# taz.de -- TV-Reportage zur Eurokrise: Vorurteile statt Fakten | |
> Verwaiste Polo-Stadien, Korruption: Die Spiegel-TV-Serie „Europa am | |
> Abgrund“ zeigt reichlich Klischees über die Ursachen der Eurokrise. | |
Bild: Italien war 2011 der zweitgrößte Nettozahler in der EU. Abgrund sieht a… | |
Giarre, immer wieder Giarre. Das Schweizer Fernsehen war schon 2008 da. | |
Arte und die BBC haben die Stadt schon gezeigt. Und jetzt schickt | |
Spiegel-TV noch einmal die in Berlin lebende Sängerin Etta Scolo in den Ort | |
am Fuße des Ätna. Die Stadt der sinnlosen und nie fertiggestellten | |
Projekte. Darunter ein Polostadion, in einem Land, das kaum Polo spielt. | |
Die Tribünen rosten vor sich hin. Giarre scheint das perfekte Beispiel, um | |
zu illustrieren, was in Italien, ach: im europäischen Süden, falsch läuft. | |
„Europa am Abgrund“, heißt die Spiegel-TV-Reportageserie zur Eurokrise, die | |
heute auf Sat.1 startet. Zumindest die ersten beiden Folgen, Griechenland | |
und Italien, verfilmen den deutschen Blickwinkel auf die Misere im Süden. | |
In dem sind Misswirtschaft, Korruption, Staatsschulden und südliche | |
Faulheit verantwortlich dafür; Finanzspekulation, deutscher Exportwahn und | |
die Merkel’sche Krisenpolitik tragen keine Mitschuld. | |
Die Gastreporter, Etta Scolo und der griechischstämmige Journalist | |
Alexandros Stefanidis, dürfen nur in ihren Herkunftsländern | |
(beziehungsweise denen ihrer Eltern) fahnden, nicht bei deutschen | |
Unternehmen und im Berliner Regierungsviertel. | |
## Sizilien erklärt nicht alles | |
Im Auftaktfilm zur Serie spürt Stefanidis griechischer Korruption | |
hinterher, den chaotischen Zuständen in den Krankenhäusern angesichts der | |
Sparzwänge, zeigt Menschen ohne Jobs und Händler ohne Umsätze. Was am | |
deutschen Blick auf der Eurokrise nicht stimmt, zeigt umso deutlicher der | |
zweite Teil am 14. Januar. Spiegel-TV lässt Etta Scollo die klassische | |
deutsche Italien-Reise machen: über den Brenner nach Norditalien nach Rom | |
und dann nach Sizilien, nach Giarre, Palermo und auf die Dörfer zu ihren | |
Verwandten. Mit der Region beschäftigt sich die Hälfte des | |
25-Minuten-Beitrags. | |
Italiens Wirtschaft mit Sizilien erklären zu wollen, ist aber so | |
aufschlussreich wie die deutsche mit Mecklenburg-Vorpommern. Italiens Süden | |
ist schon seit der Staatsgründung 1861 ein Krisenfall, die Mafia kein neues | |
Problem. Hilfsgelder versickern im Süden schon lange – das Polostadion | |
wurde etwa schon in den Achtzigern geplant. | |
Mit der aktuellen Krise hat das ebenso wenig zu tun wie die von Scollo | |
besuchten Fiat-Werke, deren Probleme spätestens in den Neunzigern begannen. | |
Spiegel-TV sucht die Bilder zum Klischee – und findet sie, natürlich. Man | |
könnte ähnliche auch in Deutschland ausmachen: Aber wäre Kurt Becks | |
Nürburgring ein Beweis für „Deutschland am Abgrund“? | |
## Produktiver Norden | |
Allen Problemen zum Trotz hat Italien eine der florierenden | |
Volkswirtschaften in Europa, vor allem dank der vielen kleinen produktiven | |
Unternehmen im Norden. Scollo besucht nur eines davon. In der EU war | |
Italien 2011 hinter Deutschland der zweitgrößte Nettozahler, gemessen am | |
Bruttoinlandsprodukt sogar der größte. Spiegel-TV erwähnt das nicht. | |
Und auch nicht, dass die aktuellen italienischen Wirtschaftsprobleme eher | |
ein Kollateralschaden der Eurokrise sind. Das Land bekam neue Kredite an | |
den Finanzmärkten nur noch zu immens hohen Zinssätzen. Mario Monti löste | |
Berlusconi als Premier ab und begann seine Sparpolitik. Das | |
Wirtschaftswachstum brach ein, die Zinssätze blieben hoch. | |
Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), setzte 2012 | |
schließlich nach langem Widerstand der Deutschen den notfalls unbegrenzten | |
Aufkauf von Staatsanleihen der Eurostaaten durch. Seitdem ist zunächst Ruhe | |
an der Krisenfront. Als langfristiges Problem ist Montis Sparpolitik | |
geblieben. Vielleicht hätte Spiegel-TV seine Reise ja in Brüssel statt am | |
Brenner beginnen lassen sollen – mit einem Italiener, der erklärt, dass | |
Europa nicht mehr am Abgrund steht, seitdem sich die deutsche Sicht auf die | |
Krise nicht mehr durchsetzen konnte. | |
## „Europa am Abgrund“, Montag, 7. Januar, 23 Uhr, SAT 1 | |
7 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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