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# taz.de -- Eurokolumne: Jetzt ist das Tafelsilber dran
> „Integrierte“ Europäer leben nicht nur ökologisch, sondern auch
> finanziell und materiell jenseits ihrer dauerhaften Möglichkeiten.
> Rettung böte eine Postwachstumsökonomie.
Bild: Der Ausbau der Intensivlandwirtschaft legt das hässliche Antlitz der eur…
Soeben hat der Naturschutzbund eine Warnmeldung herausgegeben, die viel
über den ökologischen Zustand Europas verrät: Kiebitze, Grauammern,
Wachteln und andere Tierarten drohen auszusterben, weil ihr Lebensraum
schwindet. Der Ausbau der Intensivlandwirtschaft legt das hässliche Antlitz
der europäischen Planierraupe frei.
Gleichzeitig wird das europäische Projekt als Modell für die Entwicklung
anderer Kontinente betrachtet. Europa sei integrativ, tolerant,
friedensstiftend und orientiere sich an sozialem Ausgleich. Ist dieser
zivilisatorische Fortschritt eine kulturelle Leistung?
Die europäische Integration folgte nie einer anderen Logik, als soziale und
politische Integrität mit ökologischer Plünderung zu erkaufen. Präzise
drückte dies vor über 100 Jahren der Soziologe Georg Simmel aus.
Fortschritt bestehe darin, die angesichts materieller Knappheit drohende
„Menschheitstragödie der Konkurrenz“ dadurch zu mindern, dass soziale
Konflikte in solche zwischen Mensch und Natur umgelenkt werden.
Die Substanzen der Natur in wachsenden Wohlstand umzuwandeln, verringert
Rivalitäten. In dieses epochale Unterfangen lassen sich alle Menschen
integrieren. Dabei entstehen Frieden stiftende Abhängigkeiten. Wer mit
gemeinsamer Plünderung beschäftigt ist und Austauschbeziehungen zum
beiderseitigen Nutzen unterhält, kommt nicht dazu, Kriege gegeneinander zu
führen.
## Dienstleistungsschwemme
Industrielle Spezialisierung, Machtzentralisierung, monströse Subventionen,
ressourcenschwere Infrastrukturen, exzessive Digitalisierung, entgrenzter
Güter- und Personenverkehr sowie eine Dienstleistungsschwemme sollen das
geeinte und friedliche Europa erhalten.
Mit der Einführung des Euro ließen sich nochmals Hindernisse einebnen, die
einer gegenseitigen Durchdringung entgegenstanden. Mit einer neuen
Trumpfkarte, dem „grünen“ Wachstum, lassen sich kommerzielle
Erschließungsvorgänge ein letztes Mal intensivieren.
Jetzt ist das Tafelsilber dran: Verbliebene Landschaften sollen mit
Windkraft-, Biogas-, Photovoltaikfreiflächenanlagen, Stromtrassen und
Pumpspeicherkraftwerken industriell nachverdichtet werden, um den
friedenstiftenden Krieg gegen die Ökosphäre mit veränderten Mitteln
fortzusetzen.
Indes zeichnet sich ab, dass die solchermaßen „integrierten“ Europäer nic…
nur ökologisch, sondern auch finanziell und materiell jenseits ihrer
dauerhaften Möglichkeiten leben.
## Nahende Ressourcenengpässe
Die Abhängigkeit von Herstellungsketten, durch die außereuropäische Flächen
und Ressourcenquellen beansprucht werden, ist immens gestiegen, genauso die
Verschuldung. Damit ist das Wohlstandsmodell immer angreifbarer geworden.
Nicht nur das griechische Lehrstück, sondern nahende Ressourcenengpässe
vergegenwärtigen: Wer immer weiter über seine Verhältnisse lebt, stürzt
umso tiefer, wenn dem Versorgungsparadies der Saft ausgeht.
Die letzte Ausfahrt vor dem Kollaps besteht in einer Postwachstumsökonomie.
Demnach wäre der Industriekomplex zu halbieren und durch ein Netz vitaler
Regional- und Lokalökonomien zu ergänzen. Unternehmen würden die reduzierte
Menge an Gütern instand halten, reparieren und optimieren. Aus Konsumenten
würden moderne Selbstversorger. Sie arbeiteten infolge des
Industrierückbaus noch durchschnittlich 20 Stunden, nutzten die
freigestellte Zeit, um sich handwerklich und sozial zu betätigen.
Gemeinschaftsgärten, offene Werkstätten, Reparatur-Cafés, künstlerische
Aktivitäten, die gemeinschaftliche Nutzung von Gegenständen, Netzwerke des
entgeltlosen Tausches könnten ein modernes Leben mit weniger Geld und
Produktion ermöglichen.
Eine Postwachstumsökonomie wäre von Sesshaftigkeit und materieller
Genügsamkeit geprägt, aber sehr robust. Nur eine Balance aus sparsamer
Industrie, ergänzt um autonome, vielfältige und kleinräumige
Selbstversorgungssysteme, könnte die Europäer vor einem Europa schützen,
das in seiner aktuellen Form unrettbar geworden ist.
24 Jan 2013
## AUTOREN
Niko Paech
## TAGS
Eurokolumne
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