# taz.de -- Konflikt um Ackerland im Osten: Die staatliche Enteignung | |
> Ökobauern mussten ihre Flächen aufgeben. So wollten es Agrarministerium | |
> und Treuhandnachfolger. Die Anatomie einer Zerstörung. | |
Bild: Dieter und Cosima Saul haben 500 Milchkühe, aber kein eigenes Land mehr,… | |
GÖBEL taz | Der Zigarillo klemmt in seinem Mundwinkel, als sei er | |
angewachsen. Rauchen gehört zum letzten Luxus, den sich Dieter Saul | |
gestattet. Er öffnet das Gatter, nicht mehr benutzte Gerätschaften stehen | |
im Schlamm. | |
Der Traum vom eigenen Betrieb, von Unabhängigkeit und freiem Leben fällt in | |
Göbel in Sachsen-Anhalt in sich zusammen. Der Stall ist so marode, dass ein | |
Wildschwein eindringen konnte, um die Sau zu besteigen. Nun befüllt Cosima | |
Saul, eine kräftige Bäuerin mit Arbeitshänden, die Tröge für die jungen | |
Wild-Hausschwein-Mischlinge. | |
Von ihren 500 Kühen leben 400 in Mecklenburg-Vorpommern „in Pension“, wie | |
sie sagt. Eigenes Land, das die Tiere ernähren könnte, besitzen die Sauls | |
nicht mehr. Enteignet vom Staat, sagt Cosima Saul. Die Geschichte | |
wiederhole sich. Sie bezieht sich auf die Kollektivierung der | |
Landwirtschaft in der DDR. Cosima Saul stammt aus Finsterwalde in | |
Südbrandenburg, Landwirtschaft studierte sie an der Humboldt-Uni in | |
Ost-Berlin. | |
Die Wiederholung der Geschichte begann an jenem Tag im Mai 2004, als der | |
Brief der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) eintraf. | |
Die BVVG: Ein Nachfolgeunternehmen der Treuhand, nach der Wende gegründet, | |
um die Wald- und Ackerflächen der DDR zu privatisieren. Tausende Hektar | |
verscherbelte die Firma zu Dumpingpreisen an Ex-LPG-Vorsitzende. Experten | |
sprechen heute von einem Subventionsbetrug in zweistelliger Milliardenhöhe | |
(taz vom 31. 5., „Die Saat ist aufgegangen“). | |
Für die Sauls repräsentiert die BVVG ihr Übel. | |
Mitte der 1990er Jahre war es, als ihnen ihr Betrieb im Kreis Cuxhaven mit | |
50 Hektar zu klein wurde. Die Biobauern wollten Freilaufställe für ihre | |
Kühe, und so schauten sie sich im Osten um. Hier waren die Ackerflächen so | |
weit wie in Osteuropa oder Russland: mitunter über 5.000 Hektar groß. | |
## Das Ende beginnt an einem Tag im Mai | |
Im Februar 1996 pachtet die Milchhof Saul GbR 304 Hektar Acker und Grünland | |
von der BVVG. Dieter Saul zeigt eine Luftaufnahme. „Wir haben einen hohen | |
Lehmanteil. Wenn die Sonne hoch steht, wird der Boden hart wie | |
Ziegelstein.“ 2002 führt das Hochwasser zu Ernteausfall, ein Jahr später | |
die Dürre. Die Sauls geraten mit einer Pachtrate von 7.145,30 Euro in | |
Rückstand – nicht das erste Mal. So etwas ist nicht ungewöhnlich: Auch bei | |
Großbetrieben kommen verspätete Zahlungen vor. Doch für die Sauls ist | |
rückblickend der 3. Mai 2004 der Tag, an dem ihr Ende begann. | |
Am Morgen besucht sie die Amtstierärztin. Die warnt, die Pachtflächen | |
würden ihnen gekündigt werden. Sie habe so etwas schon einmal erlebt, mies | |
sei das abgelaufen, wie eine Enteignung. Die Sauls wollen das nicht | |
glauben. Doch schon gegen Mittag fährt ein Tiertransporter der Nord/LB auf | |
den Hof. Er sei hier, sagt der Fahrer, um ihr Kühe zu pfänden. | |
Die Sauls sind schockiert. Woher weiß die Bank von der Kündigung, über die | |
sie selbst nicht informiert sind? Erst zwei Tage später, am 5. Mai, finden | |
sie das Kündigungsschreiben der BVVG im Briefkasten. Das dokumentiert der | |
Einlieferungsbeleg. „Fristlos mit Wirkung zum 01.05.2004“ werden sie | |
aufgefordert, „die Flächen zu diesem Termin zu räumen“. Der Brief ist auf | |
den 28.04.04 datiert. | |
## Pflanzen mit Gift vernichtet | |
Dabei habe Ende April 2004 die Buchhalterin der Sauls wegen des | |
Pachtrückstandes bei der BVVG-Niederlassung in Magdeburg angerufen. Der taz | |
liegt die eidesstattliche Versicherung der Buchhalterin vor. Regress sei | |
nicht zu befürchten, habe es geheißen. Anfangs glauben die Sauls noch, es | |
handle sich um ein Missverständnis. Denn zu dieser Zeit wissen sie nicht, | |
dass die BVVG bereits am 29. 4. 2004 die neuen Pächter kannte: knapp eine | |
Woche bevor die Sauls offiziell von der Kündigung erfahren. | |
Wem Cosima Saul ihren Fall erklärt, dem wird schwindelig. Der juristische | |
Kampf dominiert seit Jahren ihr Leben. Statt die Felder zu bestellen, kann | |
sie agrarrechtliche Einschätzungen formulieren, die von Spezialwissen | |
zeugen. Dutzende Anwälte hat das Paar konsultiert. | |
Noch im Mai 2004 gehen die neuen Pächter unrechtmäßig auf die Flächen der | |
Sauls. Sie vernichten ihre Pflanzen mit Herbiziden. „Die chemische | |
Behandlung diente erklärtermaßen dazu, den von der Verfügungsklägerin | |
angesäten Aufwuchs zu zerstören“, heißt es in einem Urteil des | |
Oberlandesgerichts Naumburg zu ihrem Fall. Sie erwirken noch eine | |
einstweilige Verfügung und verbannen die Neupächter bis Ende Oktober 2005 | |
von den Äckern. Dann ist Schluss. | |
## Das Ministerium enthält den Sauls Zahlungsansprüche vor | |
Mit der Kündigung der BVVG-Pacht enthält ihnen plötzlich auch das | |
Ministerium für Landwirtschaft in Sachsen-Anhalt die „Zahlungsansprüche“ | |
vor. Die sind die Voraussetzung für die Auszahlung der lukrativen | |
Betriebsprämien. Ein Hektar bringt etwa 300 Euro. Bei den Sauls soll sich | |
die Summe über die Jahre auf mehrere Hunderttausend Euro belaufen. | |
Das Vorgehen des Ministeriums erstaunt, denn Zahlungsansprüche sind nicht | |
an die Bedingung einer Pacht oder den Besitz von Ackerflächen geknüpft. Die | |
Ansprüche sind am Markt sogar frei handelbar. Diese Zahlungsansprüche | |
erwirbt, wer einer Fläche zu einem bestimmten Stichtag bewirtschaftet. Das | |
bestätigen mehrere Experten der taz. | |
Das Ministerium argumentiert, die Nachpächter hätten ebenfalls | |
Zahlungsansprüche geltend gemacht. Ein kaum haltbares Argument, um den | |
Sauls ihre Ansprüche zu entziehen. | |
## Waren die Mitarbeiter überfordert? | |
Der Fachanwalt Ingo Glas von der Kanzlei Geiersberger Glas & Partner, der | |
auch als Vorsitzender des Fachausschusses für Agrarwirtschaftsrecht in der | |
Deutschen Gesellschaft für Agrarrecht amtiert, sagt: „Ausschlaggebend für | |
die Zahlungsansprüche ist, wer die Fläche maßgeblich bewirtschaftet hatte, | |
und nicht, wer sie zu diesem Zeitpunkt zu Recht gepachtet hatte. Das gilt | |
auch bei Doppelbeantragung von Zahlungsansprüchen.“ Das ist keine Frage der | |
Auslegung. Die Sauls können nachweisen, dass sie die Flächen am Stichtag | |
beackerten. | |
Auf Anfrage der taz schickt der Pressesprecher des Ministeriums | |
kurioserweise ein Urteil, das die Rechtsauffassung der Sauls gerade | |
bestätigt und seine eigene widerlegt. Waren die Mitarbeiter überfordert, | |
oder wollen sie in der komplexen Rechtsmaterie Verwirrung stiften? | |
Dagegen spricht, dass sich das Ministerium mit der BVVG absprach, um den | |
Sauls die Zahlungsansprüche vorzuenthalten. | |
## Ein seltsames Treffen in Dessau | |
So kommt es am 26. April 2006 zu einem Treffen im | |
Landwirtschaftsministerium in Dessau. Der taz liegt eine entsprechende | |
Gesprächsnotiz vor. Das Treffen initiierte der Niederlassungsleiter der | |
BVVG in Sachsen-Anhalt, Hans-Egbert von Arnim. „Er bat darum, ob nicht doch | |
eine Prämienzahlung für das Antragsjahr 2004 an Herrn XX [den Folgepächter; | |
Anm. d. Red.] erfolgen kann“, heißt es. | |
Ein Vertreter des Amtes für Landwirtschaft, Flurneuordnung und Forst Anhalt | |
(ALFF), die zuständige Fachbehörde, betont: Man „kann lt. EU-VO | |
[Verordnung: Anm. d. Red.] keine Prämienzahlung für Herrn XX vornehmen.“ | |
Es ist nicht das erste Mal, dass Mitarbeiter der Fachbehörden das | |
übergeordnete Ministerium darauf hinweisen, dass den Sauls die | |
Zahlungsansprüche nicht vorenthalten werden dürften. So schreibt eine | |
Mitarbeiterin des Landwirtschaftsamtes in einer Mail vom 15. Februar 2006, | |
dass „sämtliche Prämienvoraussetzungen des Antrages eingehalten“ worden | |
seien. Die Nachpächter hingegen „haben diese Flächen weder beantragt noch | |
bewirtschaftet“. | |
## Eine fehlerhafte Beurteilung wird per Erlass zu Recht erklärt | |
Die Beamtin bittet ihren Kollegen im Ministerium, „die Förderung an die | |
Milchhof Saul GbR auszuzahlen“. Auch das Landesverwaltungsamt, heißt es im | |
Mailverkehr, schließt sich der „Rechtsauffassung des ALFF Anhalt | |
vollinhaltlich an“. | |
Doch das Ministerium lässt sich nicht überzeugen. Man wolle sich „intern | |
hierzu abstimmen“, schreibt der Mitarbeiter in einer Mail an seine | |
Kollegen. | |
Kein Einlenken. Vielmehr erlässt das Ministerium nun sogar eigens für den | |
Fall Saul eine Anweisung an das Landesverwaltungsamt: Der Erlass vom 30. | |
Mai 2006 liegt der taz vor. Betreff: „Doppelbeantragung von | |
Zahlungsansprüchen.“ Darin steht: „Die Zahlungsansprüche sind demjenigen | |
Antragsteller zuzuteilen, der am Stichtag (17.5.2005) hinsichtlich der | |
streitigen Flächen das Recht zu Besitz hatte.“ Eine juristisch fehlerhafte | |
Beurteilung wird per Erlass zu Recht erklärt. | |
## „Wie Wild zugunsten von Großbetrieben erlegt“ | |
Das Ministerium dementiert das merkwürdige Treffen in Dessau nicht. | |
Anwesend war auch der damalige Staatssekretär Hermann Onko Aeikens – der | |
jetzige Landwirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt. | |
Das Ministerium schreibt zur Rolle von Aeikens: „Das Fachreferat hat das | |
Verfahren betrieben und entschieden, das war keine Entscheidung des | |
damaligen Staatssekretärs.“ Der Vorschlag des BVVG-Niederlassungsleiters, | |
die Ansprüche dem Folgepächter zuzugestehen, sei „nicht als Empfehlung“ zu | |
bewerten, sondern „eine Meinungsäußerung, mehr nicht“. Auch die BVVG | |
streitet ab, Empfehlungen abgegeben zu haben. Aber man „arbeite eng mit den | |
Behörden zusammen“, heißt es von der Pressestelle. | |
Die Bauern können nicht belegen, warum ihnen die Existenz zerstört wurde. | |
Sie können über personelle Verflechtungen und Komplizenschaft mutmaßen. | |
Doch das ist schwer nachprüfbar. Ein Agrarökonom, der ihre Akten kennt, | |
sagt: „Die Sauls wurden wie Wild zugunsten von Großbetrieben erlegt, die | |
man fördern wollte.“ | |
Nach verschiedenen Pächterwechseln bewirtschaftet heute KTG Agrar AG einen | |
Teil der BVVG-Flächen der Biobauern: die Aktiengesellschaft, die mit etwa | |
30.000 Hektar der Agrargigant in Deutschland ist. | |
Auf dem verfallenen Hof der Sauls rosten mittlerweile die Wasserleitungen, | |
ein Eimer Wasser ersetzt die Klospülung. Die selbstständigen Bauern | |
beziehen Unterstützungsleistungen. Draußen zieht ein Mastinomix seine | |
Lefzen hoch und knurrt, als gäbe es etwas zu verteidigen. | |
21 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Kai Schlieter | |
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