| # taz.de -- Hilal Sezgin über Tierrechte: „Ich bin auch zu nichts nutze“ | |
| > Die Publizistin Hilal Sezgin spricht auf der Hamburger Tagung "Animal | |
| > Politics". Sie lebt in der Lüneburger Heide mit Schafen, die nichts | |
| > anderes tun sollen, als zu existieren. | |
| Bild: Ob diese Hühner Bürgerrechte brauchen, ist strittig - ein Lebensrecht w… | |
| taz: Wie viele Staatsbürger leben auf Ihrem Hof, Frau Sezgin? | |
| Hilal Sezgin: Da muss ich mich am geltenden Recht orientieren – und dann | |
| bin nur ich hier Staatsbürgerin. | |
| Das kanadische Autorenpaar Kymlicka / Donaldson fordert Bürgerrechte für | |
| Tiere. | |
| Dennoch ist es leider so, dass nach dem jetzigen Stand Tiere kaum Rechte | |
| haben. Auch wenn ich nicht das Gefühl habe, dass die Schafe auf meinem Hof | |
| mir gehören, vor dem Gesetz ist es so. | |
| Wie einig ist sich die Tierrechts-Szene, die sich ab Mittwoch auf der | |
| Tagung „Animal Politics“ trifft, in ihren Forderungen? | |
| Da bin ich gespannt. Das Konzept der Kanadier ist sehr weitgehend. Ich bin | |
| mir nicht bei allem sicher, ob ich da mitgehe. Aber man muss die Grenzen | |
| des allgemein Anerkannten immer wieder austesten. Wir kämpfen hier noch mit | |
| der Forderung nach Lebensrecht für die Tiere und da kommen Kymlicka und | |
| Donaldson mit der Staatsbürgerschaft. Am Dienstag besuchen sie meinen Hof, | |
| weil sie die Schafe kennen lernen wollen. Während ich das sage, sehe ich | |
| sie gerade: Die Herde ruht sich aus, das sieht unglaublich rührend aus. | |
| Was rührt Sie da? | |
| Schafe gehen richtige soziale Bindungen ein, die erwachsenen Töchter | |
| bleiben bei den Müttern und ich sehe, wie eine gerade den Kopf wiederkäuend | |
| auf den Rücken ihrer Mutter ablegt. Normalerweise reißen wir die Familien | |
| auseinander, aber wenn man sie lässt, dann gehen sie Bindungen ein und | |
| behalten sie bei. | |
| In Brehms Tierleben kommen die Schafe nicht gut weg, sie gelten als stumpfe | |
| Herdenwesen und viel dümmer als die Ziegen. | |
| Ich habe zwei Ziegen und ehrlich gesagt haben die nicht so einen tollen | |
| Charakter. Sie neigen dazu, sehr dominant zu sein, deshalb haben meine – | |
| das „meine“ nicht im Sinne von Besitz, sondern als Zugehörigkeit – | |
| Tennisbälle auf den Hörnern. Ich habe gelernt, die soziale Intelligenz von | |
| Schafen zu bewundern. Sie verstehen, wenn sie krank sind und ich sie | |
| behandle, dass ich da etwas für sie tue, obwohl es möglicherweise | |
| unangenehm ist. | |
| Wie geht es Ihnen mit der Hackordnung der Hühner, Tiermüttern, die kranke | |
| Kinder verstoßen – all den Verhaltensweisen, die wir hinter uns lassen | |
| wollen? | |
| Ich erwarte nicht, dass sich die Tiere so verhalten, wie es meiner | |
| menschlichen Moral vorschwebt. Der Deal ist: wir können als Erwachsene | |
| moralisch verantwortlich handeln. Kleine Kinder, Demente und Tiere können | |
| das nicht. Zugegeben: Ich habe ein Lamm aufgezogen, das die Mutter einfach | |
| hat stehen lassen. Und ich habe ein bisschen schlecht von der Mutter | |
| gedacht, obwohl ich wusste, dass das Quatsch ist. | |
| In Ihrem Buch „Artgerecht ist nur die Freiheit“ schreiben Sie, dass man die | |
| Balance finden muss zwischen dem zu hohen und dem zu geringen Anspruch an | |
| unseren Umgang mit Tieren. | |
| Man darf sich weder über- noch unterfordern. Ich glaube, wir neigen da zu | |
| beidem. Wenn wir theoretisch darüber nachdenken, würden wir am liebsten | |
| alles Leid von dieser Welt verbannen. Dann wird uns klar, wie viel es davon | |
| gibt, und vor Schreck – oder aus Faulheit – machen wir gar nichts. Es geht | |
| darum, eine gute Mitte zu finden. Wir müssen uns klar machen, dass wir | |
| immer Schaden anrichten werden, Ressourcen verbrauchen und selbst wenn ich | |
| Veganer bin, sind meine Medikamente an Tieren getestet. Trotzdem braucht es | |
| den Willen, über den jetzigen Zustand hinauszukommen. | |
| Veganismus ist gerade sehr hip – glauben Sie, dass das mehr als ein | |
| Strohfeuer ist? | |
| Ich glaube, dass das Unbehagen einer breiteren Bevölkerung mit der | |
| Massentierhaltung einen Punkt erreicht hat, an dem Leute nicht mehr | |
| vorbeischauen. Es gibt immer noch Sklaverei-ähnliche Zustände in einigen | |
| Ländern, aber man wird die Ansicht, dass man Menschen besitzen dürfe, nicht | |
| wieder aufwärmen können. Und ich hoffe, dass man den Trend zum Veganismus | |
| zu einer Debatte über Tierrechte erweitern kann. | |
| Logische Folge des Veganismus ist, dass einige der Nutztierarten vermutlich | |
| aussterben. | |
| Das kann sein. Aber ehrlich: wäre es schlimm, wenn die 600 Millionen kaputt | |
| gezüchteten Hühner, die jährlich geschlachtet werden, aussterben? Jedes | |
| Tier hat individuell ein Lebensrecht, aber nicht jede Zuchtlinie muss | |
| weiterbestehen. | |
| Wie ist die Akzeptanz vor Ort für Ihren Gnadenhof – nennen Sie ihn | |
| überhaupt so? | |
| Eigentlich ist es so: Ich wohne hier und die Schafe wohnen hier, aber wenn | |
| ich das nicht Gnadenhof nenne, verstehen es die Leute nicht. Wenn sie mich | |
| fragen: „Was machst du mit den Tieren?“ und ich sage: „nichts“, ist das | |
| offenbar sehr schwer zu verstehen. Es gibt diese Idee, dass ein Tier zu | |
| etwas nutze sein muss. Dann sage ich oft: Ich bin auch zu nichts nutze. Ein | |
| Mensch hat unabhängig davon ein Lebensrecht – bei Tieren ist das auch so. | |
| Sie schreiben von viel Sympathie für den Hof – gibt es auch Antipathien? | |
| Ich erlebe tatsächlich viel Freundlichkeit. Wir hier im Dorf gehen sehr gut | |
| miteinander um, auch wenn wir Meinungsverschiedenheiten haben. Ein | |
| Bekannter von mir angelt manchmal um die Ecke. Zweimal habe ich Fische aus | |
| dem Netz befreit. Als ich zu Hause war, dachte ich: „Was, wenn er sauer | |
| wird?“ Dann ging ich mit Geld zu ihm, das er nicht annahm. Später habe ich | |
| gehört, dass er sagte: „Hilal und ich haben schon Meinungsunterschiede, | |
| aber ich mag sie.“ | |
| Haben Sie sich durch das nahe Leben mit Tieren verändert? | |
| Ich habe Tiere immer gerne gehabt, was keine Voraussetzung für das | |
| Engagement ist, es gibt viele Tierrechtler und Veganer, die keine Tiere | |
| mögen. Aber ich habe hier gemerkt, wie stark mich unsere speziesistische, | |
| also anthropozentrische Gesellschaft, geformt hat. Sei es, dass ich grober | |
| mit den Tieren umgehe, als notwendig ist oder überrascht bin, wenn sie | |
| etwas können. Ein Schaf etwa, das Augenentzündung hatte, ist immer zu mir | |
| gelaufen, um sich die Salbe ins Auge schmieren zu lassen. Und ich war | |
| überrascht, dass es verstand, dass das gut für es war. So ging es mir auch | |
| bei den Legehennen. | |
| Was war mit denen? | |
| Offiziell glaube ich natürlich, dass Tiere individuell sind. Aber praktisch | |
| hatte ich alte Hennen aus einer Legefarm, die immer Plastiknester hatten | |
| und ich war sehr überrascht, als ich sah, wie unterschiedlich die Nester | |
| waren, die sie sich hier suchten und wie entschieden sie dabei waren. Und | |
| dann dachte ich: Warum bist du eigentlich überrascht? | |
| Ich war überrascht, dass Sie sagen, viele Tierrechtler seien keine | |
| Tierfreunde. | |
| Man kann Veganer sein, ohne Tiere zu kennen, so wie man für fairen Handel | |
| sein kann, ohne je in Afrika gewesen zu sein. Umgekehrt sehe ich Leute, die | |
| sentimental mit ihren Tieren umgehen und daraus überhaupt nichts folgern. | |
| Neulich traf ich beim Friseur eine Frau, die mit ihrem Hündchen in | |
| Babysprache redete und einen Fellkragen trug. Ich sagte: „Entschuldigung, | |
| das ist doch Marder- oder Waschbärfell“, woraufhin sie meinte: „Na und?“ | |
| Sind Sie radikaler geworden? | |
| In meinen Ansichten: ja. Ich habe auch Dinge zu Ende gedacht: Vegetarier | |
| essen kein Fleisch, aber die Legehennen zu ihren Eiern werden getötet, | |
| ebenso die Milchkühe. Aber wir Veganer müssen darauf achten, nicht | |
| dogmatisch rüberzukommen. Es ist eine Herausforderung zu lernen, eine | |
| gewisse Freundlichkeit zu behalten und nicht bitter zu werden. Was nicht | |
| ganz leicht ist, denn es geht um den Tod von Millionen von Tieren. | |
| Nebenbei brechen Sie in Mastställe ein. | |
| Wir sind eingestiegen, um zu filmen. Das war aber nur einmal. Ich würde das | |
| psychisch nicht häufiger aushalten: Die Tiere fiepen zu hören, die Zettel | |
| an den Wänden zu sehen, wie viele schon gestorben sind, keines kann sich | |
| bewegen. Die meiste Zeit verbringe ich mit landwirtschaftlichen | |
| Zeitschriften. Da steht dasselbe drin, was die Tierschützer bein Einsteigen | |
| vorfinden. Etwa Statistiken, wie viele Hühner beim Einfangen vor dem | |
| Transport die Flügel gebrochen bekommen: 14 Prozent. | |
| 11 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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