# taz.de -- Ende der Enquetekommission: Entspannter wachsen | |
> Das Bruttoinlandsprodukt hat ausgedient. Wie kann die starre Fixierung | |
> auf die Wirtschaft als Maßstab für unser Wohlergehen beendet werden? | |
Bild: Viele bunte Autos – gut für die Wirtschaft, aber machen die auch glüc… | |
Vielleicht wird man diesen Bericht später als den Beginn einer neuen Epoche | |
betrachten: Nach gut zweijähriger Arbeit hat eine parteiübergreifende | |
Arbeitsgruppe des Bundestags einen neuen Maßstab entwickelt, Fortschritt | |
und Lebensqualität zu messen. Am Montag tagt die Enquetekommission | |
Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität zum letzten Mal. | |
Das Bruttoinlandsprodukt, also der Geldwert aller produzierten Waren und | |
Dienstleistungen, gilt nicht mehr als beherrschendes Maß für das | |
Wohlergehen Deutschlands. Um die Lebensqualität zu beschreiben, sollen auch | |
die soziale Ungleichheit und die ökologischen Auswirkungen unseres | |
Wirtschaftens in die Rechnung einfließen. | |
„Politik und Gesellschaft sind sich der sozialen und ökologischen Risiken | |
zunehmend bewusst, die mit der Ideologie materiellen Zuwachses | |
einhergehen“, sagt Grünen-Politiker Hermann Ott. Seine Kollegin Stefanie | |
Vogelsang von der CDU sagt: „Seit der Zeit des Wirtschaftswunders wird das | |
BIP fälschlicherweise als Maß für Wohlstand betrachtet.“ | |
Die Mehrheit der Kommission aus Union, SPD und FDP schlägt vor, künftig | |
zehn Indikatoren regelmäßig zu veröffentlichen. Vogelsang setzt sich dafür | |
ein, dass der offizielle Wohlstandsmaßstab eine eigene Internetseite | |
bekommt und beispielsweise vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages | |
gepflegt wird. | |
Unter der Überschrift „materieller Wohlstand“ sollen das BIP, die | |
öffentliche Verschuldung und die Einkommensverteilung erfasst werden. | |
Letztere weist dann aus, wie viel mehr Geld ein Einwohner im wohlhabendsten | |
Fünftel der Bevölkerung zur Verfügung hat im Vergleich zu einer Person, die | |
zum ärmsten Fünftel gehört. | |
## Aussagekräftiger als die Arbeitslosenquote | |
Über „Soziales und Teilhabe“ gibt künftig unter anderem die | |
Beschäftigungsquote Auskunft, die zeigt, wie viele Menschen Arbeit haben. | |
Die Mehrheit der Kommission hält die Zahl für aussagekräftiger als die | |
Arbeitslosenquote, die sich politisch zu leicht beeinflussen lasse. Hinzu | |
kommen die Quote der Schüler mit einem höheren Bildungsabschluss, die | |
Lebenserwartung und ein Indikator für demokratische Beteiligung. Unter dem | |
Stichwort „Ökologie“ erscheint, wie viel klimaschädliche Gase Deutschland | |
ausstößt, wie hoch die Belastung mit Stickstoff etwa aus der Landwirtschaft | |
ist und wie es um die Artenvielfalt steht. | |
Linke und Grüne haben eigene Indikatorensets eingebracht. Die Umweltpartei | |
kritisiert, dass eine Menge von zehn Indikatoren zu diffus sei. Ihr | |
„Wohlstandskompass“ beinhaltet nur vier Größen: Natur- und | |
Ressourcenverbrauch, Einkommensverteilung, BIP pro Kopf und die | |
Lebenszufriedenheit. Zum letzten Punkt sollen die Bundesbürger regelmäßig | |
befragt werden. | |
Nicht immer war sich die Kommission einig, die Abgeordneten und | |
Wissenschaftler haben tausende Seiten und hunderte Drucksachen produziert. | |
Zahlreiche wütende, freundliche, nachdenkliche oder belehrende Sondervoten | |
zu Einzelfragen sind auf der Homepage des Bundestages nachzulesen. | |
Bei der Frage, was konkret geändert werden muss, um anders zu wirtschaften, | |
gab es kaum Einigung. Einige Linke, Grüne und SPDler haben formuliert, was | |
man tun könnte. Sie plädieren dafür, Obergrenzen für die Umweltbelastung | |
festzulegen, und wollen einen Staat, der Bürger und Unternehmen animiert, | |
nachhaltiger zu wirtschaften. | |
Die Kommission formuliert im Entwurf des Abschlussberichts stattdessen: | |
„Deutschland kann nicht im Alleingang sicherstellen, dass die Welt einen | |
balancierten und nachhaltigen Entwicklungspfad einschlägt.“ | |
15 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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