| # taz.de -- Jubel-Jubiläum statt ehrlicher Rückschau: Der Lohn der Spedition | |
| > Klaus-Michael Kühne ist als „Retter“ von HSV und Hapag-Lloyd präsent und | |
| > lässt sich als Sponsor der Elbphilharmonie feiern. Doch seine Firma wurde | |
| > auch durch Arisierungsgewinne groß. | |
| Bild: Ein Blick auf den zum Jubiläum präsentierten Firmenfilm von Kühne+Nage… | |
| Mitten auf dem Bremer Marktplatz steht ein großer Glaspavillon, weiträumig | |
| abgesperrt und flankiert von einem Monstertruck. So sieht es aus, wenn ein | |
| Logistik-Riese wie Kühne+Nagel Geburtstag feiert, zumal den 125.. | |
| Geschichte wird beschworen: Klaus-Michael Kühne würdigt inmitten eines | |
| Meeres dunkelblauer Anzüge – einen trägt Ingo Kramer, der | |
| Arbeitgeberpräsident – die „kleinen Anfänge“ seines Großvaters, aus de… | |
| dann so viel wurde: das weltweit drittgrößte Logistik-Unternehmen. Über den | |
| Wachstums-Schub von Kühne+Nagel speziell in den 30er und 40er Jahren sagt | |
| der 77-Jährige nichts. | |
| Auch der Verkehrs- und Bausenator ist gekommen, schließlich will Kühne | |
| gleich um die Ecke ein neues zehnstöckiges Firmengebäude errichten. Die | |
| deutsche Zentrale von Kühne+Nagel steht zwar in der Hamburger Hafencity, | |
| das internationale Hauptquartier ist ohnehin schon seit 1969 in der | |
| Schweiz. Aber Bremen ist der Stammsitz. | |
| Nun drückt Kühne, unterstützt vom Bürgermeister, einen dicken blauen Knopf. | |
| Dumpfes Hupen ertönt, ein symbolischer Startschuss für den dicken LKW: An | |
| 14 Stationen weltweit wird er halten und eine Erfolgsgeschichte | |
| präsentieren: die des globalen Unternehmens Kühne+Nagel. | |
| Wer nun argwöhnt, in den Filmen zur Firmenhistorie, die auf den vielen | |
| Monitoren im Inneren des LKW-Containers zu sehen sind, würden die 30er und | |
| 40er Jahre einfach ausgespart, der irrt. Eindrucksvolle Trümmerbilder | |
| demonstrieren die Verheerungen des Zweiten Weltkriegs – die aber dienen | |
| lediglich dazu, die Schwierigkeiten im angeblich erliegenden | |
| Auslandsgeschäft zu illustrieren: „Der innerdeutsche Sammelverkehr wird | |
| unter kriegsbedingten Einschränkungen weiter betrieben“, heißt es | |
| lediglich. | |
| Dieser „Sammelverkehr“ nahm gewaltigen Aufschwung durch die | |
| Judenverfolgung: Ein großes Geschäft war bereits die Massenauswanderung | |
| jüdischer Familien über Bremerhaven gewesen. | |
| Den größten Coup landete Kühne+Nagel jedoch bei der „Aktion M“: der | |
| systematischen Ausplünderung der Juden im besetzen Frankreich und den | |
| Benelux-Staaten. Hier habe sich die Firma de facto ein Monopol erkämpft, | |
| sagt der Historiker Wolfgang Dreßen, der dafür Belege im Kölner Finanzamt | |
| fand. | |
| Fast 70.000 Wohnungseinrichtungen deportierter Juden wurden ins Deutsche | |
| Reich befördert, verteilt auf 500 Frachtkähne, 674 Züge und 26.984 | |
| Güterwaggons. In Biarritz, so dokumentiert eine Akte, besichtigte der | |
| Kühne+Nagel-Geschäftsführer ein entsprechendes Sammellager – und nahm | |
| zufrieden zur Kenntnis, dass die Gegend bereits weitgehend nach jüdischem | |
| Besitz „durchkämmt“ sei. Als dann das Eigentum jüdischer Emigranten | |
| „heimzuholen“ war, das in italienischen Häfen lagerte, regelte das der | |
| Reichsfinanzminister mit der Berliner Niederlassung von Kühne+Nagel | |
| persönlich. | |
| Kühne+Nagel spricht auf Nachfrage von einer „mangelnden Relevanz der Rolle | |
| des Unternehmens“ in der NS-Zeit. „Unklar“ sei auch, ob Möbeltransporte | |
| „wissentlich und willentlich“ durchgeführt worden seien. Auch vom Einsatz | |
| von Zwangsarbeitern sei derzeit nichts bekannt, da alle Akten verbrannt | |
| seien. Was freilich voraus setzt, dass alle der seinerzeit fünf | |
| Geschäftshäuser von Kühne+Nagel komplett ausgebrannt wären. | |
| Cornelia Rauh von der Uni Hannover kennt zahlreiche Fälle, in denen als | |
| verschwunden deklarierte Firmenakten später auftauchten: „Das wird oft als | |
| probate Ausrede verwendet, um sich belastenden Sachverhalten nicht stellen | |
| zu müssen“, sagt Rauh. Als führende Wirtschafts-Historikerin sitzt sie im | |
| Beirat der „Gesellschaft für Unternehmensgeschichte“, das jahrelange Warten | |
| auf die Akten kennt sie gut. Im Staatsarchiv hat Beermann übrigens eine | |
| Beschwerde der Bremer Speditionen ans Arbeitsamt gefunden: Ihnen seien zu | |
| wenige Kriegsgefangene zugeteilt worden. | |
| ## Kühne 2008: „reinrassig deutsch bleiben“ | |
| Auch andere traditionsreiche norddeutsche Speditionen, etwa F. W. Neukirch, | |
| haben im „Dritten Reich“ ein Vermögen gemacht und wollen das bis heute | |
| nicht wahrhaben – oder sich gar dazu verhalten. Kühne+Nagel ist allerdings | |
| ein besonderer Fall: Nicht nur, weil die Firma heute über 1.000 Standorte | |
| in 100 Ländern hat. Sondern auch, weil sich der Privatmann Klaus-Michael | |
| Kühne, der siebtreichste Deutsche, als besonders gemeinwohl-orientiert | |
| präsentiert. | |
| Seine Familienstiftung finanziert große Allergie-Studien. Kühne tritt als | |
| Förderer der Elbphilharmonie auf, wofür ihn der Hamburger Senat zum | |
| Professor machte. Sein millionenschweres Engagement für den HSV ist zwar | |
| umstritten, doch immerhin „schenkt“ er den Hamburgern ihr | |
| „Volksparkstadion“ zurück, das dank einer Extra-Spende bald nicht mehr | |
| „Imtech-Arena“ heißen muss. | |
| Schon 2008 erntete Kühne Lorbeeren, als er ein Käuferkonsortium | |
| organisierte, um die Übernahme von Hapag-Lloyd durch eine chinesische | |
| Reederei zu verhindern. Die mögliche Beteiligung der dänischen | |
| Maersk-Reederei am Konsortium lehnte er mit der Bemerkung ab, man wolle das | |
| Unternehmen „möglichst reinrassig deutsch halten“. Dieter Graumann vom | |
| Zentralrat der Juden nannte Kühnes Vokabel „skandalös“. Eine | |
| Unternehmens-Sprecherin beschwichtigte: „Wenn, ist es ihm versehentlich | |
| rausgerutscht.“ | |
| „Lernfähigkeit“ sei eine „konkrete Stärke“ des Unternehmens, betont K… | |
| Gernandt, Präsident des Verwaltungsrats von Kühne+Nagel, beim Festakt auf | |
| dem Marktplatz. Auch in historischer Hinsicht? Aktuell hätte sich Kühne an | |
| einer Ausstellung im Bremer Finanzamt beteiligen können: Sie präsentiert | |
| die Ergebnisse einer Studie, mit der die Behörde die fiskalische | |
| Judenverfolgung erforschen ließ – inklusive der Verquickung mit | |
| Speditionen. „Leider sind wir nicht zusammen gekommen“, sagt | |
| Finanz-Staatsrat Henning Lühr. | |
| Ganz anders war das bei der Sparkasse und der Bremer Landesbank: Die, sagt | |
| Lühr, „haben sich zu ihrer Rolle bei den Arisierungen bekannt“. Jaromír | |
| Balcar, Leiter der Bremer Studie, bestätigt die Zurückhaltung der | |
| Spediteure: „Die äußerst knappen Antwortschreiben der von uns kontaktierten | |
| Firmen wie Kühne+Nagel ließen wenig Interesse erkennen.“ | |
| Sicher ist es einfacher, das Fehlverhalten eines Vorvorvorgängers als | |
| Aufsichtsrats-Chef einzuräumen als die Skrupellosigkeit des eigenen | |
| Großvaters – oder Vaters. Als Klaus-Michael Kühne 1937 zur Welt kam, war | |
| sein Vater Alfred schon seit fünf Jahren Mit-Geschäftsführer. „Er | |
| verschaffte“, heißt es in der Selbstdarstellung des Unternehmens, der Firma | |
| „einen besonderen Rang unter den führenden Speditionsfirmen in | |
| Deutschland“. Das ist eine Aussage, die zutrifft. | |
| 29 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Henning Bleyl | |
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