# taz.de -- Zweifelhafte Würdigung: „Moralische Pflicht verstanden“ | |
> Großspediteur Kühne lässt sich von Hamburgs SPD-Bürgermeister das Goldene | |
> Buch vorlegen – obwohl er Deutschland einst der SPD wegen verließ. | |
Bild: „Kein Datum?“ –“Nur der Name!“ Klaus-Michael Kühne trägt sich… | |
„Ich bin froh“, sagt Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, „dass es eine so | |
einfache Art gibt, unsere Anerkennung auszudrücken.“ Gerade durfte sich | |
Klaus-Michael Kühne, der Mehrheits-Eigner der weltweit drittgrößten | |
Spedition, ins Goldene Buch der Stadt eintragen. Nun geht's weiter zum | |
„Senatsfrühstück“. Das ist zwar mehrgängig – aber trotzdem ein günsti… | |
Dankeschön angesichts der Zigmillionen Euro, die Kühne bereits für | |
Elbphilharmonie und HSV spendierte. Zudem gilt er als Retter von | |
Hapag-Lloyd. | |
Während Wirtschaftssenator Frank Horch den Ehrengast beim Frühstück mit | |
kritischen Hinweisen zur Firmengeschichte verschont, enthält das Manuskript | |
der Rede, die der Bürgermeister gestern Abend zur Feier des 125-jährigen | |
Firmenjubiläums in der Elbphilharmonie hielt, eine durchaus deutliche | |
Passage. Es sei „erfreulich“, so der Scholz, dass Kühne+Nagel „die | |
moralische Pflicht verstanden“ habe, zu den „Verstrickungen im | |
Nationalsozialismus Stellung zu beziehen“. | |
Kühne+Nagel erkämpfte sich im „Dritten Reich“ ein Monopol für den | |
Eigentums-Transport der deportierten Juden in ganz West-Europa. Frank | |
Bajohr, Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien am Münchner Institut für | |
Zeitgeschichte, qualifiziert das als „eine Form von Leichenfledderei“. Auf | |
dem Balkan avancierte die Firma zum entscheidenden logistischen | |
Dienstleister der Wehrmacht – was sie für die Auslandseinsätze der | |
Bundeswehr im Übrigen noch immer ist. | |
Nicht zuletzt „arisierte“ sich das Unternehmen auch selbst. Anstelle von | |
Klaus-Michael Kühne könnte dieser Tage auch ein Enkel von Adolf Maass als | |
Mäzen und Firmen-Patriarch seinen Namen ins Goldene Buch schreiben – | |
schließlich war Maass der Gründer der Hamburger Kühne+Nagel-Niederlassung | |
und als solcher größter Einzel-Teilhaber der Firma. Nur war Maass auch | |
Jude. Er verlor nach und nach Firmenanteile und Vermögen, 1944 wurde er | |
zusammen mit seiner Frau in Auschwitz umgebracht. | |
All dies, so offenbar die Erwartung des Bürgermeisters, werde nun in der | |
„sehr schönen“ neuen Firmenchronik – die der Öffentlichkeit aber noch n… | |
vorliegt – aufgearbeitet. Allerdings weigert sich Kühne+Nagel nach wie vor, | |
unabhängigen Historikern Zutritt zum Firmenarchiv zu gewähren. | |
Für die reich zu bebildernde Chronik wurden per Annonce Praktikanten | |
gesucht. Doch vor dem Hintergrund kritischer Medienberichte weigerte sich | |
der Kommunikationsgestalter, der dann mit der Jubiläums-Schrift – die den | |
Arbeitstitel „Fotobuch“ trug – beauftragte wurde, die NS-Zeit derart | |
auszublenden, wie das in früheren Firmen-Publikationen der Fall war. | |
Er kündigte an, andernfalls den Werkvertrag zu kündigen. Die | |
Unternehmens-Führung machte darauf hin Zugeständnisse – die sie dem | |
Patriarchen mühsam abtrotzen musste. | |
Auch Scholz' Bremer Amtskollege ist mittlerweile auf vorsichtige Distanz zu | |
Kühne gegangen, mit dem er noch im Januar auf den Marktplatz einen großen | |
Knopf gedrückt hatte, der das Jubiläumsjahr mit einem mächtigen „Tuuut“ | |
einleitete. | |
„Für jedes Unternehmen ist es unverzichtbar, sich mit den Facetten der | |
Unternehmens-Geschichte zu beschäftigen“, erklärt Jens Böhrnsen (SPD) auf | |
Nachfrage – „auch mit den möglicherweise dunkleren Kapiteln“. Allerdings, | |
so Böhrnsen weiter, sei es „nicht die Aufgabe des bremischen Senats, zu | |
beurteilen, ob die weltweit agierende Firma mit Sitz in der Schweiz dem | |
ausreichend nachkommt“. | |
Der Seitenverweis auf die Schweiz dient durchaus nicht nur der | |
Selbst-Entlastung, er ist ein Wink mit dem Zaunpfahl: Seit 1969 residiert | |
das Kühne+Nagel-Headquarter in Schindellegi über dem Zürichsee. Der Umzug | |
war Kühnes erste große strategische Maßnahme, nachdem er drei Jahre zuvor | |
den Vorstandsvorsitz von seinem Vater übernommen hatte. | |
Neben steuerlichen seien dafür vor allem politische Gründe ausschlaggebend | |
gewesen, bekannte Kühne noch kürzlich: „Wir waren skeptisch, wie sich die | |
Dinge in einer von der SPD geführten Regierung in Deutschland entwickeln | |
würden.“ | |
Auch in der Schweiz ist Kühne mittlerweile nicht mehr vor | |
Unannehmlichkeiten gefeit: Vor Kurzem titelte das dort führende | |
Wirtschaftsmagazin Bilanz: „Kühne+Nagel: Von der Vergangenheit eingeholt“. | |
Und selbst die nur selten politisch offensive Logistik-Fachpresse wie die | |
Deutsche Verkehrs-Zeitung stellte fest: „Das 125-jährige Firmenjubiläum | |
wäre weniger gestört, wenn der Konzern sich seiner Geschichte gestellt | |
hätte“ – wie es beispielsweise für die Deutsche Bahn mittlerweile | |
selbstverständlich sei. | |
Noch im April hatte Kühne per persönlicher Intervention versucht, die | |
Ausstrahlung einer Dokumentation über die Geschichte seiner Firma zu | |
verhindern: Um „nicht alte Wunden wieder aufzureißen“, solle der Bayerische | |
Rundfunk auf eine Ausstrahlung verzichten. Gestern nun gab es Balsam für | |
die Unternehmer-Seele – wenn auch aus SPD-Hand. | |
2 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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