| # taz.de -- Ernährungstrend Veganismus: Aus Tiersicht für die Katz | |
| > Es gibt VeganerInnen, die sich von Nudeln und Erdnussbutter ernähren. | |
| > Gesund ist anders. Und sie sind nicht automatisch bessere Menschen. | |
| Bild: Wird in Deutschland selten gegessen | |
| Trifft man eine Veganerin am Herd, entstehen mitunter absurde Dialoge: | |
| „Puh, rote Bete. Die mag ich gar nicht. Können wir die nicht weglassen?“ | |
| „Meinst du Bete aus dem Glas, dieses geriffelte Zeug?“ | |
| „Ja.“ | |
| „Stimmt, die ist ekelhaft: zu süß, zu erdig. Unsere wird ganz anders | |
| sein.“„Nehmen wir trotzdem weniger?“ | |
| „Wenn’s sein muss.“„Puh, wie du da reinschneidest, das sieht aus wie Bl… | |
| Eigentlich hätte sich das weitere Gespräch um unser Lieblingsgemüse drehen | |
| müssen, seinen Geschmack, seinen Biss, seine visuelle Wucht. Stattdessen | |
| habe vor allem ich geredet: über Mangold, Topinambur, Quitten. Irgendwann | |
| habe ich sie gefragt: „Aber du bist schon Veganerin?“, was sie bejaht. „V… | |
| was ernährst du dich dann eigentlich?“ Die Antwort: von Nudeln und | |
| Erdnussbutter. Meistens. | |
| Da kam mir zum ersten Mal der Gedanke: Veganer sind nicht automatisch | |
| bessere Menschen. Und: Warum wird man überhaupt Veganer? Es gab eine Zeit, | |
| da nahm man Abschied vom Fleisch, weil man Tieren kein Leid zufügen wollte. | |
| Heute ist das allenfalls ein Kollateralnutzen. Veganismus, der komplette | |
| Verzicht auf Tierisches, also auch auf Milch, Eier, Honig und andere | |
| Nahrungsmittel, die von Tieren stammen, ist gerade im Trend, in etwa so wie | |
| vor Jahren Trennkost oder die mediterrane Diät. Trend ist ein | |
| verräterisches Wort. Bedeutet Veganismus als Trend doch: Man will | |
| zuallererst seinem Körper etwas Gutes tun. | |
| Im Unterschied zu früher folgt man den Moden nicht nur temporär, sondern | |
| man denkt ganzheitlicher über die Ernährung nach. Die berüchtigten | |
| Auswirkungen des Jo-Jo-Effekts haben dazu geführt, dass sich viele nicht | |
| nur in der Fastenzeit nach den Regeln der Brigitte-Diät oder anderen | |
| modernen Ausformungen milden Fastens ernähren. | |
| Sie verbinden Essen stärker mit der Frage: Wie will ich leben? Das führt | |
| mitunter zu den absonderlichsten Essgewohnheitsverortungen: Man trennt | |
| zwischen Ur-Veganern und Lifestyle-Veganern, Flexitariern und | |
| Ovo-Lacto-Vegetariern, Licht-, Ur- und Rohköstlern – die mal vegetarisch | |
| essen, aber auch omnivor oder carnivor. Da ist dann die Grenze zum | |
| Anapsologistentum fast erreicht, was man aber wiederum nicht verwechseln | |
| darf mit der Primaten-Diät. Keine Ahnung, wovon hier die Rede ist? Macht | |
| nichts. | |
| ## Regeln | |
| Ernährungsweisen werden heute ähnlich klassifiziert wie vor zwei | |
| Jahrzehnten Stilrichtungen der Rockmusik: Sleazerock, Grindcore oder | |
| Garage-Punk. Subgenres mit einem Abstraktionsniveau, das sich irgendwann | |
| verselbstständigt. Veganer kann man daher aus den unterschiedlichsten | |
| Gründen sein. Bei meiner Bekannten, der Erdnussbutter-Veganerin, war es | |
| noch der klassische Fall: Als sie einen Artgenossen ihres geliebten | |
| Kaninchens essen sollte, verging ihr der Appetit auf Fleisch. | |
| Anderen geht es heute schlicht um Fitness oder sogar darum, wegen ihrer | |
| altertümlichen Ernährungsweise in bestimmten Milieus einfach nicht | |
| aufzufallen. Denn der Mensch definiert sich immer darüber, was er isst. Das | |
| liegt daran, dass der Bereich Kulinarik gerade erst da ankommt, wo Mode und | |
| Einrichtung schon längst sind. In einer Konsumindustrie, die nach dem | |
| Prinzip „Alles ist möglich“ funktioniert. Selbst kleinste Supermärkte in | |
| der Provinz machen es möglich, sich heute saisonal zu ernähren, morgen | |
| Gäste zum chinesischen Schweinetopf einzuladen und übermorgen auf vegan zu | |
| wechseln. Um mit dem Überfluss klarzukommen, suchen sich nicht wenige eine | |
| Essensreligion. Wir designen unser Essen nach strengen Regeln. | |
| Der Verzicht auf Fleisch, Wurst, Milch und Käse mag wie ein radikaler | |
| Schnitt sein. Er erfüllt aber auch einige Funktionen. In den Augen vieler | |
| Menschen zeigen sich die schlechten Seiten der Nahrungsindustrie vor allem, | |
| wenn es ums Fleisch geht: Massentierhaltung, Pferde-Lasagne, Sklavenarbeit | |
| in Schlachthöfen sind nur die Beispiele jüngeren Datums. Also einfach weg | |
| damit? | |
| Um beim Beispiel meiner Erdnussbutter-Veganerin zu bleiben: Ein | |
| kindlich-naiver Wechsel zum Gutmenschentum ist aus Tiersicht für die Katz. | |
| Bezeichnet man schon allein den Wechsel zum Gemüse als politischen Akt, | |
| handelt es sich um einen Boykott, der nur für diejenigen, die es machen, | |
| enorme Folgen hat. Aber macht er auch die Welt ein bisschen besser? Nein. | |
| In Wahrheit nämlich ist dadurch die Systemfrage noch nicht mal angekratzt. | |
| Selbst die optimistischsten Statistiken zeigen: Dass sich die Zahl der | |
| Vegetarierinnen in Deutschland seit 2006 auf 3,6 Prozent der | |
| Gesamtbevölkerung verdoppelt hat und mehr als die Hälfte der Deutschen | |
| angeben, öfter Fleisch wegzulassen, hat für den Durchschnittsverbrauch und | |
| die Fleischproduktion marginale Auswirkungen. Pro Kopf werden hierzulande | |
| im Jahr noch immer 59,2 Kilo Fleisch gegessen – immer noch mehr als doppelt | |
| so viel, als die renommierte Deutsche Gesellschaft für Ernährung aus | |
| medizinischer Sicht empfiehlt. Erst seit 2013 ist der Verbrauch leicht | |
| gesunken. Aber was die Fleischwirtschaft im Inland verliert, macht sie mit | |
| Exporten mehr als wett. | |
| Weltweit entstehen riesige Märkte. Der Fleischhunger nimmt vor allem in den | |
| aufstrebenden Schichten der Schwellenländer zu. China steht an erster | |
| Stelle, viel eindrucksvoller ist aber das Beispiel Indien, ein Land, in dem | |
| der Fleischverzicht tief in der Kultur verankert ist. 31 Prozent der Inder | |
| geben an, sie seien Vegetarier. | |
| ## Explosion | |
| Seit Beginn des Wirtschaftsbooms Anfang der neunziger Jahre passt aber vor | |
| allem die Mittelschicht in den indischen Städten ihre Lebensweise dem | |
| westlichen Vorbild an. Fleischessen, Non-Veg, wie man dort sagt, ist zum | |
| Statussymbol geworden, so wie in Deutschland der Fleischverzicht. | |
| Die Organisation für Ernährung und Landwirtschaft der Vereinten Nationen | |
| geht davon aus, dass sich auf dem Subkontinent allein die Nachfrage nach | |
| Geflügel in den nächsten dreißig Jahren verzehnfachen wird. Schon heute ist | |
| Indien, ein Spezialist für Büffelzucht, der zweitgrößte Rinderexporteur | |
| nach Brasilien. | |
| Im Land des Vegan-Booms indes befürchtet man, dass die Nachteile der | |
| Massenproduktion inzwischen auch den Öko-Sektor durchdringen. Und was ist | |
| mit den veganen Produkten? Es existieren zwar schon einige Siegel, die | |
| garantieren, dass Lebensmittel ohne tierische Inhalte oder Tierversuche | |
| hergestellt worden sind, aber richtig verlässlich ist kaum eines. | |
| Über die Qualität sagen sie auch nichts aus. Wie kommt der Geschmack in die | |
| Tofuleberwurst oder den Sojaburger? Die Antwort ist oft: durch Hefeextrakt, | |
| in dem aber auch das geschmähte Glutamat natürlicherweise drin ist. | |
| Nicht falsch verstehen: Veganismus ist zumindest nichts Schlimmes. Aber wer | |
| sich besser ernähren und eine Welt fördern will, in der Tiere weniger | |
| leiden müssen, darf es nur als ersten Schritt betrachten, wenn er kein | |
| Fleisch mehr auf den Teller legt. Wenn das nachhaltig bleiben soll, dann | |
| führt leider kein Weg an einem Veganismus vorbei, der politisch gedacht | |
| wird und über den eigenen Tellerrand hinausgeht. | |
| 2 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Jörn Kabisch | |
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