| # taz.de -- Das neue Literarische Quartett: Schon so schlimm? | |
| > Das neue Literarische Quartett wurde am Freitag erstmals gesendet. Unser | |
| > Autor war bei der Aufzeichnung dabei und sah zwei verpatzte Anfänge. | |
| Bild: Sind vier. Stimmt | |
| „Guten Abend“, sagt die junge Frau am Einlass im ersten Stock des Berliner | |
| Ensembles. „Guten Abend“, sagt die gut gelaunte Garderobiere. Das ist | |
| komisch, weil draußen die Sonne über einem blauen Oktoberhimmel steht. Es | |
| ist Mittwoch, und das ZDF zeichnet die erste Folge des neuen „Literarischen | |
| Quartetts“ auf. | |
| Naja, könnte man kulturkritisch sagen, beim Fernsehen bestimmt halt der | |
| Schein das Bewusstsein: Die Sendung wird am späten Freitagabend | |
| ausgestrahlt. Die Wahrheit ist vermutlich banaler. Die Damen arbeiten sonst | |
| wohl abends hier. | |
| Dann ist Warten angesagt. Die vielleicht hundert Gäste der Sendung müssen | |
| eine gute Stunde ausharren, bevor sie eingelassen werden. | |
| Im Spiegelfoyer des BE Platz blickt man auf eine leere, kleine Bühne. Vier | |
| eher unspektakuläre, nicht besonders bequem aussehende Stühle warten auf | |
| die vier Diskutanten. Als das alte Quartett 2001 endete, saßen die Kritiker | |
| noch auf schweren schwarzen Ledersesseln. Das kann man symbolisch lesen, | |
| muss man aber nicht. | |
| ## Guter Ton vom Warm-Upper | |
| Daneben stehen ein Beistelltisch. Auf dem mir nächsten liegen die vier | |
| Bücher, die besprochen werden sollen: Romane von Ilija Trojanow, Chigozie | |
| Obioma, Péter Gárdos und Karl Ove Knausgard. | |
| Die Bücher sehen abgegriffen aus, hier hat jemand mit vollem Einsatz | |
| gelesen. Es zeigt sich später, dass das der Platz von Juli Zeh ist. Dass | |
| der erste Gast von Gastgeber Volker Weidermann und seinen Beisitzern | |
| Christine Westermann und Maxim Biller eine junge Schriftstellerin ist, | |
| sorgt nicht nur für eine korrekte Quote. Bekanntlich ist auch der deutsche | |
| Durchschnittsleser eine vierzig Jahre alte Frau aus Oldenburg. | |
| Bevor das Quartett einzieht, erscheint der Warm-Upper. So heißen die Leute, | |
| die den Zuschauern erklären, was gleich passieren wird, was sie nicht tun | |
| dürfen und was sie unbedingt tun sollen: Am Anfang und am Ende klatschen, | |
| zum Beispiel. Das gehöre beim TV zum guten Ton, sagt der Warm-Upper, als | |
| müsse man sich bei einem strengen Literaturpublikum für diese Zumutung | |
| entschuldigen. | |
| ## Die Hölle | |
| Schließlich wirbt der Warm-Upper um Verständnis für die Nervosität Volker | |
| Weidermanns, den man als Feuilletonisten, aber nicht als Fernsehmann kenne. | |
| Das wäre nicht nötig gewesen, weil Weidermann seine Rolle als Nachfolger | |
| Marcel Reich-Ranickis dann ganz locker ausfüllt. Als Birgit von der Maske | |
| noch einmal herbei beordert wird, um Weidermanns Stirn abzutupfen, sagt er: | |
| „Schon so schlimm?“ | |
| Dann aber muss er durch die Hölle zwei verpatzter Anfänge gehen. Denn die | |
| Sendung hat keine Einspieler und wird in einem Stück gedreht. Beim ersten | |
| Mal hat das Publikum seine Aufgabe zu ernst genommen und zu lange | |
| geklatscht. Weidermanns Anfangssätze wurden vom Lärm verschluckt. Beim | |
| zweiten Anlauf kommt irgendwo von oben ein dröhnendes Feedback. Es ist der | |
| Mikrotransmitter Maxim Billers, der ausgetauscht werden muss. | |
| Der überbrückt die Pause professionell, indem er erst die sowjetische, dann | |
| die slowakische Hymne zu singen beginnt. Er kommt zwar jeweils nicht über | |
| die ersten drei Zeilen hinaus, wird aber mit Szenenapplaus belohnt. | |
| ## Karaseks Platz bleibt leer | |
| Weidermann beginnt die Sendung mit einer kurzen Abschiedsrede auf Hellmuth | |
| Karasek, dessen Tod am Morgen bekannt gegeben wurde. Er war am | |
| Dienstagabend in Hamburg gestorben. Sein Platz in der ersten Reihe bleibt | |
| leer. | |
| Wieder zeigt sich Maxim Biller als Profi. Das sei Karaseks letzter Gag | |
| gewesen: „Er wollte diese Sendung nicht mehr sehen.“ Karasek, der gute | |
| Witze liebte, hätte das wohl gefallen. | |
| Biller gibt damit den Ton vor, und fortan wird ganz im Geist des alten | |
| Quartetts Tacheles geredet. Biller findet Trojanows Stasischinken | |
| grauenhaft. Westermann regt sich über die schlechte Sprache der Übersetzung | |
| von Obioma auf, wofür sie schon jetzt einen Orden verdient. Viel zu selten | |
| wird das Sprachniveau aktueller Literatur gegeißelt, das sich gern mal auf | |
| Höhe zweitklassiger Sportreporter bewegt. | |
| ## Dagegen ist „Schindlers Liste“ Dostojewski | |
| Den ersten echten Lacher provoziert Westermann mit ihrer Bemerkung, die | |
| Hektoliter von Tee, die in Knausgards quasi-autobiografischem Roman | |
| aufgetischt und getrunken werden, seien typisch für die ermüdenden Längen | |
| dieses Buch. Biller tadelt: „Frau Westermann, Sie schauen zu sehr aufs | |
| Detail und nicht aufs große Ganze.“ Launig watscht Biller auch Gárdos‘ | |
| Liebesgeschichte der Eltern ab. Das sei Holocaustkitsch, „Schindlers Liste“ | |
| sei dagegen Dostojewski. | |
| Fünf Kameras scannen die Gesichter der Runde, während sie sprechen oder die | |
| Bosheiten der Kollegen entgegennehmen. Von der zweiten Reihe aus fühlt sich | |
| das Quartett wie ein Hörspiel an, aber eines mit hohem Unterhaltungswert. | |
| Langweilig wird es an keiner Stelle, schnell sind 45 Minuten um. An der | |
| Garderobe heißt es ein letztes Mal: „Guten Abend!“ Danke, den haben wir | |
| gehabt. | |
| 3 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
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