# taz.de -- Von Grundstücken und Vergangenheiten: Ein Schnäppchen für den Pr… | |
> Für nicht mal eine Million Euro will Bremen 900 Quadratmeter Weserufer an | |
> Kühne+Nagel verkaufen: Den weltweit drittgrößten Logistik-Konzern, der | |
> seine NS-Profite leugnet. | |
Bild: Das Podium des taz Salons im Lagerhaus. Auf der Leinwand: Evamaria Küchl… | |
BREMEN taz | Unterschrieben ist noch nichts, die Verhandlungen über den | |
Verkauf von 900 Quadratmetern Fläche vor der Kaisen-Brücke an Kühne+Nagel | |
(K+N) sind nach Angaben von Wirtschaftsressort-Sprecher Holger Bruns jedoch | |
bereits sehr weit gediehen. Die Spedition möchte ihren Stammsitz abreißen | |
und durch einen deutlich größeren Neubau ersetzen. Geplant ist eine | |
Investition von rund 25 Millionen Euro. | |
Der Kaufpreis für die Erweiterungsfläche, die nicht nur den öffentlichen | |
Platz vor dem bisherigen K+N-Gebäude, sondern auch ein Stück der | |
Brücken-Kreuzung umfasst, liegt nach taz-Informationen bei unter einer | |
Million Euro. K+N, der weltweit drittgrößte Logistik-Konzern, beschäftigt | |
in Bremen fast 1.000 Angestellte. Aber ist so viel entgegenkommende | |
Investoren-Pflege tatsächlich angezeigt – zumal, wenn sich K+N derart | |
hartnäckig weigert, die Dimension seiner „Arisierungs“-Gewinne im NS-Staat | |
einzugestehen? | |
## Neueste Rechercherergebnisse: K+N „arisierte“ auch die Konkurrenz in | |
Hamburg | |
K+N „verwertete“ den Besitz der aus Westeuropa deportierten Bevölkerung. | |
Beim taz Salon mit dem Titel „Kühner Umgang mit Bereicherung“ berichtete | |
der Bielefelder Historiker Johannes Beermann nun von seinen neuesten | |
Recherchen: K+N „arisierte“ sich nicht nur selbst, wie bereits bekannt, | |
sondern auch die Hamburger Konkurrenz. Zudem fand Beermann Hinweise, in | |
welch großem Maß K+N auf den Spuren der Wehrmacht sein „Osteuropa-Geschäft… | |
ausbaute. | |
Deutlich wurde: Es geht bei K+N nicht um irgendeinen Mittelständler, der | |
sich durch die NS-Zeit lavierte – sondern um einen wesentlichen | |
Protagonisten des wirtschaftlichen Teils des größten Raubmords der | |
Geschichte, als der der Holocaust zu qualifizieren ist. Zusätzliche | |
Fallhöhe bekommt die Blockade der K+N-Aufarbeitung durch Klaus-Michael | |
Kühnes exponiertes Auftreten als Wohltäter und Sponsor. | |
## Ein „Mindestehrlichkeits-Gesetz“? | |
Nun gibt es in den Veräußerungs- und Vergaberichtlinien der Stadt kein – | |
analog zum Mindestlohngesetz formuliertes – „Mindestehrlichkeits-Gesetz“. | |
Welche Handlungsspielräume hat sie dennoch? „Wir werden uns dafür | |
einsetzen, dass sich Kühne+Nagel mit seiner Geschichte beschäftigt“, | |
erklärte auf dem taz-Podium Finanz-Staatsrat Henning Lühr – der zu diesem | |
Ziel bereits sehr konkret beigetragen hat, in dem er eine Studie zum | |
Zusammenspiel von Finanzamt, Gestapo und Spediteuren bei der Ausplünderung | |
der jüdischen Bremer initiierte. Die dort heraus gearbeitete enge | |
Verflechtung speziell zwischen Speditionen und Behörden war in keiner | |
anderen Untersuchung derart deutlich geworden. | |
„Aus persönlicher Sicht“ begrüßte Lühr das zivilgesellschaftliche | |
Engagement in Bezug auf die Aufarbeitung des legalisierten Raubs – wie zum | |
Beispiel den Einsatz der Grünen Jugend. Deren Sprecherin Alexandra Werwath, | |
ebenfalls beim Podium dabei, hatte eine Mahnwache organisiert, bei der | |
symbolisch alte Möbel vor dem K+N-Gebäude aufgestellt wurden. Allerdings | |
machte Lühr auch deutlich, dass er als leitender Beamter des Finanzressorts | |
einem Zurückhaltungs-Gebot unterliege, also keine allgemeinen politischen | |
Aussagen zum Umgang mit Investoren machen könne. | |
## Bausenator: „Wir legen das der Firma nahe“ | |
Was also sagen die zuständigen Fachressorts? Wirtschaft und Bau haben sich | |
auf Anfrage der taz auf eine Erklärung geeinigt. Dieser zufolge war zwar | |
„die Geschichte des Unternehmens nicht Gegenstand der | |
Verkaufsverhandlungen“. Man „empfehle“ dem Unternehmen jedoch, „eine | |
Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte zu veranlassen“. | |
In der Stadtbürgerschaft legte Bausenator Joachim Lohse am Dienstag auf | |
Anfrage der Linksfraktion nach: „Wir raten der Firma, unabhängige | |
Historiker zu beauftragen.“ Die verhandlungsführenden StaatsrätInnen der | |
Ressorts Bau und Wirtschaft seien beauftragt, der Firma diesen Ansatz | |
„mehrfach“ nahezulegen und zu „empfehlen“. | |
## Uneinsichtiges Unternehmen | |
Empfehlung statt Bedingung: Der Bausenator setzt gegenüber K+N auf | |
„Diplomatie und Verhandlunsstrategie“, wie Lohse betont. Der Konzern | |
seinerseits ist allerdings der Auffassung, in Sachen historischer | |
Aufarbeitung schon ausreichend tätig gewesen zu sein. Das Unternehmen | |
verweist auf seine im Sommer erschienene Jubläumsschrift, die – allerdings | |
ohne Angabe eines Autors oder spezifizierter Quellen – im Berliner | |
Nicolai-Verlag erschienen ist. „Erschienen“ ist dabei ein relativer | |
Begriff: Das 78-seitige Werk hat eine so geringe Auflage, dass es nur der | |
engsten Konzernspitze und ausgewählten Geschäftspartnern vorliegt. | |
Wiederholte journalistische Anfragen nach Einsichtnahme ignoriert das | |
Unternehmen. | |
Wer das schmale Werk dann dennoch in die Hände bekommt, muss enttäuscht | |
sein – dabei konnte bereits die bloße Erwähnung der NS-Geschäfte dem | |
Mehrheitsaktionär nur mühsam durch sein Management als unvermeidlich nahe | |
gebracht werden. Doch der in Gegensatz zu früheren K+N-Chroniken nun | |
vorhandene kurze Abschnitt „In dunkler Zeit“ widmet sich überwiegend der | |
Erwägung, welch große wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Zeit zwischen | |
1933 und 1945 zu bewältigen gewesen seien. Die vielfach dokumentierte aber | |
bislang geleugnete Tatsache, dass K+N im Auftrag des NS-Regimes „mit der | |
Transporten von beschlagnahmten Gütern politisch und rassisch Verfolgter | |
befasst“ war, folgt dann immerhin in einem Satz. | |
## „In freundschaftlicher Abstimmung“ | |
Die in früheren Firmengeschichten gänzlich ausgesparte Trennung vom | |
jüdischen Teilhaber Adolf Maass, 1933, ist nun so dargestellt: „Herr Maass | |
hat von sich aus in freundschaftlicher Abstimmung mit uns die Konsequenzen | |
getragen, indem er bei uns ausschied.“ Acht Tage später – das erwähnt die | |
Chronik nicht – wurde Werner Kühne in die NSDAP aufgenommen. | |
## Crowdfunding für 1 Quadratmeter Mahnmalfläche | |
Wie soll Bremen mit einem derart anachronistisch agierenden Unternehmen | |
umgehen? Die Palette der vom Publikum des taz-Podiums entwickelten Ideen | |
ist groß. Aber hätte eine Kühne abgetrotzte Gedenktafel am Gebäude nicht | |
lediglich eine Alibi-Funktion? Wie wäre es mit in Beton gegossenen Möbeln? | |
Angesichts des offenbar geringen Quadratmeter-Preise von rund 1.000 Euro | |
wäre ein Fleckchen für ein Mahnmal durchaus finanzierbar. | |
Im Übrigen kann man auf dem Gelände auch graben. Uta Halle, die Bremer | |
Landesarchäologin, stellte klar: „Zumindest seiner mittelalterlichen und | |
frühneuzeitlichen Geschichte wird sich Kühne+Nagel in absehbarer Zeit | |
stellen müssen.“ | |
## Die eigene Betoffenheit | |
Wichtiger Teil des taz Salons waren auch die Schilderungen von Susanne | |
Schunter-Kleemann: Als Enkelin des Blohm&Voss-Direktors berichtete sie über | |
ihre Schwierigkeiten und intensiven Bemühungen, mit der NS-Geschichte der | |
eigenen Familie umzugehen. | |
15 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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