Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zum Tod von Hellmuth Karasek: Kritiker mit Freude am eigenen Lachen
> Er war Kulturkritiker, Journalist und Schriftsteller. Vor allem aber war
> Karasek antielitär und stets vergnüglich.
Bild: Der Literaturkritiker Hellmuth Karasek 2008 in seiner Hamburger Wohnung.
81 Jahre ist er geworden, ein viel zu kurzes Leben für einen, der es
selbst, so sagen Freunde, in jeder Sekunde genoss – allem Alter, allem
Schwächerwerden zum Trotz. Hellmuth Karasek, geboren in eine
nazisympathisierende Familie in Brünn, Tschechoslowakei, ist seit 50 Jahren
einer der wichtigsten Kulturjournalisten der Bundesrepublik gewesen. Einer,
der nicht auf Schwermut machte, kein Nörgler, kein „Gott, leben wir in
einer kulturlosen Hölle“-Dauerergrimmter.
Er war nachgerade gefräßig, was guten Tratsch, gute wie üble Nachreden
anbetrifft. „In dubio processo“ lautete eine seiner Sottisen, ein Mann der
Sprüche, nur geistreich mussten sie sein, ironisch, doppelbödig, spöttelnd.
Nichts Zynisches hat er in die Tastatur gehauen: Karasek war viel zu
antielitär, um an der Welt mit dem Gestus des Enttäuschten zu verzweifeln.
Was ihn trieb, war die Suche nach der verlorenen Seele seines Landes, nach
der Kühnheit der Kultur der Weimarer Republik. Er, der selbst gläubiger
Schüler an der Nazischule Napola war, trauerte auf seine Art um die
Zerstörung des klassischen Deutschland durch den Nationalsozialismus. Er
blieb immer, mit Blick auf diese Tyrannei, melancholisch gestimmt: Das gute
Deutschland wie einst sollte nie wiederkommen.
Er glaubte an – und schwärmte für – Marlene Dietrich, Carl Sternheim, Bil…
Wilder, schrieb Hommagen über sie, erläuterte in einem lesenswerten Buch
„Go West“ diese räudigen fünfziger Jahre, die Dekade der deutschen
Amerikanisierung – und wie er diese alltagspraktische re-education genoss.
Alles, was nach der Schule, noch in der DDR, in der BRD folgte, an seinem
Aufstieg im Journalismus zu einem der populärsten schreibenden Entertainer,
der Stars und Stripes nahebringen konnte, ohne sie mit deutscher
Kunstreligion zu ersticken.
Kritik an ihm selbst konnte ihn treffen, obwohl er sagte, er nehme sich Tag
für Tag vor, sich nicht unter Niveau ärgern zu wollen. Als Roger Willemsen
ihn zieh, nichts als ein „Kulturbeutel“ zu sein, hätte er leicht sagen
können: Na, da hupt die richtige Betriebskommode. Oder: Was wollen diese
ungalanten Schnappschildkröten in den Posen von Kulturtalibanen? Er hat es
ihm – ziemlich generös – nie heimgezahlt.
Und war sich für das scheinbare Triviale nicht zu fein. Pop war, als er
neulich [1][den Ikea-Katalog wie ein literarisches Werk rezensierte]: sehr
vergnüglich. Er war stets höher auf der Zeit als jene, die es nun so gut
wie er machen können. Am Dienstag ist Hellmuth Karasek in Hamburg
gestorben. (Jan Feddersen)
***
## Argumente reichten nicht
Anhand von Hellmuth Karasek hat mir ein pragmatischer Philosoph mal die
Sinnlosigkeit überdiskursiver Wahrheitskonzepte erklärt. Stellen Sie sich
vor, Sie streiten sich mit Karasek über ein Buch, meinte der Dozent. Sie
können noch so recht haben. Aber wenn Sie keines Ihrer Argumente
rüberbringen, weil Karasek schneller ist (erster Finger), die besseren
Pointen hat (zweiter Finger) und Ihnen niemand zuhört (dritter Finger), ist
das auch ziemlich egal. Man kann sich sehr einsam fühlen mit seinem
Rechthaben, meinte der Philosoph noch.
Es war die Zeit, als Literaturkritik noch ein Gespräch war – allermeistens
ein Gespräch unter Männern, zwischen den verschiedenen Feuilletons, auf den
bereitstehenden Podien – und es ziemlich festlegte Rollen gab. Es gab
Weißrücken, Alphatiere, Zuträger, Diven, aufbegehrende junge Männer und
Clowns. Hellmuth Karaseks Rolle war (wenn ich recht sehe) interessant. Sie
konnte schnell hin und her switchen zwischen fast allen diesen Rollen.
Alphatier war er allein schon qua Amt, als Kulturchef des Spiegels. Aber
bis ins hohe Alter hinein konnte er auch ganz wunderbar den aufbegehrenden
jungen Mann geben, der – „Einspruch, Euer Ehren“ – etwas wusste und das
jetzt auch unterbringen wollte. Den Clown gab er auch gern, mit Freude am
eigenen Lachen und dem Lachen anderer. Nur Grandseigneur und Weißrücken ist
er nie geworden.
Deshalb funktionierte er auch im alten Literarischen Quartett so gut, neben
Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler. Hier trafen drei verschiedene
Charaktere aufeinander, die sich ständig gegenseitig belauerten, immer auf
dem Sprung, gegen den anderen zu punkten. Die Wahrheit über die Bücher
musste sich immer im Hier und Jetzt, im Diskurs eben, erweisen. Das
Sprechen über Bücher war so eingebunden in eine Dramaturgie, wie man sie
bis dahin nur aus amerikanischen Seifenopern kannte. Das diskursive Prinzip
des hit and run: Setze deine Pointen, warte die Lacher ab, dann gehe aber
sofort wieder hinter deiner ernsthaften Seite in Deckung.
Das bedeutet alles nicht, dass Hellmuth Karasek keine Argumente hatte. Aber
sie reichten ihm nicht. Er wollte immer noch den Aspekt der Unterhaltung
dazutun, was seine Kritiken manchmal ins Anekdotische verrutschen, sie oft
aber auch etwas Öffnendes haben ließ. Er wollte sich wohl auch nie einsam
fühlen. Und er ist es, was man so hört, offenbar auch nie gewesen. (Dirk
Knipphals)
***
## Auf der Suche nach dem Witz
Zusammen mit dem Regisseur Eduard Erne drehte ich im Jahre 2008 einen Film
über ehemalige NS-Eliteschüler, Absolventen der „Nationalpolitischen
Erziehungsanstalten“, die ausersehen waren, die künftige Elite des
1.000-jährigen Reichs zu bilden – und häufig in der jungen Bundesrepublik
Karriere machten. Hellmuth Karasek war einer von ihnen.
Er gehörte zu jenen „Ehemaligen“, die an ihrer Napola-Zeit kein gutes Haar
ließen. Das ist durchaus nicht die Regel, denn viele der Absolventen singen
heute noch das hohe Lied dieser auf Drill, Gehorsam und „Glauben“ (an
Führer, Volk, das Vaterland und die Überlegenheit der arischen Rasse)
fundierten Erziehung. Das Allerwichtigste war Disziplin.
Hellmuth Karasek hasste die Schule, er hatte Heimweh und wollte weg – aber
er hasste es auch, sich unterkriegen zu lassen, und blieb.
Der damals so ungeliebte Zwang zur Disziplin hat ihn tief geprägt. Er, der
Genussmensch und Bonvivant, hat die Trias „Wein, Weib und Gesang“ für sich
persönlich umgeschrieben – bei ihm ersetzte „Disziplin“ den „Gesang“.
Während wir für den Film durch Polen fuhren, diktierte er im Auto einer
Hamburger Redakteurin per Handy seine wöchentliche Kolumne, die er nachts
im Hotel geschrieben hatte. Es fiel gar nicht besonders auf, denn wenn er
nicht telefonierte, redete er. Er sprach unaufhörlich, in seinem typischen
langsam-eindringlichen Ton. Und es war tatsächlich immer unterhaltsam: ein
Mix aus Erinnerungen, Anekdoten, Ratschlägen für die Lebensgestaltung – und
Witzen. Das war der Part, in dem auch ich zu Wort kam.
Karasek saugte jeden neuen Witz auf wie ein Süchtiger, um ihn dann mit
einem eigenen zu überbieten. Es wurde viel gelacht bei diesem Filmdreh,
auch wenn das Thema bedrückend war.
Auf dem alten Sportplatz der Schule bückte er sich plötzlich, riss zwei
Stängel Pfeifenputzergras aus und schlug sie gegeneinander, bis der eine
„Kopf“ abfiel. „Das haben wir damals gespielt – wir nannten es
‚Judenköpfen‘. Ich hatte das bis zu diesem Moment vergessen.“
Seine Betroffenheit war echt. Fast wie die eines Knaben. Auch das wurde auf
dieser Reise in die Vergangenheit deutlich: Karasek hat sich auch im Alter
ein erstaunliches Maß an Kindlichkeit erhalten: eine liebenswerte Naivität,
Rede- und Spielfreude, die sich bestens mit einer sehr handfesten Klugheit
vertrug. (Christian Schneider)
30 Sep 2015
## LINKS
[1] https://youtu.be/8mP0hwWEiko
## AUTOREN
Jan Feddersen
Christian Schneider
Dirk Knipphals
## TAGS
deutsche Literatur
Literatur
Buch
Autor
Nachruf
Venezuela
Maxim Biller
Ballett
Literarisches Quartett
Medien
Journalismus
Fernsehen
Föderalismus
Musik
WDR
## ARTIKEL ZUM THEMA
Manuel Karaseks Debütroman: Der Kampf gegen das Nirgendwo
Die Welt der Erwachsenen ist eine Fassade mit Rissen: In „Mirabels
Entscheidung“ erzählt der Autor über das Fremdsein in Venezuela und
Deutschland.
„Literarisches Quartett“ ohne Biller: Schluss mit Klugheitsfuror
Maxim Biller hört beim „Literarischen Quartett“ auf. Wer folgt? Es ist Zeit
für einen Neubeginn – aber diesmal bitte anschlussfähig für die Jugend.
Roman von Zadie Smith: Sie erlebt sich als eine Art Schatten
Körper, Herkunft, feine Unterschiede: Zadie Smiths neuer Roman „Swing Time“
handelt von einer schwarzen Tänzerin, die ihre Identität sucht.
Das neue „Literarische Quartett“: Vor lauter Ehrfurcht eingefroren
Live im Studio war das Quartett unterhaltsam, auf dem Bildschirm hingegen
schwer erträglich. Denn Literaturkritik im TV gibt es nicht.
Neues „Literarisches Quartett“: Sendung der Kategorie Schweinehund
Die Neuauflage des „Literarischen Quartetts“ startet. Zu diesem Anlass ein
paar Erwartungen und Erinnerungen.
Literaturkritiker und Autor: Hellmuth Karasek ist tot
Berühmte wurde er durch das „Literarische Quartett“: Hellmuth Karasek
gehörte zu den prominenten Gesichtern der Sendung. Jetzt starb der Autor.
Literaturkritik im Fernsehen reloaded: Die Wiedergänger
Eine neue Runde will das Konzept des „Litarischen Quartetts“ wiederbeleben.
Es soll kritisch und unterhaltsam werden. Geht das?
Die Wahrheit: Willkommen Braymern!
Nach dem Mauerfall ist vor dem Föderalismus: Die Bundesländer werden
reduziert. Deutschland rückt endlich enger zusammen.
Peter Plate über Rampensäue und Flops: „Schwulenband? Was soll das sein?“
Peter Plate wurde mit Rosenstolz berühmt, fühlte sich auf den großen Bühnen
aber nie zu Hause. Nun hat er für eine Musicalversion von Romeo und Julia
die Songs verfasst.
Kolumne Die Kriegsreporterin: Schnuppern an Tom Boring
Vom Neuen beim WDR, den Tittenheftchen im britischen Supermarkt und diesen
gestandenen Publizisten, die jetzt wegen einem Nudelhaus rumheulen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.