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# taz.de -- Bauernverbandschef über Umweltschutz: „Am Artensterben sind viel…
> Agrarfunktionär Joachim Rukwied lehnt mehr Umweltauflagen bei
> Subventionen für die Bauern ab. Beim Tierschutz sieht er Fortschritte.
Bild: „Die Einzelbetreuung der Sau draußen auf der grünen Wiese“ ist für…
taz.am wochenende: Herr Rukwied, Sie fordern, dass die Europäische Union
noch mehr für Agrarsubventionen ausgibt, obwohl deren Nutzen sehr
umstritten ist. Warum sollte der Staat Ihre Branche überhaupt bezuschussen?
Joachim Rukwied: Europa hat nur dann eine Zukunft, wenn die Menschen eine
wirtschaftlich gesicherte Zukunft haben. Und Europa ist stark ländlich
geprägt. Angesichts der fragilen Lage der Europäischen Union ist sie gut
beraten, weiterhin Geld in die Landwirtschaft zu investieren. Die Zahlungen
wirken sich beispielsweise auch auf Arbeitsplätze im Handwerk aus. Deshalb
sollte die EU insgesamt wieder mehr als das bisherige 1 Prozent des
Bruttonationaleinkommens erhalten. Dieser Deckel des EU-Budgets muss
wegfallen, damit sie ihre Aufgaben erfüllen kann, obwohl der Nettozahler
Großbritannien aussteigt.
Trotz der Subventionen haben etwa in Deutschland seit 1960 rund 80 Prozent
der Höfe aufgegeben, die verbleibenden Betriebe werden immer größer, die
Zahl der Beschäftigten sinkt. Müssen die jährlich bisher 55 Milliarden Euro
Agrarsubventionen anders verteilt werden?
Pro Jahr sind das ungefähr 1,4 bis 1,5 Prozent der Betriebe. Ein
Strukturwandel in dieser Größenordnung ist für mich ein akzeptabler
Prozess, denn nicht jeder Sohn oder jede Tochter einer Landwirtsfamilie
will in den Betrieb einsteigen. Jede Aufgabe ist ein Verlust an Tradition,
an Familienkultur, an Agrikultur, das will ich betonen. Aber 1,5 Prozent
oder 1,8 Prozent ist ein Strukturwandel ähnlich wie in anderen Branchen.
Wenn die Bauern wieder höhere Preise für ihre Produkte bekämen, wäre es
auch attraktiver, einen Hof zu übernehmen. Wir brauchen ja viele Höfe,
damit das Land nicht abgehängt wird. Ist dieses Höfesterben wirklich
akzeptabel?
Wir haben heute noch rund 280.000 Betriebe im Haupt- und Nebenerwerb. Die
Zahl wird sich reduzieren. Aber es wird nicht so sein, dass am Ende noch
fünf Betriebe die Flächen in der Bundesrepublik Deutschland bewirtschaften.
Es wird genügend Vielfalt geben.
War es ein Fehler, so stark auf Exporte zu setzen und sich damit den
Risiken des Weltmarktes auszuliefern?
Möglicherweise habe ich mich da in der Vergangenheit nicht präzise genug
ausgedrückt: Eine schwerpunktmäßige Exportorientierung wäre nicht
richtig. Kernmarkt ist und bleibt unser Heimatmarkt. 75 Prozent unserer
Produkte setzen wir in Deutschland ab. 20 Prozent in Europa. Nur 5 Prozent
gehen im Moment in den Export außerhalb der EU. Diese 5 Prozent wirken sich
aber stark auf die Preise aus. Weil die Nachfrage in China Mitte 2016
schwächelte, sind beispielsweise die Schweinepreise massiv unter Druck
geraten. Mit wieder steigender Nachfrage sind sie wieder deutlich
angestiegen. Wenn wir die Produktion stabil halten wollen, müssen wir die
Chancen am wachsenden Weltmarkt nutzen, denn die Europäer werden älter und
essen dann weniger.
Die Bauern bekommen Milliarden vom Staat, dennoch sind die Landwirte
Wissenschaftlern zufolge maßgeblich dafür verantwortlich, dass Tier- und
Pflanzenarten aussterben. Wie erklären Sie das den Steuerzahlern?
Das Artensterben ist nicht nur unsere Schuld. Menschliches Handeln – also
auch die Landwirtschaft – beeinflusst grundsätzlich die Artenvielfalt.
Besonders stark wirken zum Beispiel Flächenversiegelung für Siedlungsbau
und Mobilität. Täglich verschwinden dafür 70 Hektar Lebensraum für Tiere
und Pflanzen.
Die Landwirtschaft nutzt 50 Prozent der Fläche Deutschlands und hat schon
deshalb großen Anteil am Artensterben. Dass die Landwirtschaft einer der
Hauptschuldigen ist, sagen sehr viele Forscher. Gibt Ihnen das nicht zu
denken?
Jährlich werden 25.000 Hektar verbaut und gehen der Landwirtschaft
verloren. Das ist ein halber Landkreis. Da gehe ich schon davon aus, dass
das massive Auswirkungen hat.
Lässt sich wissenschaftlich belegen, dass die Bauern nicht maßgeblich
verantwortlich sind für das Artensterben?
Kann man wissenschaftlich belegen, dass die Landwirtschaft das ist? Dass
wir die Hauptursache des Artensterbens sind, diesen wissenschaftlichen
Beweis habe ich noch nicht erhalten.
Zurzeit diskutiert die EU über die Agrarpolitik nach 2020. Was halten Sie
von mehr Umweltauflagen für die wichtigste Subventionsart, die
Direktzahlungen, die bislang in erster Linie für den Besitz von Land
vergeben werden?
Wir setzen auf Innovation und nicht auf Ordnungsrecht. Die höheren Kosten
für höhere Standards etwa in der Tierhaltung durch die Direktzahlungen zu
finanzieren, hat am Ende einen Verlierer: die Bauernfamilien. Deshalb
halten wir das nicht für zielführend. Da gibt es im Übrigen in Europa
keinen Dissens. Die Bauernvertreter aus den neueren EU-Staaten sagen: Wir
müssen eine deutliche Aufstockung der Direktzahlungen hinbekommen. Ich kann
nur davor warnen, dass wir in Europa nur noch ein Gerüst aufstellen.
Wichtig ist, dass es weiter eine Gemeinsame Agrarpolitik gibt. Alles andere
würde zu einem beschleunigten Strukturwandel führen.
Das EU-Agrarbudget gerät aber nicht nur wegen des Brexit unter Druck,
sondern auch weil die Umwelt- und Tierschutzbilanz der Agrarpolitik sehr
umstritten ist. Müssen Sie da nicht etwas anbieten?
Wir selbst müssen intern natürlich über Angebote nachdenken, die sich in
die Produktion integrieren lassen, um gesellschaftspolitischen Forderungen
gerecht zu werden. Aber nochmals: Wir brauchen eine Grundrisikoabsicherung.
Für wen sollten die Bauern bei der Bundestagswahl im September stimmen?
Wir sind ein parteienübergreifender, neutraler Verband. Eine Wahlempfehlung
geben wir nicht.
Die Grünen fordern für Fleisch eine verpflichtende Kennzeichnung, wie die
Tiere gehalten wurden. Wie finden Sie das?
Das würde nur noch zu mehr Verwirrung bei den Verbrauchern führen.
Die Grünen wollen auch die „Massentierhaltung“ abschaffen in den kommenden
zwanzig Jahren.
Das sind so plakative Kampfbegriffe, die jeder anders definiert. Das bringt
uns nicht weiter.
Also gefallen Ihnen schon mal die Grünen nicht so gut?
Es gibt Grüne, mit denen wir durchaus sehr konstruktiv arbeiten. Die Grünen
als solche gibt es nicht.
Es gibt doch eklatante Mängel in den deutschen Ställen. Warum sind Sie so
hartleibig beim Tierschutz?
Wir sind gar nicht hartleibig. Wir haben die Initiative Tierwohl auf den
Weg gebracht, die Landwirte dafür bezahlt, dass sie die Haltungsbedingungen
verbessern. In drei Jahren wird jedes fünfte Schwein beispielsweise mit
mehr Platz, Spielgeräten und anderen Vorteilen gehalten.
Der Fortschritt ist doch minimal: 10 Prozent mehr Platz und weiter kein
Auslauf.
Die Initiative verbessert die Haltungsbedingungen sehr wohl. Wir haben in
Deutschland über 80 Millionen Menschen, die ernährt werden wollen, weltweit
bald 8 Milliarden. Und deshalb muss man schauen, dass man unter heutigen
Gesichtspunkten und wissenschaftlichen Erkenntnissen Tierhaltung
tiergerecht umsetzt.
Ist es tiergerecht, wenn die meisten Tiere in Deutschland eigentlich nie an
die frische Luft kommen?
Sie finden in jeder Haltungsform positive und negative Aspekte. Sie müssen
abwägen: Es gilt Lebensmittel herzustellen, die bezahlbar sind, nur das
ermöglicht dann auch zusätzlichen Lebensstandard. Und die Lösung ist
sicherlich nicht die Einzelbetreuung der Sau draußen auf der grünen Wiese.
Könnte es nicht eine Lösung sein, einfach weniger Fleisch zu essen?
Nein – das kann man nicht so pauschal beantworten. Die Verbraucher müssen
selbst entscheiden. Wir empfehlen eine ausgewogene Ernährung.
24 Jun 2017
## AUTOREN
Jost Maurin
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Landwirtschaft
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