| # taz.de -- Naturkosmetikhersteller über Produktion: „Outsourcing kann nachh… | |
| > Unabhängigkeit ist dem Naturkosmetikunternehmen i+m wichtiger als | |
| > Wachstum. Kann das funktionieren? Ko-Geschäftsführer Jörg von Kruse über | |
| > neue Ökonomie. | |
| Bild: Wichtiger Rohstoff Ringelblume: Der Extrakt ihrer Blüten und ihr Öl ber… | |
| taz: Herr von Kruse, i+m ist beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis unter die | |
| Top 3 gekommen. Die Jury bezeichnete das Unternehmen als „glaubwürdigen | |
| Vorreiter“. Dabei gibt es nur 13 Mitarbeitende. Kann man als so kleines | |
| Unternehmen überhaupt etwas bewirken? | |
| Jörg von Kruse: Als kleines Unternehmen können wir die Welt zwar nicht auf | |
| direkte Weise spürbar verändern, aber wir können schneller und flexibler | |
| als große Unternehmen neue Impulse nachhaltigen Tuns aufgreifen und mit | |
| ihnen experimentieren – und wenn das gelingt, inspirieren wir unsere Kunden | |
| und andere Unternehmen. | |
| Wo zwischen Gewinn machen und die Welt verbessern verorten Sie das | |
| Unternehmensziel? | |
| Oberstes Ziel noch vor Profit und Wachstum ist es, den | |
| Nachhaltigkeitsgedanken voranzubringen und eine möglichst naturbelassene | |
| Kosmetik herzustellen. Ökologisch mit der Verwendung natürlicher Rohstoffe, | |
| möglichst in Bioqualität, möglichst fair gehandelt, mit möglichst wenig | |
| Verpackung. Ökonomisch, indem wir so wirtschaften, dass wir ohne | |
| Selbstausbeutung Gewinn machen. Aber auch gemeinwohlorientiert, indem wir | |
| einen Teil dieses Gewinns wieder ausschütten – 20 bis 40 Prozent fließen in | |
| ökologische oder soziale Projekte, ein Teil geht direkt an die | |
| Mitarbeitenden. | |
| Um wie viel Geld geht es? | |
| 2018 haben wir über 100.000 Euro gespendet. | |
| Inzwischen steigen die großen Konzerne in den Naturkosmetikmarkt ein. Im | |
| Herbst hat L'oréal Logocos aufgekauft. Werden dadurch die Kriterien | |
| verwässert? | |
| Ja, aber nicht durch die Großen allein. Da der Naturkosmetikbegriff nach | |
| wie vor rechtlich nicht geschützt ist, wird für Trittbrettfahrer aller | |
| Couleur der Markt geöffnet. Greenwashing ist an der Tagesordnung, und für | |
| die Kunden ist es sehr schwer, die Spreu vom Weizen zu unterscheiden. Ein | |
| wenig helfen die bekannten Naturkosmetikzertifizierungen und Beratung | |
| durch fachkundige Verkäuferinnen. Aber die ist rar geworden, seit sich der | |
| Naturkosmetikmarkt zunehmend in die Regale der Bio-Supermärkte und | |
| Drogeriemärkte verlagert hat. | |
| Wie sorgen Sie für mehr Transparenz? | |
| Information und Design sind wichtig – das ist für uns nicht ganz leicht, da | |
| wir keinen unnützen Müll fabrizieren wollen und deshalb grundsätzlich ohne | |
| Umverpackungen und natürlich auch ohne Beipackzettel arbeiten. Aber wir | |
| können den Kommunikationsraum woanders suchen. | |
| Sie werben also vor allem in den sogenannten sozialen Medien? | |
| Das Internet gibt uns viele Möglichkeiten. Wir können über unsere Webseite | |
| und über Social Media mehr, tiefer und direkter mit unseren Kunden | |
| kommunizieren. Eine ganz andere Möglichkeit ist, unsere Vorreiterschaft bei | |
| vielen gesellschaftlich relevanten Themen auch medial besser zu nutzen. | |
| Denn solche Themen sind spannend, und Medien berichten gern darüber. Das | |
| nützt einerseits uns und macht diese Themen gleichzeitig mehr Menschen | |
| bekannt. | |
| i+m ist auch nach 40 Jahren kaum größer als ein Start-up. Können oder | |
| wollen Sie nicht mehr wachsen? | |
| Zum einen ist Wachstum tatsächlich kein Ziel an sich für uns, weil es als | |
| Selbstzweck der Idee von Nachhaltigkeit widerspricht. Unsere Ökonomie muss | |
| unbedingt wegkommen von diesem Gedanken. Zum anderen sind wir ja auch immer | |
| mal wieder gewachsen und zuletzt sogar ziemlich stark, aber das eben | |
| organisch, aus unseren eigenen Gewinnen finanziert und ganz ohne Geld von | |
| Dritten. Einfach weil wir unsere Produkte so gemacht haben, wie wir sie gut | |
| fanden. Vor vier Jahren hatten wir noch einen Umsatz von 1,4 Millionen | |
| Euro, inzwischen liegen wir bei 3,5 Millionen. | |
| Warum ist die Zahl der Mitarbeitenden nicht mitgewachsen? | |
| Wir standen vor sieben Jahren vor der Entscheidung, große Summen in den | |
| Aufbau neuer Produktionstechnik zu investieren oder einen Teil der | |
| Produktion auszulagern. | |
| … was für mich mehr nach Sanieren als nach neuem Wirtschaften klingt. | |
| Wir mussten uns entscheiden: Investieren wir selbst, müssen wir mit Banken | |
| und Investoren zusammenarbeiten, das kostet uns die Unabhängigkeit, die uns | |
| wichtig ist. Oder geben wir Bereiche ab, die nicht unsere Kernkompetenz | |
| sind? Outsourcing muss nicht bedeuten, dass in den ausgelagerten Bereichen | |
| weniger nachhaltig gearbeitet wird, weil man selbst keinen Einfluss drauf | |
| hat. | |
| Die Erfahrung zeigt aber, dass das die Regel ist! | |
| Bei uns hat sich das Gegenteil gezeigt. Wir arbeiten seit zwei Jahren in | |
| der Logistik mit der Stiftung Liebenberg zusammen, das ist das größte | |
| Integrationsunternehmen in Brandenburg, sie hat einen eigenen Wald, ist | |
| energieautark, biozertifiziert, setzt Menschen mit Einschränkungen ein. So | |
| etwas könnten wir gar nicht. | |
| Wie leicht finden sich solche Partner? | |
| Vernetzung und Kooperation sind doch Sinn der Sache. Auch beim Einkauf geht | |
| es darum, die richtigen Erzeuger zu finden. i+m kann als kleines | |
| Unternehmen neue nachhaltige Rohstofferzeuger-Initiativen unterstützen, die | |
| für große Unternehmen keine ausreichenden Mengen liefern könnten. Wir geben | |
| ihnen dann die Möglichkeit, eine Bio- oder Fairtrade-Zertifizierung zu | |
| starten und unterstützen später ihren Vertrieb. | |
| Sie teilen Ihr Wissen? | |
| Ja, weil wir uns als Teil einer anderen Ökonomie verstehen. Wenn uns ein | |
| Konkurrent fragt, woher wir etwa die tolle Sheabutter haben, sagen wir das | |
| – weil uns die Unterstützung des Projekts wichtiger ist, als den Rohstoff | |
| für uns allein zu haben. | |
| Damit besteht die Gefahr, kopiert zu werden und den Wettbewerbsvorsprung zu | |
| verlieren. Ärgert Sie das nicht? | |
| Einerseits spornt es uns an, immer wieder neue Ideen zu entwickeln, und | |
| andererseits möchten wir ja genau, dass sich diese Themen mehr durchsetzen | |
| und auch Unternehmen ihr Wissen stärker teilen. Wir können es uns schlicht | |
| nicht mehr leisten, über Jahre Wissen geheim zu halten, das die Welt | |
| umweltverträglicher machen kann. | |
| Wie schlägt sich der Anspruch, anders zu wirtschaften, in der | |
| Unternehmensorganisation nieder? | |
| Wir haben in Berlin Rollen definiert, innerhalb deren jede und jeder selbst | |
| entscheidet. Wir nennen das Selbstführung. Wenn Entscheidungen Auswirkungen | |
| über diese Rollen hinaus haben, muss man sich beraten lassen und alle mit | |
| hereinholen, die betroffen sind. Wir wollten keine plenaren Entscheidungen, | |
| nicht gar keine Hierarchie, sondern eine Kompetenzhierarchie. Jede und | |
| jeder ist dort verantwortlich, wo sie oder er sich am besten auskennt. | |
| Und das funktioniert? | |
| Es stellt uns alle vor große Herausforderungen, denn ich als Unternehmer | |
| muss lernen, dass auch andere entscheiden, und meine Kollegen müssen | |
| lernen, mehr selbst zu entscheiden und Verantwortung zu übernehmen. | |
| Ist das arbeitsrechtlich abgesichert? | |
| Wenn man Neuland beschreitet, sind oft keine passenden rechtlichen Regeln | |
| vorhanden. Dann muss man manchmal mutig sein und einfach mal machen. Als | |
| kleines Unternehmen ist man da zum Glück etwas freier, die Risiken sind | |
| kleiner. | |
| Für das Mitbestimmungsgesetz und die Betriebsräte hat die Arbeiterbewegung | |
| lange gekämpft. | |
| Aber die großen Mitbestimmungsstrukturen passen eben nicht auf alles und | |
| vor allem nicht für so kleine Unternehmen wie i+m. Wenn es bei uns zu | |
| Konflikten kommt, versuchen wir diese direkt unter uns zu lösen. Und wenn | |
| dies nicht gelingt, gibt es beispielsweise Coachings. Überhaupt machen wir | |
| regelmäßig Workshops mit professioneller Begleitung und protokollierten | |
| Vereinbarungen, auf die jede und jeder dann verweisen kann. | |
| Wie sieht Ihr Modell der Mitarbeiterbeteiligung aus? | |
| In den letzten Jahren haben wir aufgrund unserer guten Geschäftslage | |
| zwischen zwei und drei Zusatzgehälter pro Jahr ausgeschüttet. Aber beim | |
| Modell, wie wir die Geschäftslage einschätzen und die Höhe der Ausschüttung | |
| festlegen, gibt es noch keine Patentlösung. | |
| Was bedeutet das? | |
| Wir haben mehrere Modelle ausprobiert, waren mit den Ergebnissen aber nicht | |
| zufrieden. Derzeit haben wir einen Wirtschaftsrat aus Mitarbeitenden und | |
| der Geschäftsführung, der die aktuelle Wirtschaftslage umfassend beurteilen | |
| soll. Aber es ist schon klar, dass wir da keinen gemeinsamen Nenner finden. | |
| Davor hatten wir uns am Umsatz orientiert, aber festgestellt, dass dies im | |
| Widerspruch zu unserer Philosophie stand, weil er auf maximales Wachstum | |
| ausgerichtet war. Also denken wir wieder über ein neues Modell nach. Aber | |
| so ist es, wenn man neue Wege beschreitet. Probieren und scheitern, daraus | |
| lernen und den nächsten Versuch starten. Immer wieder frustrierend, aber | |
| auch kreativ und aufregend. Und wenn man eine Lösung gefunden hat, ist es | |
| das wunderbarste Gefühl der Welt. | |
| Das klingt, als seien Sie ununterbrochen mit sich selbst beschäftigt. Haben | |
| Sie noch Zeit, die Welt zu verbessern? | |
| Selbstorganisation und Eigenverantwortlichkeit aktivieren ja auch neue und | |
| brachliegende Potenziale aller Mitarbeitenden. So bringen mehr Menschen | |
| Ideen ein und auch mehr Menschen hinterfragen diese. | |
| 9 Jan 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Beate Willms | |
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