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# taz.de -- Überproduktion in der Landwirtschaft: Ratlos im Hightech-Stall
> Die Milchbauern haben zu kämpfen, denn die Preise sind zu niedrig, um
> noch Gewinne zu machen. Ein Stallbesuch bei Familie Schulte in
> Ostfriesland.
Bild: Milchbauern aus Tradition: Christoph Rohwer und sein Vater Jochen betreib…
Holte taz | Ihr Europäer scheint Milch statt Blut in den Adern zu haben“,
sagt eine ehemalige Sklavin in Voltaires „Candide“. Würde das stimmen, sä…
es schlecht aus für die Europäer. Zwar gibt es derzeit Unmengen von Milch
auf dem Markt, der Verkauf und Export bringt aber nichts mehr ein.
Zum Beispiel bei der Familie Schulte in Holte. Bei ihr müsste die Welt
eigentlich in Ordnung sein. Holte ist ein 510-Seelen-Dorf in der
Leda-Niederung in Ostfriesland. Hier wird flächendeckend entwässert,
überall Gräben, Tiefs und Entlastungspolder. Vor gut zweihundert Jahren war
hier Sumpf und Moor. Oft war wegen Hochwassers „Land unter“. Heute ist hier
Grünland und eine beliebte Urlaubsregion.
An diesem Morgen passt nur noch eine elegante Wiesenweihe zwischen Weide
und den schweren, frostigen Frühnebel. Keine 20 Meter Sicht. Der
Schulte-Hof liegt direkt an einem neugestalteten Vogelschutzgebiet. Kühe
wird man hier vergeblich suchen. Die stehen in den Ställen.
Bei Schultes sind es 139 Milchkühe und gut 100 Kälber. Die Schultes ziehen
sich ihre eigenen Milchkühe und kaufen so wenig wie möglich dazu. „Das ist
sicherer, wir schleppen uns dann hoffentlich keine Krankheiten ein. Und
Kälber verkaufen, das bringt nichts. Da können wir die Tiere gleich
verschenken. Ein Kalb ist nichts mehr wert,“, ein langer Satz für Hilmar
Schulte, der als echter Ostfriese die kurzen Sätze liebt.
Schon vor sechs Uhr stiefeln Bertraud, Sohn Hilmar Bernd und Hilmar Schulte
durch ihren Hightech-Stall. Es sind Minus zwei Grad. Bodenheizung gibt es
nicht. Die Kälte lässt den Atem der Tiere kondensieren. Wie eine Fahne weht
er vor den Mäulern der Schwarzbunten. Die Milchkühe mampfen ihr mit Mais
und Soja angereichertes Silagefutter, das ihnen von einem Selbstfahrzeug im
breiten Mittelgang des Stalles vor die Fressluken abgelegt wird. „So ein
Ding gibt es nicht so oft“, meint Landwirt Schulte.
Der Stall ist ein kompaktes Produktionselement. Gemolken wird von einem
Roboter, die Milchkammer liegt gleich hinter dem großen Laufstall, mit
Auslauf und Liegeboxen für die Kühe. Alles ist peinlich sauber, frisch,
luftig , hell, fast geruchlos. Nur die quirlig zwirbelnden Schwalben unter
dem Dach erinnern noch an so was wie einen Kuhstall. Und der Hofhund
natürlich. Der ist zu dieser Zeit aber noch so müde, dass er sich lieber
von Bertraud Schulte kraulen lässt, als bei Fremden anzuschlagen.
„Die Biobauern halten ihre Kühe genauso wie wir, den Kühen geht es gut“,
erklärt Hilmar Bernd Schulte. Er soll den Hof einmal übernehmen. Gut 1,5
Millionen Euro stecken als Investition in dem Stall. Weil alles perfekt
ist, sind die Schultes gerade als bester Milchbetrieb Niedersachsens mit
der „Goldenen Olga“ ausgezeichnet worden.
Das Futter holen sich die Schultes von ihren 70 Hektar Grünland. „Das ist
eigentlich ein bisschen viel Land für uns, aber nach der Düngeverordnung
müssen wir so viel Land vorhalten, um unsere Gülle ausbringen zu können“,
meint der Jungbauer. Sauer sind die Landwirte über einen kürzlich
erschienen Artikel in einer großen deutschen Boulevardzeitung. Dort wurde
den konventionellen Milchbauern vorgeworfen, sie würden „Antibiotika
verfüttern“.
## Von wegen Antibiotika
„So ein Blödsinn“, ärgert sich Hilmar Bernd Schulte, „das wäre viel zu
teuer. Gut, wenn die Tiere krank sind werden die behandelt. Aber das machen
Biobauern auch.“ Ihre Milch würde regelmäßig geprüft, und wenn in den
Proben Antibiotika gefunden würden, nähme die Molkerei die Milch gar nicht
ab oder sie zahle weniger Geld, fügt sein Vater hinzu.
Wobei wir beim Milchpreis wären. Sehr komplex, sehr kompliziert und ein
Teufelskreis. Seit den 1980er-Jahren ist klar, dass in Deutschland zu viel
Milch produziert wird. Damals hieß das Butterberg und Milchsee. Weil schon
vor 40 Jahren zu viel Milch produziert wurde, entschloss sich die EU
(damals noch EG), zu Garantiepreisen Milch und Butter aufzukaufen. In der
Folge produzierten die Bauern noch mehr Milch, weil sie ja einen sicheren
Abnehmer hatten.
Trotzdem war das eine Steilvorlage für die Handelskonzerne. Sie pressten
die Molkereien zu niedrigen Abnahmepreisen. Bald wusste die EG nicht mehr,
wohin mit ihren angekauften Milchmengen. 1984 stoppte sie den Aufkauf und
führte als Steuerungsinstrument die Milchquote ein. Jetzt durften die
Bauern nur noch festgelegte Milchmengen produzieren. Der Handel blieb aber
bei seinen niedrigen Abnahmepreisen, ja er drehte weiter an der
Preisschraube.
Um die Einkommensverluste der Landwirte abzufangen, subventionierte die EG
die Milchproduktion. Viele Landwirte scheuten eine weitere Expansion und
gaben ihre Betriebe auf. Andere Betriebe vergrößerten sich, indem sie
Kollegen deren Milchquote abkauften. „Vor 40 Jahren waren praktisch alle im
Dorf in der Landwirtschaft tätig. Heute gibt es in Holte nur noch vier
bäuerliche Betriebe“, sagt Bertraud Schulte.
Zurzeit bekommen Schultes von ihrer Molkerei Ammerland als Basisvergütung
25 Cent pro Liter Milch. „Reel müssten es 35 bis 40 Cent sein“, grummelt
Hilmar Schulte. Für besonders gute Qualität (mehr Fettgehalt als 4 Prozent
und hoher Eiweißwert) gibt es Prämien. „Das versuchen wir zu erreichen.
Deswegen stehen die Kühe im Stall, da kann man über das Futter die
Milchproduktion und deren Qualität steigern“, sagt der Jungbauer.
## Die Hälfte geht ins Ausland
50 Prozent der gesamten Milchprodukte der Ammerländer Molkerei geht ins
Ausland. Vornehmlich nach Asien, vor allem China, früher auch nach
Russland. „Das Embargo gegen Russland kostet uns bis zu vier Cent pro
Liter“, sagt Hilmar Schulte.
Laut Arbeitskreis bäuerliche Landwirtschaft sind die Kapazitäten der
Molkereien „fast erschöpft angesichts der großen angelieferten
Milchmengen“. Während Friesland Campina (eine der größten Molkereien aus
den Niederlanden) einen Bonus an Bauern und Bäuerinnen auszahle, die ihre
Ablieferungsmengen nicht steigerten, biete die Molkerei Cremilk aus dem
schleswig-holsteinischen Kappeln sogar eine Ausstiegsprämie. Bauern, die
bis zum 30. April 2016 ihre Milchanlieferung einstellten, sollten einen
Bonus von 20 Cent pro Kilo auf die im Januar angelieferte Milchmenge
erhalten.
Zurzeit weiß niemand, wie man die Überproduktion drosseln kann. Die
Aufforderung der EU, die Bauen sollten freiwillig weniger Milch
produzieren, zwingt Hilmar Schulte nur ein müdes Lächeln ab. „Da macht
keiner mit. Wir können uns doch nicht selbst abwürgen.“ Ein Lösung fällt
ihm aber auch nicht ein.
Mehr über den „Preis der Milch“ lesen Sie in der gedruckten
Norddeutschland-Ausgabe der taz.am Wochenende oder [1][hier].
18 Mar 2016
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## AUTOREN
Thomas Schumacher
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