| # taz.de -- Eurokolumne: Keinerlei Anlass für Optimismus | |
| > Im dritten Krisenjahr ist es wichtiger denn je, sich Gedanken über das | |
| > Kommende zu machen. Zinsen für Staatsanleihen sind dabei das geringste | |
| > Problem. | |
| Bild: Hätte Deutschland, wie Spanien, eine Erwerbslosenquote von 26,2 Prozent,… | |
| Die Eurokrise geht nun ins dritte Jahr. Der Flügelschlag eines griechischen | |
| Schmetterlings hat einen Orkan entfacht, der das europäische Haus in seinen | |
| Grundfesten erschüttert. Die Politik hangelt sich derweil von einem | |
| Rettungsgipfel zum nächsten und verordnet dem Patienten Gift anstelle von | |
| Medizin. | |
| Anstatt einen deprimierenden Rückblick über die verpassten Gelegenheiten | |
| und zerschlagene Porzellan des ausgehendes Jahres vorzunehmen, ist es heute | |
| wohl nötiger denn je, sich Gedanken über die kommenden Krisenjahre zu | |
| machen. Europas Wirtschaft befindet sich im freien Fall. Glaubt man | |
| aktuellen Konjunkturprognosen, dann wird die Eurozone im nächsten Jahr noch | |
| tiefer in die Rezession gleiten, wobei vor allem die Daten für die | |
| ökonomisch ohnehin schon gebeutelten Krisenstaaten rabenschwarz sind. | |
| Die Zeiten, in denen die Zinsen für Staatsanleihen noch das primäre Problem | |
| darstellten, sind passé. Heute stehen ganze Volkswirtschaften mit dem | |
| Rücken an der Wand, und es gibt keinen Lichtstreif am Horizont, der auf | |
| eine Trendwende hindeuten könnte. | |
| Die Dimension der Krise wird in Deutschland gern heruntergespielt. | |
| Hierzulande blickt man nur ungern über den eigenen Tellerrand. Um eine | |
| Vorstellung vom Ausmaß der Krise zu bekommen, könnte es hilfreich sein, | |
| sich folgende Zahlen vor Augen zu halten: Würde Deutschland die Rente | |
| derart kürzen wie Griechenland, hätten deutsche Rentner im Schnitt 261 Euro | |
| weniger pro Monat. | |
| ## Bittere Realität | |
| Hätte Deutschland, wie Spanien, eine Arbeitslosenquote von 26,2 Prozent, | |
| entspräche dies in absoluten Zahlen mehr als 13 Millionen offiziell | |
| Arbeitslosen. Wie sich ein deutscher Lehrer fühlen würde, der weiß, dass | |
| mehr als die Hälfte seiner Schüler keinen Job bekommen wird, und was dies | |
| für die Eltern dieser Jugendlichen bedeutet, wird hierzulande ebenfalls | |
| gerne ausgeblendet. | |
| Griechen, Spanier und Portugiesen können diese Zahlen nicht ausblenden, für | |
| sie sind sie bittere Realität. Und auch für die Italiener und die Iren hat | |
| die Krise längst eine Form angenommen, die wir allenfalls aus verblichenen | |
| Filmen und den Geschichten kennen, mit denen Oma und Opa uns immer | |
| weismachen wollten, wie gut es uns doch eigentlich ginge. | |
| Die genannten Horrorzahlen sind wohlgemerkt keine direkte Folge der hohen | |
| Zinsen. Sie sind vielmehr eine Folge der angeordneten Kürzungspolitik und | |
| somit hausgemacht. Sie sind nicht die Krankheit, sondern die Symptome der | |
| falschen Behandlung. Wann ist die Grenze erreicht? Aber welcher | |
| Arbeitslosenquote kippt eine Gesellschaft? Wie schlecht muss es den | |
| Menschen erst gehen, bis sie der Demokratie den Rücken kehren und rechten | |
| Rattenfängern hinterherlaufen? | |
| Wer die Krise herunterspielt, beleidigt die Geschichte durch einen Mangel | |
| an Phantasie. Die Konjunkturprognosen lassen leider keinen Raum für | |
| Optimismus. Ohne ein Gegensteuern wird der Sturm weiter zunehmen und auch | |
| an der deutschen Landesgrenze nicht halt machen. Meldungen, wie die | |
| Schließung des Opel-Werks in Bochum sind die ersten Anzeichen dafür, dass | |
| die Einschläge näher kommen. | |
| ## „Belle époque“ | |
| Dass Europa diesem Sturm gewachsen ist, darf bezweifelt werden. Ehe wir uns | |
| versehen, könnten wir schon bald in einem Kontinent der sich befeindenden | |
| Nationalstaaten aufwachen – einem Europa des frühen 20. Jahrhunderts, mit | |
| dem Unterschied, dass wir uns nicht wie vor 1914 in einer „belle époque“ | |
| mit einer florierenden Wirtschaft befinden, sondern am Rande des Abgrunds. | |
| Es sieht danach aus, dass unsere politischen und ökonomischen Eliten den | |
| europäischen Traum zu Grabe tragen. Sollte die Politik die Verantwortung | |
| der Stunde nicht erkennen, steht dem Kontinent eine düstere Periode bevor. | |
| Die Geschichte kennt keine Wiedergutmachung, die Weichen für unsere und die | |
| europäische Zukunft werden heute gestellt. | |
| Wir stehen heute am Scheideweg. Borniertheit, Ignoranz und ideologische | |
| Scheuklappen haben uns dorthin gebracht. Hätten Politiker und Ökonomen die | |
| Menetekel wahrgenommen, wäre es nie so weit gekommen. Stattdessen haben wir | |
| uns lieber eine Scheinrealität aufgebaut, nun müssen wir den Preis zahlen – | |
| und dieser Preis wird hoch sein, wenn wir das Ruder nicht schon bald | |
| herumreißen. | |
| 21 Dec 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Berger | |
| Jens Berger | |
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