren. „Es gab nur Stress, | |
Stress, Stress. 16 Stunden Arbeit am Tag waren normal.“ 6,50 Euro pro | |
Stunde habe er verdient, und wenn sich einer beschwerte, sagt er, hieß es | |
immer: „Na, ihr wollt doch arbeiten!“ | |
## Profitabilität steigern | |
Benedikt Förtig spaziert zwischen den Erdbeerfeldern. „In der Vergangenheit | |
war es so, dass man im Osten sehr günstig Arbeitskräfte anstellen konnte“, | |
sagt er. Inzwischen aber sei es schwer, gute Mitarbeiter zu finden. | |
Deswegen werde das Entlohnungssystem gerade umgestellt, zudem gebe es | |
Prämien und Aufschläge. Niemand, sagt er, arbeite für 6,50 Euro für die | |
KTG. | |
Nur, wie groß soll der Konzern noch werden? „Wir werden weiterhin organisch | |
wachsen, aber nicht mehr in dem Maße investieren. Unser Ziel ist jetzt, die | |
Investitionen zu strukturieren und die Profitabilität zu steigern.“ | |
Ringsum dehnen sich die Äcker aus. Der Mais steht mannshoch, das Getreide | |
leuchtet sattgelb, Acker schließt an Acker, bis zum Horizont. So könnte die | |
Zukunft der Wirtschaftsstruktur im ländlichen Raum aussehen, oder ihr Ende. | |
Demnächst wird die Ernte beginnen. | |
*Namen geändert | |
6 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Gabriela Keller | |
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