# taz.de -- Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt: Geld kann nicht alles sein | |
> Um Fortschritt zu beschreiben, reicht Wachstum nicht aus – da ist sich | |
> die Enquete des Bundestages einig. Worauf es noch ankommt, kann sie aber | |
> nicht sagen. | |
Bild: Ob mehr Knöpfe mehr helfen? | |
BERLIN taz | Na, wie geht es uns denn heute? Und wie im nächsten Jahr? Die | |
Antwort darauf gibt die Bundesregierung bislang vor allem mit dem | |
Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das wirtschaftliche Wachstum gilt als der | |
Indikator für steigenden, stagnierenden oder fallenden Wohlstand in | |
Deutschland. | |
Weil immer deutlicher wird, dass die Addition aller produzierten Waren und | |
Dienstleistungen im Land allein keine aussagekräftige Größe ist, hatte die | |
Enquetekommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Bundestages | |
eine eigene Projektgruppe eingerichtet, um Alternativen und Ergänzungen zum | |
BIP zu suchen. | |
Am Montag haben die Mitglieder mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD einen | |
Bericht angenommen, wonach künftig zehn Leitindikatoren das | |
Wirtschaftswachstum ergänzen sollen. Grüne und Linkspartei tragen das | |
Konzept nicht mit und stellten jeweils eigene Modelle vor. | |
Das Mehrheitskonzept benennt drei Dimensionen: materiellen Wohlstand, | |
Soziales und Teilhabe sowie Ökologie. Diese drei gliedern zehn Indikatoren, | |
im Bereich des materiellen Wohlstands neben dem BIP die | |
Einkommensverteilung und Staatsschulden; die soziale Dimension enthält | |
Beschäftigung, Bildung, Gesundheit und Teilhabe am demokratischen Prozess; | |
die Dimension der Ökologie schließlich die nationalen Treibhausgase, den | |
Überschuss an Stickstoff sowie die Artenvielfalt. Zusätzlich sind | |
sogenannte Warnlampen vorgesehen, die negative Entwicklungen frühzeitig | |
anzeigen sollen, etwa in der Vermögensverteilung oder bei | |
Immobilienpreisen. | |
## Es soll um Entwicklung gehen | |
„Uns geht es nicht nur um Zustandsbeschreibungen, sondern auch um | |
Entwicklungstendenzen“, sagt die Vorsitzende der Projektgruppe, Stefanie | |
Vogelsang. Würden Fehlentwicklungen früh deutlich, könne politisch | |
gegengesteuert werden. Das vorgeschlagene Indikatorenset sei sinnvoll, um | |
Wohlstand in ausreichend vielen Aspekten zu beschreiben, ergänzt die | |
CDU-Politikerin. | |
Das sehen die Projektgruppenmitglieder von Grünen und Linkspartei anders | |
und haben jeweils Sondervoten abgegeben. Die grüne Abgeordnete Valerie | |
Wilms legte einen „Wohlstandskompass“ vor, der sich an dem Modell der | |
Stiftung „Denkwerk Zukunft“ des Konservativen Meinhard Miegel orientiert. | |
Den Wohlstand in Deutschland will sie mit vier Indikatoren beschreiben: dem | |
ökologischen Fußabdruck im Verhältnis zur Biokapazität (wie viele Erden | |
brauchen wir für unseren Lebensstil?); der Einkommensverteilung, gemessen | |
am Verhältnis der obersten 20 Prozent zu den untersten 20 Prozent der | |
Einkommen; einer subjektiven Befragung zur Lebenszufriedenheit unter der | |
Bevölkerung sowie des BIP pro Kopf. | |
Das Modell der zehn Leitindikatoren plus Warnlampen sei zu unübersichtlich | |
und letztlich beliebig, so Wilms. Um das BIP wirkungsvoll zu ergänzen, „sei | |
weniger mehr“. Matthias W. Birkwald von der Linkspartei sieht in dem Modell | |
von CDU, FDP und SPD gar einen „Zahlensalat ohne Sinn und Verstand“ und | |
präsentierte ein noch weiter reduziertes Modell. Das „Trio der | |
Lebensqualität“ sieht drei Indikatoren vor, das Bruttogehalt als Messgröße | |
für die Teilhabe am wirtschaftlichen Wohlstand, die Verteilung von Reichtum | |
und Armut als Indikator für die soziale Qualität der Gesellschaft sowie den | |
ökologischen Fußabdruck. | |
Dass die Projektgruppe nun drei verschiedene Indikatorenmodelle vorlegt, | |
sehe sie „entspannt“, kommentiert Daniela Kolbe (SPD). Schließlich bestehe | |
ein Konsens darüber, dass das BIP allein nicht mehr aussagekräftig sei. | |
29 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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