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# taz.de -- Klare Worte aus Hannover: „Es geht um größtmöglichen Profit“
> Niedersachsens neue Tierschutzbeauftragte Michaela Dämmrich hält viele
> Ställe für zu eng und eine Milchquote für unerlässlich.
Bild: Können Dämmrichs Hilfe gut gebrauchen: versklavtes Geflügel
taz: Frau Dämmrich, seit Anfang Mai sind Sie Tierschutzbeauftragte des
Landes Niedersachsen. Herzliches Beileid!
Michaela Dämmrich: Wie soll ich das verstehen?
Niedersachsen ist Deutschlands Agrarland Nummer eins. Zwischen Küste und
Harz stehen über 10 Millionen Schweine und über 100 Millionen Hühner, Puten
und Enten in den Ställen – die Haltungsbedingungen sind oft erbärmlich.
Deshalb bin ich hier. Wie auch anderswo in Deutschland dominiert in
Niedersachsen noch die industrielle Massentierhaltung. Allerdings: In der
Landesverfassung gibt es schon seit 1997 den Artikel 6b, nach dem Tiere als
Lebewesen zu schützen und zu achten sind. Darin sehe ich meine wichtigste
Aufgabe.
Da haben Sie viel zu tun: In den Ställen herrscht unvorstellbare Enge. „Es
gibt Hühnerbetriebe, da gehen Sie nur mit Gasmaske rein“, sagt etwa
Siegfried Ueberschär, emeritierter Professor der Tierärztlichen Hochschule
Hannover. Was wollen Sie dagegen tun?
Es gibt natürlich Vorschriften, die ausreichende Lüftung sicherstellen
sollen, und es gibt auch Grenzwerte für die Ammoniakkonzentrationen, die
durch die großen Mengen Kot entstehen. Nichtsdestotrotz ist die Belastung
für die Tiere, aber auch für Menschen, die in Nähe der Ställe leben, groß.
Wünschenswert wäre deshalb, diese Grenzwerte zu senken.
Als Folge der Massentierhaltung ist die Übertragung von Krankheiten
unausweichlich. Jedes sechste Huhn und jede dritte Pute im Land wird mit
Antibiotika behandelt. Muss dieser tonnenweise Einsatz nicht schnellstens
beendet werden?
Deshalb brauchen wir dringend mehr Platz pro Tier und mehr Tierschutz in
den Ställen. Je enger die Tiere zusammenstehen und je größer die Herden
sind, desto größer ist das Gesundheitsrisiko und desto wahrscheinlicher
sind die Entstehung und Austausch resistenter Keime. Antibiotika dürfen
nicht zur Kaschierung schlechter Haltungsbedingungen vergeben werden. Nur
eine tiergerechte Haltung kommt mit wenig oder ohne Antibiotika-Einsatz
aus.
Ihr Minister, der Grüne Christian Meyer, warnt bereits vor einer
„Post-Antibiotika-Ära“ – also einer Zeit, in der es gegen viele
Krankheitserreger auch für Menschen kaum noch Medikamente geben könnte.
Christian Meyer ist mit dieser Warnung nicht allein. Multiresistente Keime,
gegen die kein Antibiotikum mehr greift, finden immer öfter ihren Weg aus
den Ställen in die Krankenhäuser. Besonders nach Operationen bekommen
Patienten dort Infektionen, die nicht mehr behandelbar sind. Deshalb ist es
höchste Zeit, den Antibiotika-Einsatz zu minimieren. Und dafür muss die
Bestandsdichte in den Ställen reduziert werden.
Sie wollen umsteuern. Aber wie?
Ich setze auf die Macht aufgeklärter Verbraucher durch eine ehrliche
Kennzeichnung. Eine Charakterisierung von Lebensmitteln wie Fleisch und
Milch unter Tierschutzgesichtspunkten ist überfällig. Ein System wie bei
den Eiern funktioniert doch: Da können Verbraucher beim Kauf gut erkennen,
ob sie ein Produkt aus ökologischer Erzeugung oder aus Freiland-, Boden-
oder gar aus Käfighaltung kaufen. 90 Prozent der Verbraucher kaufen keine
gekennzeichneten Käfigeier mit der „3“. Ähnliche Modelle sind auch für
Milch und Fleisch vorstellbar.
Die Fleischindustrie ist ein Riesen-Business, das allein in Niedersachsen
jedes Jahr Milliarden umsetzt. Fürchten Sie nicht den Einfluss von
Großschlachtern und dem „Landvolk“-Bauernverband?
Natürlich geht es um den größtmöglichen Profit. Intensivtierhaltung
bedeutet, auf möglichst wenig Fläche möglichst viele Produkte mit dem
geringsten Einsatz zu produzieren. Wenn man einen dieser Faktoren
verändert, also etwa mehr Platz in den Ställen schafft, wird das Endprodukt
teurer – oder der Verdienst der Landwirte geringer. Daher müssen wir mehr
Tierschutz entlohnen, wie das Niedersachsen mit seiner Ringelschwanzprämie
macht. Das System zu ändern, ist zwar nicht einfach, aber zu schaffen. Die
Gesellschaft und auch die Mehrheit der Landwirte will mehr Tierschutz, aber
dieser Mehraufwand muss honoriert werden.
Viele Bauern machen schon heute Verluste: Ist Schweinefleisch nicht
billiger als manches Gemüse und zahlen Molkereien für einen Liter Milch
nicht gerade noch 22 Cent?
Jede Krise birgt auch eine Chance der Veränderung. Die Zeit für eine Wende
in der Landwirtschaft ist reif. Ökobetriebe erhalten zum Beispiel derzeit
für ihre Milch mehr als doppelt so viel wie die konventionell
produzierenden Landwirte, also rund 45 bis 50 Cent pro Liter. Die Käufer
sind also bereit, Qualität und mehr Tierschutz zu honorieren. Das gilt auch
für den konventionellen Bereich: Ich bin sicher, dass es viele Menschen
interessiert, ob die Milch, die sie trinken, von Kühen aus artgerechter
Weidehaltung stammt oder von Tieren, die ihr Leben lang in einem Stall auf
Betonböden leben.
Ist der Milchpreisverfall nicht selbst eine Folge der konventionellen
Landwirtschaft, die versucht, aus Kühen statt 5.000 bis zu 15.000 Liter
„Milchleistung“ pro Jahr herauszupressen?
Ein Hauptgrund für die aktuelle Katastrophe ist das Wegfallen der
Milchquote im vergangenen Jahr. Der Markt wird mit Milch überschwemmt. Ich
plädiere für eine Mengenbegrenzung der Milchproduktion – möglichst pro Kuh.
Landvolk-Präsident Werner Hilse setzt dagegen auf immer mehr Export.
Das ist der falsche Weg. Wenn Länder wie China ihre Fleischproduktion
intensivieren, werden deutsche Landwirte preislich niemals konkurrenzfähig
sein. Jede weitere Steigerung der Produktion ist unsinnig: Schon heute ist
doch die Überproduktion verantwortlich für den Preisverfall. Und übrigens:
Ich kenne kaum jemanden, dem die nicht artgerechten Formen der
Intensivtierhaltung wirklich völlig egal sind. Sich für die
Lebensbedingungen der Tiere zu interessieren, Mitgefühl zu haben, gehört
für mich zum gesunden Menschsein einfach dazu.
Letzte Frage: Essen Sie eigentlich selbst Fleisch?
Nein. Aber wenn ich ehrlich bin: Manchmal esse ich Fisch.
12 May 2016
## AUTOREN
Andreas Wyputta
## TAGS
Niedersachsen
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