# taz.de -- Grüne Hochschulen von unten: Über gutes Leben und Grauhörnchen | |
> Studierendeninitiativen sorgen dafür, dass die Lehre grüner und die | |
> Hochschule umweltfreundlicher wird. Nun wollen sie ihre Botschaft | |
> verbreitern. | |
Bild: Von unten wächst eine Bewegung, die Hochschulen nachhaltiger machen will | |
Eine grünere Universität von unten ist möglich. An der Tübinger Eberhard | |
Karls Universität sind die Studierenden des Projekts „Greening the | |
University“ schon weit gekommen, ihrer Alma Mater mehr Aktivitäten zum | |
Thema „nachhaltige Entwicklung“ abzuringen und selbst anzupacken. „Statt | |
nur über unseren Büchern zu sitzen und den Gang der Dinge zu bedauern, | |
wollen wir aktiv das Morgen gestalten, längst überfällige Veränderungen | |
herbeiführen und ein kleines bisschen die Welt verbessern“, ist das Credo | |
der Gruppe, die 2007 mit 20 Aktiven begann. | |
Größter Erfolg, über den der Initiator der Gruppe Johannes Geibel am Montag | |
in einer Konferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung in Berlin | |
berichtete, ist die Einführung des Studium Oecologicum. Das Seminarprogramm | |
zur Bildung für nachhaltige Entwicklung erreicht mit 25 Veranstaltungen im | |
Semester mehrere Tausend der insgesamt 25.000 Studenten. | |
„Wir haben die Lehrveranstaltungen selbst konzipiert, inhaltlich wie | |
methodisch“, sagt Geibel. Die Vorlesungen heißen: „Sozialökologische | |
Transformation. Was ist das und was kann ich tun?“ oder: „Über | |
Gerechtigkeit, Gutes Leben und Grauhörnchen“. Ein weiteres Ziel der | |
Greening-Gruppe ist, dass die Universität „ihren ökologischen Fußabdruck | |
auf ein umweltverträgliches Maß reduziert“, etwa sparsamer heizt und auf | |
umweltfreundlichem Papier druckt. | |
„Bei uns sind die Studierenden noch im Experimentiermodus“, erklärt Paula | |
Voigt, die an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung im | |
brandenburgischen Eberswalde ihren Master für Öko-Agrarmanagement gemacht | |
hat. „Wir haben uns sehr für ein anderes Lehrformat eingesetzt.“ | |
Eingeführt wurden inzwischen zwei Lehrveranstaltungen in Form von | |
Projektwerkstätten zu den Themen Permakultur und Terra Preta, eine | |
nährstoffreiche Schwarzerde, sowie „anderes Wirtschaften“. 30 der insgesamt | |
2.000 Eberswalder Immatrikulierten nehmen teil. Auch in die | |
Hochschulpolitik mischen sich die Studierenden ein. Es gibt jetzt einen | |
Runden Tisch für Nachhaltigkeit, zu dem der Hochschulpräsident halbjährlich | |
einlädt. | |
## Holland ist Vorreiter | |
Anderswo in Europa ist die Greening-Bewegung allerdings weiter. Felix | |
Spira, Geschäftsführer des Social-Business-Start-ups rootAbility, hat | |
während seines Studiums an der holländischen Universität Maastricht im Jahr | |
2010 das Green Office mitgegründet, ein Büro für studentische Ökoprojekte, | |
das mit 75.000 Euro aus dem Uni-Etat acht Stellen finanzieren konnte. | |
Inzwischen haben sieben der 14 holländischen Universitäten solche Büros. | |
„Das Potenzial für diese Angebote und die Bandbreite der Kreativität ist | |
enorm“, hat Spira festgestellt, der den grünen Transformationsprozess der | |
Wissenschaft auch in einer Doktorarbeit analysiert. Das Spektrum reicht von | |
alternativen Lehrangeboten über das Schreiben von Nachhaltigkeitsberichten | |
für die Wirtschaft bis hin zur Gründung von Ökounternehmen. Drei Green | |
Offices gibt es inzwischen auch an britischen Universitäten. | |
Das erste in Deutschland ist vor wenigen Monaten an der Berliner | |
Humboldt-Universität gestartet. „Über Pilotaktivitäten müssen wir uns kei… | |
großen Gedanken mehr machen, doch was fehlt, sind Standards für die | |
Verbreitung im Hochschulbereich“, meint Günther Bachmann, Generalsekretär | |
des Rates für Nachhaltige Entwicklung, der für die Bundesregierung die | |
deutschen Aktivitäten koordiniert. | |
Im Nachbarland Österreich ist eine solche Struktur bereits etabliert. Die | |
Allianz Nachhaltiger Universitäten in Österreich wurde 2012 mit | |
Unterstützung des Wiener Wissenschaftsministeriums gegründet. „Ein | |
wichtiger politischer Schritt war, dass in die Leistungsvereinbarung der | |
Hochschulen die Erstellung einer Nachhaltigkeitsstrategie verpflichtend | |
aufgenommen wurde“, berichtet Adam Pawloff von der Wiener Universität für | |
Bodenkultur. In eine solche Strategie gehören neben der Nachhaltigkeit in | |
der Lehre und in der Forschung die „Betriebsökologie“ der Universität, et… | |
Energieverbrauch und Abfall, sowie der Wissenstransfer und die | |
Öffentlichkeitsarbeit zu Nachhaltigkeitsthemen. | |
## Gewaltiger Nachholbedarf | |
Deutschland hat jenseits der Pionieraktionen indes noch viel aufzuholen. | |
Gerhard de Haan, Erziehungswissenschaftler an der Freien Universität und | |
Vorsitzender des deutschen Nationalkomitees für die UN-Dekade „Bildung für | |
Nachhaltige Entwicklung“, hat sich die 17.000 Studiengänge an den | |
Hochschulen näher angeschaut. Bei 120 bis 170 stieß er auf einen direkten | |
Bezug zur Nachhaltigkeitsthematik, bei weiteren 170 gab es eine indirekte | |
Berührung über Studienschwerpunkte. „Wenn höchstens zwei Prozent der | |
deutschen Bachelor- und Masterstudiengänge einen Nachhaltigkeitsbezug | |
aufweisen, ist das sehr wenig“, beurteilt de Haan die Situation in der | |
Lehre. | |
Unter den Fächern dominieren Ingenieurwissenschaften mit ihren | |
umwelttechnischen Angeboten. Die Gesellschafts- und Sozialwissenschaften | |
sind nach de Haans Nachhaltigkeitsanalyse „immer noch randständig“. In den | |
letzten Jahren stellt er zwar eine gewisse Dynamik der Veränderung fest, | |
aber etwa in den Wirtschaftswissenschaften dominiere noch immer | |
ökonomischer Mainstream. De Haan: „Der ganze Lehrbetrieb ist noch viel zu | |
konventionell aufgestellt.“ | |
Wie kommt aus den Nischenerfolgen nun eine Systemveränderung zustande? Ein | |
Vorschlag war, der Nachhaltigkeitsrat solle der Hochschulrektorenkonferenz | |
eine Nachhaltigkeitsweiterbildung für Uni-Präsidenten anbieten. Das fand | |
zwar den Applaus der Konferenzteilnehmer, doch Generalsekretär Bachmann | |
verzog das Gesicht: „Eine solche aufsuchende Beratung ist ein absolutes | |
No-Go“. | |
Geht aber doch. Johannes Geibel hat aus seinem studentischen Netzwerk N | |
jetzt das Projekt Wandercoaching entwickelt. Mit finanzieller Unterstützung | |
des Bundesforschungsministeriums wurden vor drei Wochen zehn Studierende zu | |
reisenden Beratern in Sachen Hochschulnachhaltigkeit ausgebildet. In den | |
nächsten Monaten besuchen sie Hochschulen in Stuttgart, Erfurt, Mannheim, | |
Nordhausen und Leipzig, um dort wie in Tübingen einen Greening-Prozess | |
anzustoßen. | |
17 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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