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# taz.de -- Debatte Vegetarismus: Es gibt kein faires Fleisch
> Auch wenn wir uns das anders wünschen: Es ist unmöglich, Tiere so zu
> halten, dass sie ein gutes Leben haben – und sich trotzdem lohnen.
Bild: Bodenhaltung? Diese Hühner stellen die Frage artgerechter Haltung ganz n…
Es braucht keine komplexen Theorien, um festzustellen: Die Tiere, die uns
heute Fleisch, Eier, Milch, Wolle oder Leder „liefern“, führen ein
erbärmliches Leben. Wenn Privatpersonen ihre Hunde oder Katzen so hielten,
würden wir von Tierquälerei sprechen. Und wer Tierquälerei nicht
unterstützen will, sollte die entsprechenden Produkte nicht konsumieren. So
einfach ist es eigentlich.
Man müsste die Frage, ob wir Tiere nutzen dürfen, nicht einmal
grundsätzlich klären. Ich bin ja auch nicht gegen Teppiche – ich bin bloß
gegen Kinderarbeit. Wenn mir niemand garantieren kann, dass importierte
Teppiche nicht von Kinderhand geknüpft wurden, kaufe ich eben keinen
Teppich. Ebenso kann ich mich dagegen entscheiden, Fleisch, Milch und Eier
zu kaufen. Nicht grundsätzlich. Nur pragmatisch.
Aber wir sind ja nicht umsonst Menschen, sprich: vernunftbegabte Wesen, und
darum fällt uns zu jeder Feststellung eine Ausnahme ein, zu jeder
unbequemen Erkenntnis wissen wir ein Aber. Wir lassen unsere Gedanken
schweifen und hoffen, dass Tierschutzrichtlinien verschärft werden können.
Von dieser Hoffnung leben die Bio- und Tierschutzsiegel, die sich in
letzter Zeit in den Supermärkten ausgebreitet haben. Doch man muss sich die
dazugehörigen Bestimmungen einmal durchlesen.
Konventionell steht Schweinen zum Beispiel 0,75 Quadratmeter Platz zu. Bei
den derzeit „großzügigsten“ Siegeln für Schweinemast sind es 1,5
Quadratmeter. Das hört sich erst einmal gut an: Ist das nicht doppelt so
viel wie konventionell? Ja, aber doppelt so viel wie beinahe null bleibt
eben immer noch beinahe null. Natürlich werden auch in der Biohaltung Tiere
eingepfercht, können sie ihre artgemäßen Verhaltensweisen nicht ausüben,
werden Familien auseinandergerissen und sind die Tiere meist bereits so
gezüchtet, dass sie physisch leiden.
## Es gibt keine artgerechte Schlachtung
Und das sind meiner Meinung nach die Mindestkriterien, denen jede
anständige Tierhaltung genügen müsste: Erstens dürften Tiere natürlich
nicht geschlachtet, also gewaltsam getötet werden. Heutzutage werden auch
Legehennen nach einer gewissen Zeit geschlachtet und Milchkühe, wenn sie
nach wenigen Jahren ausgezehrt sind. Doch egal welche Betäubungsmittel und
„humaneren“ Geräte man einsetzen mag: Es gibt keine artgerechte
Schlachtung. Es gibt kein faires Fleisch. Fleisch ist immer das Fleisch von
gewaltsam getöteten Tieren, von denen keines sein Leben freiwillig
abgegeben hat.
Also keine Schlachtung. Und zweitens: genug Platz und Möglichkeit, die
natürlichen Verhaltensweisen auszuüben. Und zwar richtig! Viele Reformer
fordern Stroh in den Schweineställen und „Beschäftigungsmaterial“ für die
Tiere. Aber Tiere brauchen nichts zur Beschäftigung, sie brauchen (und
haben ein Recht auf) das Ausleben ihrer natürlichen Verhaltensweisen.
Kürzlich wurde gemeldet, dass Schweine lieber mit auf dem Boden
verschiebbaren Kugeln „spielen“ als mit von der Decke hängenden
Metallketten. Kein Wunder! Es ist in Schweinen biologisch das Bedürfnis
angelegt zu wühlen. Sie wollen Hunderte von Metern durch den Wald ziehen,
eine gewaltige Menge Boden umgraben und ihre Nahrung suchen, statt nur die
Schnauze in den Trog zu stecken.
Drittens wollen sie mit ihrem Nachwuchs zusammen sein, bis er ein
entsprechendes Alter erreicht hat, wollen Sozialverbände bilden und in
ihnen verbleiben. Wer einer Kuh das Kalb und einer Schweinemutter die
Saugferkel wegnimmt, fügt diesen Tiermüttern eines der schlimmsten Übel zu,
das man einem Lebewesen antun kann. Ebenso ist es eine Grausamkeit gegen
diese Tierkinder – übrigens nicht nur die Säugetiere! Jedes Hühnerküken, …
„Masthuhn“ oder „Legehuhn“, wird im Brutschrank ausgebrütet, wächst o…
Mutter auf und findet in der Wärmelampe keinen vollwertigen Ersatz für die
Mutter, die es hudern würde. Auch hier: Es ist in ihnen biologisch
angelegt! Kein Landwirt, kein Biologe wird leugnen, dass in Tiermüttern der
Muttertrieb und in Jungtieren ein Bedürfnis nach der Mutter fest verankert
ist. Es ist keine „Vermenschlichung“, daran zu erinnern. Trotzdem berauben
wir sie ihrer Familien, standardmäßig.
## Ein Planet für die Gülle
Könnte man also eine ganz neue Form der Mensch-Nutztier-Beziehung erfinden,
bei denen diese drei essenziellen Punkte eingehalten würden? Nun, manches
könnte man vielleicht machen – wenn man wüsste, wohin zum Beispiel mit all
den Kälbern, ohne die die Milchkühe ja keine Milch geben, die man aber auch
in Frieden aufwachsen lassen wollte. Das riecht nach Überbevölkerung und
wäre im großen Maßstab schon aus Platzgründen nicht machbar. Wenn wir all
die Tiere, die wir nutzen, frei oder zumindest relativ frei herumlaufen
lassen wollen, ohne sie für die Nutzung empfindlich einzusperren, bräuchten
wir mindestens einen zweiten Planeten. (Vielleicht einen dritten für die
Gülle.)
Letztlich scheitert der Konjunktiv – man könnte es anders machen – eben
doch immer wieder an der Übertragung in die Wirklichkeit. Man kann eben
nicht. In Großbritannien hat man Versuche angestellt, ob man Schweine „wie
frei“ halten könnte. Man bot ihnen viel Raum zum Schlafen, Wühlen,
Rumlaufen, Abkoten. Das Modell war aus Gründen des Platzes (Platz ist Geld)
und des Arbeitsaufwands (Zeit ist auch Geld) ökonomisch jedoch nicht zu
realisieren. Es ist rein rechnerisch, technisch, räumlich unmöglich, Tiere
so zu halten, dass sie ein gutes Leben haben, nicht aus ökonomischen
Zwängen heraus züchterisch „optimiert“ werden – und trotzdem noch
„nebenher“ etwas abwerfen.
Denn sie werfen ja außer dem Dung nichts freiwillig ab. Bei der Nahrung,
die wir von den Tieren haben möchten, handelt es sich um unmittelbare
körperliche Produkte – nicht um etwas, das man aus fremdem Material formt
oder sonst wie produziert. Die großen Mengen an Eiweiß, Fett, Kalzium, die
Energie, die zum Beispiel für ein Ei erforderlich ist, haben die Hühner
eben nicht übrig. Sie zusätzlich zu mobilisieren, kostet physiologisch viel
Kraft. Die Tiere müssen sich „überschüssige“ Milchmengen und Eier sozusa…
„aus den Rippen schneiden“. Der mütterliche Körper wird sowohl beim
Eierlegen als auch beim Milchgeben stark belastet, es ist für den Körper
ein Zustand erhöhter Leistung, kein Normalzustand.
Und genau deshalb sind die Hochleistungstiere, obwohl sie genau dafür
gezüchtet wurden, schon nach wenigen Jahren am Ende ihrer Kräfte. Es gibt
also bereits biologische Gründe, warum man Tieren nicht einfach etwas
nehmen kann, ohne ihnen eben etwas wegzunehmen.
## Arbeitsteilung ist unumkehrbar
Spielen wir im Geiste eine letzte Strategie durch: Könnten wir die
Produktion von Milch und Eiern vielleicht auf das Niveau von vor anderthalb
Jahrhunderten herunterfahren, mit den Tieren leben wie zum Beispiel frühere
Kleinbauern oder Nomaden? Wir sind aber keine Gesellschaft von Kleinbauern
und Nomaden!
Die Industriegesellschaft ist ungleich stärker arbeitsteilig organisiert.
Bis ins 19. Jahrhundert hinein hielten auch arme Stadtbewohner in ihrem
Hinterhof Tiere, und die Arbeit mit diesen Tieren lohnte, weil jeder
Haushalt kleine Mengen für sich und höchstens einige wenige andere
Haushalte entnahm. Das waren Zeiten, in denen die Menschen ihre Kleider mit
der Hand wuschen und zigfach flickten; dieses Verhältnis von Arbeitszeit zu
Ertrag ist für uns heute undenkbar.
In früheren Zeiten der Menschheit und noch bis in die frühe Neuzeit waren
95 und mehr Prozent der Bevölkerung Bauern. Ein Landwirt erzeugte um 1900
mit seiner Arbeit Nahrungsmittel für etwa vier Menschen, 1960 waren es 17
Menschen und heute sind es sogar 133. Diese Leistungssteigerung ließ sich
nur durch den technologischen Umbau und die Industrialisierung der
Landwirtschaft erreichen – dazu zählen auch die Haltung und bereits die
Zucht der Tiere. Allein diese Zucht aber führt zu großen körperlichen
Belastungen für die Tiere. Wir können dieses Leistungsverhältnis nicht
beliebig zurückdrehen.
Praktisch ist es schlicht nicht möglich, tierische Nahrungsmittel in der
bisherigen Menge „fair“ zu erwirtschaften – auch nicht annähernd in dies…
Mengen. Was heute jeden Tag verzehrt wird, wäre eine Kostbarkeit wie etwa
Trüffel. Man würde einmal die Woche ein paar Gramm Käse essen. Ja, so etwas
könnte man vielleicht machen. Aber wäre das dann noch eine ovolaktische
Ernährungsweise und nicht eine pflanzliche Ernährung mit Ausnahmen in Form
schmerzlich teurer Delikatessen? Würde man das bisschen Käse dann nicht
einfach ganz weglassen? Und wieso fangen wir damit nicht heute schon an?
8 Feb 2014
## AUTOREN
Hilal Sezgin
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