# taz.de -- Eurokolumne: Wieselwort Wettbewerbsfähigkeit | |
> Was ist das genau, Wettbewerbsfähigkeit? Ähnlich wie bei einem von einem | |
> Wiesel ausgesaugten Ei sieht man die Phrase nicht sofort. | |
Bild: Hat eher keine Ahnung von Wettbewerbsfähigkeit: Wiesel, weiß. | |
Wieselwörter sind Begriffe, die der Bedeutung ihrer Einzelteile beraubt | |
sind. Hier wird per Worthülse drum herumgeredet, meist aufgeladen mit | |
Ideologie. Das Problem: Ähnlich wie bei einem von einem Wiesel ausgesaugten | |
Ei sieht man die Phrase nicht sofort. „Wettbewerbsfähigkeit“ zum Beispiel. | |
Italien sei nicht wettbewerbsfähig, urteilt EZB-Direktor Jörg Asmussen, | |
Frankreich wird gleichlautend von der EU-Kommission abgewatscht. Von | |
Griechenland, Spanien, Slowenien schweigen wir. | |
Kanzlerin Angela Merkel will deshalb einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit�… | |
in dem sich Mitgliedsländer verpflichten, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu | |
verbessern, wo sie „noch nicht dem notwendigen Stand“ entspricht. Laut | |
Merkel interessant: Lohnzusatzkosten, Lohnstückkosten, Forschungsausgaben, | |
Infrastrukturen und Effizienz der Verwaltungen. | |
Ungeklärt bleibt: Was ist das genau, Wettbewerbsfähigkeit? Wettbewerbe | |
kennt jeder. Die WM ist ein Fußballwettbewerb. Es gibt Koch-, Schönheits- | |
oder Filmwettbewerbe. Dabei sein ist alles, heißt es zwar. Doch am Ende | |
eines Wettbewerbs gibt es einen Sieger. Gelten nun die, die dabei waren, | |
als wettbewerbsfähig? Sind die Sieger am wettbewerbsfähigsten? Das Wort | |
ergibt hier keinen Sinn. | |
Anders anscheinend in der Ökonomie. Ein Betrieb gilt als wettbewerbsfähig, | |
wenn er Produkte anbietet, die es anderswo nicht oder zumindest nicht | |
besser oder günstiger gibt. Da wird oft mit harten Bandagen gekämpft. | |
## Es gibt keine Definition | |
Die Kommission, Asmussen, Merkel sprechen von EU-Mitgliedsländern. Was | |
schon für einen Betrieb schwer zu definieren ist, ist für ganze Länder noch | |
schwerer. Es gibt keine Definition, schon gar keine, die das Wohl der | |
Bevölkerung im Auge hat, die Lebenserwartung, das Einkommen pro Kopf, die | |
Zufriedenheit. | |
In der Eurokrise ist es modern geworden, wie Merkel die | |
Wettbewerbsfähigkeit vor allem auf Lohnkosten, genauer: die Entwicklung der | |
Lohnstückkosten zu reduzieren. Diese beinhalten die gesamten Arbeitskosten | |
inklusive Arbeitgeberbeiträge zu Sozialversicherungen je produzierte | |
Einheit. | |
Wenn die Lohnstückkosten steigen, steigen mit ihnen definitionsgemäß die | |
Herstellungskosten. Ob Produkte auf den Weltmärkten dadurch teurer werden, | |
hängt davon ab, wie sich gleichzeitig der Wechselkurs entwickelt. Zu | |
DM-Zeiten stiegen in Deutschland die Lohnstückkosten häufig langsamer als | |
in anderen Ländern. Weil die DM gleichzeitig aufwertete, blieb vom | |
Kostenvorteil auf Dauer wenig übrig. | |
## Eindimensionale Betrachtung | |
In einer Währungsunion gibt es keine Wechselkurse. Die Entwicklung der | |
Lohnstückkosten macht sich vor allem in Preisänderungen bemerkbar. In der | |
heute vorherrschenden eindimensionalen Betrachtung gilt immer das Land am | |
wettbewerbsfähigsten, das die geringste Steigerung aufweist – unabhängig | |
von kollateralen Schäden wie Stagnation oder Rezession. | |
Südeuropa senkt die Lohnstückkosten als Folge der von der Troika verlangten | |
Lohnkürzungen und Einschränkungen von Arbeitnehmerrechten massiv. Je | |
stärker die Lohnstückkosten sinken, desto stärker steigt ja angeblich die | |
Wettbewerbsfähigkeit. Wie beim Fußball könnte es dann am Ende einen Sieger | |
geben – nämlich das Land, das als erstes die Lohnkosten auf null reduziert | |
hat. Glückwunsch! | |
12 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Sabine Reiner | |
## TAGS | |
Eurokolumne | |
Ökonomie | |
Eurokrise | |
taz.gazete | |
Schwerpunkt AfD | |
Homosexualität | |
José Manuel Barroso | |
EZB | |
Enquete-Kommission | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Arbeitgeber | |
Eurokrise | |
Zypern | |
Hartz IV | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Eurokolumne: Sparers Leid mit der Dicken Bertha | |
Ja, es ist schlimm, wenn durch die Niedrigzinspolitik der EZB Sparer kaum | |
noch Zinsen bekommen. Aber die Alternative ist noch viel schlimmer. | |
Eurokolumne: Zweifeln ja, aber doch nicht so | |
Wie lange halten die Opfer der Krise noch still? Die Euroländer brauchen | |
eine neue Strategie, wenn der Euro bleiben soll. | |
Schwul und „zukunftsblind“: Steile Thesen über Keynes | |
Ein Harvard-Professor verblüfft mit Aussagen über die sexuelle Orientierung | |
des britischen Ökonomen. Später bedauert er sie. Keynsianer vermuten eine | |
Kampagne. | |
Barroso über Schuldenkrise: „Vor der eigenen Türe kehren“ | |
EU-Kommissionschef Barroso verteidigt die Kanzlerin gegen Kritik: Es sei | |
nicht Frau Merkels oder Deutschlands Schuld, was in Frankreich oder | |
Portugal passiere. | |
Kommentar Leitzins: Götterdämmerung | |
Die Europäische Zentralbank hat sich von der reinen Lehre des | |
Neoliberalismus verabschiedet. Doch das allein wird Europa nicht aus der | |
Rezension holen. | |
Ende der Enquetekommission: Entspannter wachsen | |
Das Bruttoinlandsprodukt hat ausgedient. Wie kann die starre Fixierung auf | |
die Wirtschaft als Maßstab für unser Wohlergehen beendet werden? | |
François Hollandes Fernsehansprache: „Ich warte nicht auf Wachstum“ | |
Keine Steuererhöhungen, Einschnitte für Besserverdienende und Unternehmen, | |
Arbeitslosigkeit senken: Frankreichs Präsident François Hollande hat sich | |
im TV erklärt. | |
Auswirkung der Krise: Arbeitskosten ziehen an | |
31 Euro für eine geleistete Arbeitsstunde: So viel muss ein Arbeitgeber im | |
Durchschnitt ausgeben. Mehr als im europäischen Durchschnitt. | |
Eurokrise ist noch nicht am Ende: Wen erwischt es als Nächsten? | |
Nach der Brachial-Reform auf Zypern fragen sich die Euroländer, welche | |
Spielregeln künftig gelten. Entschieden wird bisher in Berlin und | |
Washington. | |
EU-Gipfel: Zypern retten, Waffen liefern | |
Auf dem EU-Gipfel soll ein Rettungspaket für Zypern beschlossen werden. | |
Außerdem wird über eine mögliche Waffenlieferung an die syrischen Rebellen | |
debattiert. | |
Debatte Agenda 2010 und 2020: Die Mythen um Hartz IV | |
Der Erfolg der deutschen Wirtschaft hat mit den Reformen nichts zu tun. Er | |
verdankt sich dem Export deutscher Autos nach China und Indien. |