# taz.de -- EU-Innenministertreffen zu Flüchtlingen: Die Lage ist außer Kontr… | |
> Kommissionspräsident Juncker will in der EU ein umfassendes Programm zur | |
> Flüchtlingskrise. Doch die Aussichten stehen schlecht. | |
Bild: EU-Kommisionspräsident Jean-Claude Juncker legt schon mal die Stirn in F… | |
BRÜSSEL taz | Der Alarm kommt von höchster Stelle. Die EU habe die | |
Kontrolle verloren und sei „derzeit nicht in der Lage, ihre Außengrenzen zu | |
sichern“, warnt Ratspräsident Donald Tusk in einem Brief an die 28 Staats- | |
und Regierungschefs. Die EU-Chefs müssten die „brutale Realität“ erkennen | |
und handeln, fordert Tusk kurz vor zwei Sondertreffen zur Flüchtlingskrise | |
in Brüssel. | |
Am Dienstag treffen sich die Innenminister. Und am Mittwoch eilen Kanzlerin | |
Angela Merkel und ihre Amtskollegen zu einem informellen Sondergipfel in | |
die EU-Kapitale. Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wollen | |
sie auf ein umfassendes Programm zur Lösung der Flüchtlingskrise | |
verpflichten. Doch die Aussichten stehen schlecht. | |
Denn das Wort „verpflichtend“ darf nicht in den Vorlagen stehen – so viel | |
ist nach dem ersten, vergeblichen Treffen der Innenminister vor einer Woche | |
sicher. Die Slowakei, Tschechien und Rumänien hatten sich gegen bindende | |
Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen gewehrt. Am Montag haben die | |
Visegrad-Staaten, zu denen auch Ungarn gehört, ihren Widerstand bekräftigt. | |
Der Vorschlag der Kommission zur Verteilung von 120.000 Flüchtlingen sei | |
„mit der heißen Nadel gestrickt und nicht durchdacht“, sagte Tschechiens | |
Premier Bohuslav Sobotka. So gebe es keinen Mechanismus, um dafür zu | |
sorgen, dass die Flüchtlinge auch in den ihnen zugeteilten Ländern blieben. | |
Das Nein zur Quote solle daher am Dienstag bekräftigt werden. | |
Etwas versöhnlicher zeigte sich der polnische Außenminister Grzegorz | |
Schetyna. Es dürfe „keinen Automatismus“ geben, forderte er. „Wir suchen | |
eine Formel, mit der wir Solidarität zeigen können, die aber auch unseren | |
Möglichkeiten entspricht.“ Wie diese Wunderformel aussehen kann, ließ er | |
offen. | |
Dabei brüten die EU-Kommission und die Botschafter der 28 EU-Staaten seit | |
Tagen über einem möglichen Kompromiss. Eine Idee ist, gar nicht mehr von | |
verpflichtenden Quoten zu sprechen und auch keine Zahlen zur Aufnahme von | |
Flüchtlingen zu nennen. Stattdessen sollen die EU-Staaten „freiwillig“ | |
ihnen genehme Kontingente festlegen – in der Hoffnung, dass wenigstens die | |
Zielmarke von 120.000 Asylbewerbern erreicht wird. | |
Eine andere Idee lautet, die Osteuropäer zu ihrem Glück zu zwingen – und | |
die Quote beim Treffen der Innenminister durch Abstimmung mit | |
qualifizierter Mehrheit durchzudrücken. Dafür hat sich Außenminister | |
Frank-Walter Steinmeier (SPD) ausgesprochen. Zum Trost könnten die | |
überstimmten Osteuropäer beim EU-Gipfel am Mittwoch ein paar Zugeständnisse | |
erhalten, zum Beispiel beim besseren Schutz der Außengrenzen. | |
So oder so werden Juncker und Tusk tief in die Trickkiste greifen müssen, | |
um die EU in der Flüchtlingskrise einigermaßen zusammenzuhalten. Denn die | |
Lage spitzt sich täglich zu. So wurden am Montag wieder mehr Neuankömmlinge | |
in Deutschland gemeldet. Gleichzeitig warf Kroatien Griechenland vor, seine | |
Flüchtlingslager zu „leeren“ und die Menschen absichtlich auf die | |
Balkanroute zu schicken. Dies sei „absolut inakzeptabel“, sagte | |
Innenminister Ranko Ostojić. | |
Zusätzlich kompliziert wird die Lage durch die Weigerung Ungarns, an der | |
Umverteilung von Flüchtlingen mitzuwirken. Der ursprüngliche Plan der | |
EU-Kommission sah vor, 120.000 Hilfsbedürftige zu verlagern. Dabei war an | |
50.400 Asylbewerber aus Griechenland, 15.600 aus Italien und 54.000 aus | |
Ungarn gedacht. Doch Ungarns Premier Viktor Orbán spielt nicht mit. In den | |
letzten EU-Entwürfen für die Krisentreffen dieser Woche taucht sein Land | |
gar nicht mehr auf. | |
Stattdessen soll das ungarische Kontingent nun offenbar an Kroatien und | |
andere überlastete Länder weiter gereicht werden. Denkbar ist aber auch, | |
dass die 54.000 für Ungarn geplanten Flüchtlinge Italien und Griechenland | |
zugeschlagen werden, hieß es am Montag in Brüsseler EU-Kreisen. | |
Deutschland dürfte nicht entlastet werden. Zudem ist keine schnelle | |
Entspannung der Lage zu erwarten: Denn die Umverteilung ist auf zwei Jahre | |
angelegt. Was passiert, wenn auch weiterhin Flüchtlinge kommen, weiß in | |
Brüssel bisher niemand zu sagen. | |
22 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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