# taz.de -- "Arisierungen" in Bremen: Die Häuser der Ermordeten | |
> Vor dem Steintor 155 liegt ein Stolperstein für die in Auschwitz | |
> ermordete Selma Beverstein. Wer weiter forscht, erfährt: Das Haus ist, | |
> wie viele andere, „arisiert“ worden. | |
Bild: Das "arisierte" Haus Vor dem Steintor 155 (linke Hälfte) . Der Name von … | |
BREMEN taz | Die „Arisierung“ jüdischen Haus- und Grundbesitzes gehört no… | |
immer zu den weitgehend weißen Flecken der Bremer Geschichte. Eine Schneise | |
ins Vergessen schnitt vor elf Jahren eine bei der Edition Temmen | |
veröffentlichte Magisterarbeit von Hanno Balz. Die aber ist längst | |
vergriffen, erlebte leider keine weitere Auflage und beschränkt sich zudem | |
auf privaten Grundbesitz. Die "Arisierung" jüdischer Geschäfte und | |
Geschäfts-Immobilien ist nach wie vor unerforscht. | |
Am heutigen Montag hält Balz, der mittlerweile in den USA arbeitet, einen | |
Vortrag in Bremen, in dem er an seine damals zusammengetragenen | |
Forschungsergebnisse erinnert. Eines immerhin hat sich in Bremen seither | |
deutlich verändert: Zahlreiche Stolpersteine, eingelassen in die Gehwege, | |
erinnern an die letzten frei gewählten Wohnorte von Opfern des NS-Regimes. | |
Und wenn dieses Stolpern weiteres Interesse weckt, taucht das Thema | |
„Arisierung“ an allen Ecken der Stadt wieder aus der Versenkung auf. | |
Der Stein für Selma Beverstein liegt Vor dem Steintor 155. Ein paar Ecken | |
weiter wirbt „Blumen Timm“ in großen Leuchtbuchstaben mit seiner | |
Standorttreue und Qualität „seit 1933“ – was allerdings nicht mit einer | |
„Arisierung“, sondern mit historisch unsensibler Traditionshuberei zu tun | |
hat. | |
Selma Beverstein war ebenfalls Geschäftsfrau: Sie betrieb in ihrem Haus | |
eine Putzmacherei und handelte mit Weißwaren. Auch ihr Nachbar zur Rechten | |
war in der Textilbranche, allerdings in weit umfangreicherem Stil: Richard | |
Holst führte ein großes Geschäft, seit 1929 war er zudem Rechnungsführer im | |
Reichsbund des Textileinzelhandels. Bei der Bremer Handelskammer leitete er | |
die Bezirksfachgruppe Bekleidung. | |
Holst war schon früh wachstumsorientiert und mietete 1925 die | |
Geschäftsräume seiner Nachbarin Beverstein, die er baulich mit seinen | |
bisherigen verbinden durfte. Diese Häuser hatten ohnehin eine gemeinsame | |
Fassade, heute wirken sie wie ein einziges Gebäude. Peter Christoffersen, | |
der regelmäßig für die Stolperstein-Setzungen recherchiert, hat | |
herausgefunden, wie sich das damalige Mietverhältnis entwickelte: Seit 1933 | |
kürzte Holst kontinuierlich die Miete, 1935 zahlte er nur noch ein Drittel | |
der ursprünglich vereinbarten Summe. Am Tag nach dem Novemberpogrom von | |
1938 legte er Beverstein nahe, „uns Ihr Grundstück Vor dem Steintor 155 | |
möglichst sofort gegen bar zu verkaufen“. Andernfalls drohe die ersatzlose | |
Enteignung. | |
In seiner Funktion bei der Handelskammer hatte das Parteimitglied Holst mit | |
„Arisierungen“ reiche Erfahrung, in seine Zuständigkeit fielen die | |
Besitzerwechsel der großen Bekleidungshäuser in der Obernstraße. Holsts | |
persönliches Vermögen, so hat es Balz in den im Staatsarchiv liegenden | |
Entnazifizierungs-Akten recherchiert, hatte sich 1938 bereits verdoppelt. | |
Und bis 1943 verdreifacht. | |
Beverstein, deren geschiedener Gatte sich kurz zuvor das Leben genommen | |
hatte, gab dem Druck nach. 1938 verkaufte sie an Holst. Der Erlös – unter | |
dem Taxierungswert liegend, aber doch noch 40.000 Reichsmark – landete auf | |
einem Sperrkonto. | |
Holst, auf diese Weise nun selbst zum Vermieter avanciert, setzte alles | |
daran, der Schwester seiner Vorbesitzerin das Leben schwer zu machen: | |
Hedwig Lohmann durfte zu Holsts großem Ärger weiterhin im Haus wohnen, weil | |
sie durch eine „arische“ Ehe geschützt war. Nach einer gescheiterten | |
Räumungsklage beschimpfte er sie in ihrer Wohnung auf das Wüsteste: „Sie | |
sollen krepieren, an die Wand müssten Sie gestellt werden“, schrie er sie | |
laut Zeugenaussagen an, und: „Halten Sie Ihre Fresse, Sie altes freches | |
Judenweib.“ Der Terror ging weiter, indem Holst einen Judenstern an | |
Lohmanns Namensschild anbrachte. Schließlich ist er, wie er erklärte, | |
„Judengegner nicht nur aus dem allgemeinen Empfinden heraus, das heute | |
jedem Deutschen Volksgenossen eigen ist, sondern darüber hinaus ganz | |
bewusst aus politischer Überzeugung“. | |
Kurz nach der Stigmatisierung per Judenstern zog das Ehepaar Lohmann aus, | |
Hedwig Lohmann kam noch im Februar 1945 ins Konzentrationslager | |
Theresienstadt. Zu diesem Zeitpunkt war ihre Schwester Selma Beverstein, | |
die vormalige Hausbesitzerin, von Theresienstadt aus bereits nach Auschwitz | |
deportiert worden, wo sie ermordet wurde. | |
Im Bremer Stadtgebiet ist bislang von 248 Häusern bekannt, dass sie in der | |
NS-Zeit „arisiert“ wurden. Doch auch bei diesen sind die genaueren Umstände | |
nur zum Teil erforscht. Eine Analyse der strukturellen Rolle, die die | |
Bremer Handelskammer bei den „Arisierungen“ der jüdischen Geschäfte | |
spielte, steht ebenfalls noch aus. | |
11 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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