# taz.de -- Biovegane Landwirtschaft: Gurke ohne Tier | |
> Düngen ohne Mist und Gülle? Agrarverbände sagen, das sei utopisch. Der | |
> Gärtnerhof Bienenbüttel zeigt: Landwirtschaft kann auch vegan | |
> funktionieren. | |
Bild: Für Sarah Kerwath „kommt das hier der Anbauweise am nächsten, was ich… | |
LÜNEBURGER HEIDE taz | Eugen Ehrenberg hätte gerne ein Pferd gehabt. | |
Vielleicht mit einem Pflug für seine Äcker. Das sei umweltfreundlicher als | |
die zwei Traktoren, die der Gärtnerhof Bienenbüttel jetzt benutzt. Aber er | |
und seine zwei Freunde entschieden sich damals gegen das Pferd. Die | |
überzeugten Vegetarier wollten einen Betrieb gründen, der Tiere weder hält | |
noch nutzt und auch auf Tierprodukte verzichtet. 35 Jahre später gibt es | |
eine Bezeichnung für dieses Konzept: biovegane Landwirtschaft. Und | |
Ehrenberg ist sich sicher, die Nachfrage danach wird weiter wachsen. | |
Der Hof in der Lüneburger Heide benutzt keine chemischen Unkrautvernichter | |
und auch keine tierischen Düngemittel wie Gülle, Mist oder Horn. Auch | |
Nutztiere gibt es dort nicht. Die Hofgemeinschaft düngt mit Gemüseabfällen | |
und pflanzlichen Düngerpellets. Kritiker bemängeln, dies sei kein | |
industrietaugliches Konzept. Tiere fräßen nun mal Pflanzen und gäben die | |
Nährstoffe durch ihren Mist an den Boden zurück. | |
Dies sei der „natürliche Kreislauf“. Der große Vorteil, den konventionelle | |
Bauern von Mist und Gülle haben: Ihr Stickstoff ist billiger als der auf | |
dem Gärtnerhof. Für die Versorgung muss dort immer ein Jahr lang eines der | |
drei Felder brachliegen. Bakterien im Kleegras bündeln den Stickstoff aus | |
der Luft und versorgen so den Acker für die kommenden zwei Jahre mit | |
Nährstoffen. Gerade blüht das Kleegras lila. | |
Auf dem Feld nebenan steigt Sarah Kerwath barfuß in den feuchten Acker, um | |
Salate zu ernten. Wenn sie sich hinhockt, sind die zwischen den Salatköpfen | |
wachsenden Meldensträucher größer als die 27-Jährige. Andere würden Melden | |
wohl als Unkraut bezeichnen und bekämpfen. Auf dem Gärtnerhof Bienenbüttel | |
sagen die Mitarbeiter dazu „Wildkräuter“. Dem Salat schadet das Kraut | |
nicht, die Köpfe sind riesig: Acht davon in einer Kiste sind üblich im | |
Großhandel. Kerwath bringt in den genormten Kisten nur sechs Stück unter. | |
„Das hier kommt der Anbauweise, die ich unter bio verstehe, am nächsten“, | |
sagt die 27-Jährige. | |
## Tiere sollen nicht „zu unserem Vorteil leiden“ | |
Der Gärtnerhof Bienenbüttel ist einer der wenigen gewinnorientierten | |
bioveganen Höfe in Deutschland. Sonst betreiben meist Gemeinschaftsgärten | |
bioveganen Anbau. Insgesamt listet der Vegetarierbund Deutschland 22 | |
viehlose oder biovegane Betriebe in Deutschland auf. „Viehlos“ heißt, dass | |
der Hof weniger als 0,2 ausgewachsene Rinder pro Hektar Land hält. | |
Vor fünf Jahren begann Sarah Kerwath ihre Ausbildung zur Gärtnerin mit | |
Fachrichtung Gemüsebau auf dem Hof. Ihr Studium in VWL und | |
Nachhaltigkeitsnaturwissenschaften brach sie ab, sie wollte „mit der Natur | |
leben“. Nach der Ausbildung wechselte sie auf einen Hof, der auch Kühe | |
hielt. Seit März ist sie wieder zurück in Bienenbüttel. | |
„Für mich ist hier der große Unterschied, dass Tiere nicht für unseren | |
Vorteil leiden müssen.“ Kerwath bemängelt die Züchtung der Tiere in der | |
konventionellen Landwirtschaft: Milchkühe, deren Knochen zu schwach für das | |
Gewicht seien und die physisch gar nicht mehr in der Lage seien, | |
herumzulaufen. Neben den fünf Mitarbeitern leben weitere vier Personen auf | |
dem Hof. | |
Auch Gründer Eugen Ehrenberg lebt hier, arbeitet aber nicht mehr auf dem | |
Feld. Der 60-Jährige sitzt im Rollstuhl auf der Terrasse vor dem Haupthaus. | |
Auf dem karierten Tischtuch neben ihm steht eine Teekanne, die frischen | |
Kräuterhalme schwimmen im Wasser. „Wenn man die Kritik an der Tierhaltung | |
konsequent zu Ende denkt“, sagt Ehrenberg, „ist biovegane Landwirtschaft | |
die einzige Option.“ | |
## Keine Vorbilder | |
Als Eugen Ehrenberg 25 Jahre alt war, hat er mit zwei Freunden den Betrieb | |
gegründet. „Alle haben gedacht, was machen die für einen Quatsch“, erinne… | |
er sich. Drei Männer, die nicht aus der Gegend kamen, die biologisch | |
anbauen wollten, was damals unüblich war, und dann noch ohne Tierhaltung | |
und -produkte. „Es gab wenige, die uns vormachen konnten, wie das geht“, | |
sagt Ehrenberg. „Wir haben es einfach ausprobiert.“ Ein weiteres Problem, | |
das die drei Jugendfreunde hatten: „Wir hatten nie Geld“, sagt Ehrenberg. | |
Sie begannen mit einem kleinem Haus und bauten nach und nach Räume an. | |
Heute steht auf dem Hof ein Fachwerkhaus im 70er-Jahre-Schick, mit | |
Holzvertäfelung und Teppichboden. In der Küche essen die Bewohner zusammen, | |
nebenan gibt es ein großes Musikzimmer. Auf den wild gemixten Teppichen | |
stehen Harfe, Klavier und ein Positiv, eine kleine Orgel ohne Pedale. Neben | |
dem Haupthaus gibt es Kühl- und Lagerräume, in Richtung Acker liegen noch | |
zwei Bungalows für die Bewohner, gleich dahinter ist ein Wildblumengarten. | |
Die vier Hektar Acker in Bienenbüttel teilen sich in rund 100 Parzellen. | |
Kartoffeln, Kürbisse, Rote Bete, Mangold wachsen hier – insgesamt 60 | |
Sorten. Zwischen den Beeten stehen Blühstreifen. Diese sind „Rückzugsort | |
für die Gegenspieler der Insekten, die unsere Pflanzen fressen“, erklärt | |
Klaus Verbeck, Geschäftsführer des Gärtnerhofs. Das sei keine | |
Schädlingsbekämpfung, sondern die „Nützlinge“ sollen das „Gleichgewicht | |
herstellen“. Verbeck ist behutsam in seiner Wortwahl. Auf Fragen antwortet | |
er mit keiner Silbe mehr als nötig: Wie läuft der Hof wirtschaftlich? | |
„Gut“. Leben Sie vegan? „Ja“. „Warum ist vegan leben wichtig? „Wei�… | |
ich bin kein Ethikprofessor.“ | |
## Das Ehec-Desaster | |
Bisher hat Verbeck schlechte Erfahrungen mit Journalisten gemacht. „Wie | |
verkraftet Bienenbüttel die Ehec-Schande?“, fragte bild.de, „Paradies für | |
Keime“, schrieb der Spiegel. Der Biohof stand im Verdacht, Ursprungsort des | |
Ehec-Bakteriums zu sein, das sich 2011 ausbreitete. „Weil es sonst nichts | |
zu berichten gab“, sagt Verbeck, „belagerten Journalisten tagelang den Hof | |
und fragten die Nachbarn aus.“ | |
Doch einen Beweis für den Ehec-Verdacht gab es nie. Alle tausend auf dem | |
Hof entnommen Proben waren negativ. Kaufen wollten die Kunden die Sprossen | |
trotzdem nicht mehr. Die damalige Sprossenzucht, die einen großen Teil des | |
Umsatzes ausmachte, musste Verbeck aufgeben. Inzwischen gibt es jedoch | |
anderes Potenzial, um Geld zu verdienen. Seit drei Jahren bewirbt der | |
Gärtnerhof seine Produkte auf dem Lüneburger Wochenmarkt mit dem Label | |
„biovegan“. Erst seit ein paar Jahren werde Veganismus immer mehr | |
akzeptiert, meint der 46-Jährige, davor habe er Kunden eher abgeschreckt. | |
Der Markt für vegan angebautes Gemüse wird wachsen, wenn das ökologische | |
Bewusstsein wächst, sagt Klaus Verbeck. Der Bienenbütteler Hof wächst | |
jedoch erst mal nicht. „Dann bräuchten wir ein größeres Kühlhaus und neue | |
Transporter“, erklärt der Geschäftsführer. „Für die Direktvermarktung s… | |
wir gerade gut ausgestattet.“ Außer auf dem Wochenmarkt verkauft der Hof | |
die Produkte freitags im Hofladen, zudem gibt es einen Austausch mit | |
anderen Landwirten aus der Gegend. Verbeck nimmt ihnen vor allem Obst für | |
den Wochenmarkt ab. Abgesehen von Äpfeln, Erdbeeren und Zwetschgen hat der | |
Gärtnerhof nur wenig davon. | |
## Die Briten sind weiter | |
Von den Einnahmen leben alle Hofbewohner. Natürlich sei es möglich, | |
biovegane Landwirtschaft auch auf 10.000 Hektar zu betreiben, sagt Verbeck. | |
„Entscheidend ist jedoch die Artenvielfalt. Wenn man 10.000 Hektar Mais | |
anbaut, ist das kein Bio mehr.“ Nie wollte er zu einem dieser großen | |
Betriebe gehören, wie sie in Ostdeutschland üblich sind. Am liebsten | |
verkauft er das Gemüse selbst. | |
Nach der Salaternte geht Sarah Kerwath hinüber zu den Gewächshäusern, in | |
denen Tomaten, Gurken und Kräuter wachsen. Sie will Proviant für die Reise | |
pflücken, später am Tag reist sie nach England, um ein Praktikum auf einem | |
bioveganen Hof zu absolvieren, bei einem Gründer des Vegan Organic Network. | |
In Großbritannien und Österreich ist die biovegane Community größer als in | |
Deutschland. Das Netzwerk hat Richtlinien beschlossen, wie bioveganer Anbau | |
aussehen sollte, und sich ein Siegel als „Stockfree Organic“ gegeben: zwei | |
Blätter, die wie ein „V“ sprießen, in der Mitte eine Sonne. Damit bewerben | |
sie biovegane Produkte. | |
In Deutschland ist das Netzwerk noch nicht so weit. „Es fehlt das | |
Bewusstsein bei den Leuten dafür, wie eine Gemüseproduktion aussieht“, sagt | |
Eugen Ehrenberg. „Die Leute gehen einfach in den Supermarkt, und da liegt | |
es dann.“ Doch das werde sich ändern, davon ist Ehrenberg überzeugt. „Dass | |
biologischer Anbau mal so sehr nachgefragt wird, hätte vor 30 Jahren auch | |
keiner gedacht.“ | |
18 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bednarczyk | |
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