| # taz.de -- Neues „Literarisches Quartett“: Sendung der Kategorie Schweineh… | |
| > Die Neuauflage des „Literarischen Quartetts“ startet. Zu diesem Anlass | |
| > ein paar Erwartungen und Erinnerungen. | |
| Bild: Die neue Truppe vom „Literarischen Quartett“. | |
| Vielleicht kann man sagen: Das Literarische Quartett gehört zur Kategorie | |
| „Schweinehund“. Wie beim Joggen, Staubwischen und Arbeiten muss man sich | |
| dafür: aufraffen. Man tut sich Unerträgliches an, denkt „schmerzhafte | |
| Angelegenheit“. Aber hinterher ist man glücklicher. | |
| Das Quartett wurde 2001 eingestellt, man könnte seinen Belohnungseffekt | |
| vergessen haben – gäbe es nicht YouTube. Und YouTube vergisst nichts, am | |
| wenigsten Marcel Reich-Ranicki. Eigentlich war ja er die Sendung, die | |
| Beethoven-Titelmelodie seine, die Redeanteile waren in seinem Besitz, das | |
| Publikum auch, er war der Sonnenkönig und der Schweinehund – und er war | |
| Therapeut. | |
| Er konnte aufgeblasen und cholerisch genannt werden, ein Egozentriker, der | |
| seine eigene Leere mit fremdem Können stopfte und daraus noch eine – seine | |
| – Show machte; völlig egal: Nach trägen Minuten der Geistreichelei, nach | |
| viel Schmerz, sagt er auf YouTube auf ewig so schön „Schaure“ statt | |
| „Genre“, dass das die Welt in Ordnung macht. „Dieses Buch ist eine | |
| Beleidigung.“ So böse, so gut! „Ich lache nie unter meinem Niveau.“ Das | |
| sollte niemand! Und, über Walser: „Ich habe gefickt, wir werden ficken, ich | |
| bin gefickt, die Welt ist eine Fickerei: Das kann nun jeder schreiben.“ | |
| Mein Gott, der Mann hatte doch recht. | |
| Was eine Neuauflage bringen soll, ohne ihn? Ein paar Bücher werden | |
| besprochen – in Folge eins, übrigens, von vier Autoren und keiner Frau. | |
| (Überwindung.) Einen Volker Weidermann, der zum ersten Mal öffentlich | |
| tadeln muss. (Unterhaltung.) Einen Maxim Biller, der damit keine Probleme | |
| hat und den Literaturbetrieb langweilig finden wird. (Überwindung.) Und | |
| eine Christine Westermann, die vom Literaturbetrieb schwärmen wird. | |
| (Unterhaltung.) Ist doch gut. (Annabelle Seubert, Redakteurin taz.am | |
| wochenende) | |
| * * * | |
| Babo und Deko | |
| Viel unterhaltsamer als Literatur ist Literaturkritik: Wenn mich das | |
| Literarische Quartett eins lehrte, dann das. Aber noch unterhaltsamer als | |
| Literaturkritik ist ihr Konsum – und damit ihre Kritik. | |
| Literaturkritik-Kritik, wie abgefahren. Auch das ist meine Generation: Was | |
| nützt es, eine olle 250-Seiten-Schwarte in die Hand zu nehmen (außer dem | |
| Bizeps)? Viel lieber die Zusammenfassung googeln und sich meinungsstark in | |
| die Debatte schwingen. | |
| 2001 endete das reguläre Quartett (Quelle: Wikipedia). Da war ich fünf und | |
| hatte manchmal Angst vorm „Sandmännchen“. Gesehen habe ich aber einige | |
| Folgen auf YouTube. Im tiefsten Post-Abi-Chillmodus (so muss man doch als | |
| junger Mensch schreiben, oder, Herr Reich-Ranicki?) versunken, erschuf ich | |
| nächtelang Bahnstrecken bei „Railroad Tycoon“; auf dem Second Screen lief | |
| das Quartett. | |
| Es hatte den Übervater der Kultur zu bieten: Marcel Reich-Ranicki. | |
| Grummelnd schimpfte und krittelte er sich die Welt zurecht, das anzuhören | |
| reichte schon aus: made my day. Schade, dass ich nie ein Selfie mit ihm | |
| machen konnte. | |
| Optisch wäre Denis Scheck seine perfekte Fortsetzung gewesen (und | |
| „Iterarisches Quartett“ der perfekte Titel). Stattdessen wurde es Volker | |
| Weidermann, der ist young, hot und fresh. Genauso gut könnte er rappen wie | |
| Claus Kleber. Außerdem ist er der einzige echte Literaturkritiker in der | |
| Runde und damit also der Babo. Der Rest ist Deko: Maxim Biller, dessen | |
| Texte nun statt des „Sandmännchens“ Grundlage meiner Albträume sind; | |
| Christine Westermann, die sorgt für Stimmung; der erste Gast Juli Zeh – die | |
| Autorin, die ich mit gutem Gewissen für grottenschlecht halte, ohne ihre | |
| Bücher gelesen zu haben. So ist es, das junge Publikum. (Adrian Schulz, 18, | |
| ist Praktikant in der taz2/Medienredaktion) | |
| * * * | |
| Mit Müßchen | |
| Das wiedereröffnete Literarische Quartett wird eine Veranstaltung mit | |
| Lesern und für Leser sein. Das klingt nur selbstverständlich, denn lesen | |
| müssen sie alle, die über Bücher sprechen und schreiben. Oder nicht? | |
| Der Literaturkritiker Sydney Smith bekannte: Man soll Bücher nicht lesen, | |
| bevor man sie rezensiert – man wird sonst zu voreingenommen. Aber immerhin: | |
| seine Kritiken wurden gelesen. Es gibt Beispiele für literarische | |
| Gesprächsrunden, in denen man die dort aufgeführten Bücher nicht gelesen | |
| haben muss, um dennoch mit wertvollen Beiträgen glänzen zu können. | |
| Das liegt daran, dass es in vielen Gesprächen – auch Rezensionen – um den | |
| Stoff und kaum um die Form geht. Zur Kritik oder Form reicht hier zumeist | |
| „spannend“ oder „langatmig“, „kompliziert“ oder „eingängig“, �… | |
| oder „kalt“. | |
| Ausführlich wird jeder beim Stoff, und oft gleichen solche Gesprächsrunden | |
| einem Treffen von Sozialarbeitern, Laienpsychologen oder politischen | |
| Bekennern, die mit dem Maß oder Müßchen ihrer Urteilskraft einen Fall | |
| durchsprechen. Und viele Rezensionen gleichen Referaten zum Fall zur | |
| Vorlage beim Dezernenten. | |
| Das alles kann lehrreich und unterhaltsam sein. Dem neuen Literarischen | |
| Quartett ist zu wünschen, dass es beides sein wird. (Jürgen Busche, 70, ist | |
| Gründungsmitglied des „Literarischen Quartetts“. In den ersten Sendungen | |
| war er 1988 und 1989 neben Marcel Reich-Ranicki, Sigrid Löffler und | |
| Hellmuth Karasek der vierte Teilnehmer. Später wurde dieser Platz für einen | |
| ständig wechselnden Gast reserviert. Reich-Ranicki schätzte Busches | |
| Mitgliedschaft vor allem aufgrund seiner journalistischen Kompetenz.) | |
| * * * | |
| Einen Hype auslösen | |
| Was kann Literaturkritik? Was wird das neue Literarische Quartett können? | |
| Es lohnt sich, die Karrierewege der vier Romane, die in der Erstsendung | |
| besprochen werden, anzusehen. | |
| Karl Ove Knausgard ist jetzt eh das literarische Thema der Stunde. Was sich | |
| die Literaturkritik durchaus zugute halten kann, denn der Erfolg hat sich | |
| langsam aufgebaut. Vor zwei Jahren war der norwegische Autor noch ein | |
| Geheimtipp, auf den einschlägigen Literaturseiten hochgehalten. Daran wird | |
| das Quartett, weder im Guten noch im Bösen, etwas ändern können. | |
| Ganz anders „Macht und Widerstand“ von Ilija Trojanow. Der Roman wurde viel | |
| besprochen, auch viel gelobt, aber man hat nicht das Gefühl, dass die | |
| Literaturkritik dieses sperrige, ambitionierte Werk wirklich in den Griff | |
| bekommen hat. Es gibt durchaus noch Einordnungs- und Redebedarf. Zwischen | |
| Showeinlagen in der Reich-Ranicki-Nachfolge (“Rumänien? Also, mal ehrlich: | |
| Wen interessiert das überhaupt?“) bis zu ernsthaftem Argumentaustausch ist | |
| in der Sendung alles möglich. | |
| Der dritte Roman, „Fieber am Morgen“ von Péter Gárdos, hat alles Zeug zu | |
| einem Bestseller; eine wahre, ergreifende Geschichte nach dem Ende des | |
| Zweiten Weltkriegs. Von seinem Verlag Hoffmann und Campe wird er mit allen | |
| Mitteln in den Markt gedrückt, und im Quartett wird er noch vor dem | |
| Erscheinungstermin besprochen, also auch bevor die Feuilletons darauf | |
| eingehen. Wenn die Sendung einen Hype startet, wird das Buch laufen wie | |
| geschmiert. | |
| Bei „Der dunkle Fluss“ von Chigozie Obioma schließlich könnte sich das | |
| Quartett wirklich Meriten erwerben. Zu dem bereits im Frühjahr erschienenen | |
| Roman des in Nigeria geborenen und in den USA lebenden Erzählers hat es auf | |
| den Literaturseiten einige wohlmeinende Besprechungen gegeben (unter | |
| anderem in der taz), aber durchgekommen ist das Buch nicht, obwohl der | |
| Autor in den USA als Erbe von Chinua Achebe gefeiert wird. Wenn das | |
| Quartett diesen Roman nun sozusagen nachträglich noch durchsetzt, wird es | |
| eine gute Tat getan haben. (Dirk Knipphals, 51, ist Literaturredakteur der | |
| taz) | |
| 2 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Annabelle Seubert | |
| Dirk Knipphals | |
| Adrian Schulz | |
| Jürgen Busche | |
| ## TAGS | |
| Medien | |
| ZDF | |
| Literarisches Quartett | |
| TV | |
| Literaturkritik | |
| Buch | |
| Maxim Biller | |
| Ballett | |
| Jogging | |
| Literaturkritik | |
| Maxim Biller | |
| Adolf Hitler | |
| Literarisches Quartett | |
| Literatur | |
| deutsche Literatur | |
| Fernsehen | |
| Fernsehen | |
| Marcel Reich-Ranicki | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| „Literarisches Quartett“ ohne Biller: Schluss mit Klugheitsfuror | |
| Maxim Biller hört beim „Literarischen Quartett“ auf. Wer folgt? Es ist Zeit | |
| für einen Neubeginn – aber diesmal bitte anschlussfähig für die Jugend. | |
| Roman von Zadie Smith: Sie erlebt sich als eine Art Schatten | |
| Körper, Herkunft, feine Unterschiede: Zadie Smiths neuer Roman „Swing Time“ | |
| handelt von einer schwarzen Tänzerin, die ihre Identität sucht. | |
| Kolumne Jung und Dumm: Vorbereitungen zum Massenstampf | |
| Warum alle immer joggen gehen, was das mit dem Erwachsenwerden zu tun hat – | |
| und mit Eugène Ionescos „Die Nashörner“. | |
| Denis Scheck moderiert jetzt „Kunscht“: Nur nicht rammdösig werden | |
| Der Literaturkritiker Scheck moderiert am Donnerstag „Kunscht!“ im SWR. | |
| Seine Redakteursstelle beim Deutschlandfunk hat er gekündigt. | |
| Kolumne „Jung und dumm“: Immer fleißig rühren | |
| Fidel Castro in Adidasjacke. Sind „Menschen mobile Pflanzen“? Das Leben ist | |
| wie eine Kiste Rotwein: Wir schaffen das. | |
| Kritik „Biller Papers“, Teil 8 und Schluss: Wunderbar, witzig, groß | |
| Maxim Billers Roman „Biografie“ ist 896 Seiten lang, eine Sprachwand | |
| schwerer Themen. Die Kritik gibt es deshalb „in progress“. | |
| Kolumne Die Kriegsreporterin: Vom Pupser bis zum finalen Schiss | |
| Das „Literarische Quartett“ ist schon so gut wie tot. Gysi will noch mehr | |
| labern. Friedrichsen vergreift sich im Vokabular. Und es hitlert weiter. | |
| Das neue „Literarische Quartett“: Vor lauter Ehrfurcht eingefroren | |
| Live im Studio war das Quartett unterhaltsam, auf dem Bildschirm hingegen | |
| schwer erträglich. Denn Literaturkritik im TV gibt es nicht. | |
| Das neue Literarische Quartett: Schon so schlimm? | |
| Das neue Literarische Quartett wurde am Freitag erstmals gesendet. Unser | |
| Autor war bei der Aufzeichnung dabei und sah zwei verpatzte Anfänge. | |
| Zum Tod von Hellmuth Karasek: Kritiker mit Freude am eigenen Lachen | |
| Er war Kulturkritiker, Journalist und Schriftsteller. Vor allem aber war | |
| Karasek antielitär und stets vergnüglich. | |
| Revival des Literarischen Quartetts: Ein Betrieb kreist um sich selbst | |
| Aus Marketingsicht ist das Revival gut für die Branche. Doch es wird nicht | |
| dazu beitragen, Literatur differenziert zu besprechen. | |
| Literaturkritik im Fernsehen reloaded: Die Wiedergänger | |
| Eine neue Runde will das Konzept des „Litarischen Quartetts“ wiederbeleben. | |
| Es soll kritisch und unterhaltsam werden. Geht das? | |
| Nachruf auf Reich-Ranicki: „Abwehr – Angriff – zack!“ | |
| Marcel Reich-Ranicki ist gestorben – und mit ihm eine Ära der | |
| Literaturkritik in Deutschland. Seinen jüdischen Humor hat er nie verloren. |