# taz.de -- Eurokolumne: Eine Plünderungsgemeinschaft? | |
> Er liebt nicht nur die EU, sondern auch Photovoltaikmodule und | |
> Windmühlen. Deshalb wehrt sich „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried gegen | |
> kleingeistiges Europabashing. | |
Bild: Europa ist grün, aber nicht gewissenlos: Windkraftanlagen in der Nähe v… | |
Nur die Postwachstumsökonomie könne die Europäer schützen. Vor einem | |
Europa, das in seiner aktuellen Form unrettbar geworden sei. „Unrettbar“, | |
[1][schreibt] Niko Paech – und dieses Wort traf mich nicht nur | |
intellektuell, sondern auch emotional. | |
Ich liebe nämlich nicht nur die EU, sondern auch Photovoltaikmodule und | |
Windmühlen. Für Paech verscherbelt Europa gerade das Tafelsilber, seine | |
letzten unberührten Landschaften. Nun will es mit Windkraft-, Biogas- und | |
Solaranlagen im Namen des grünen Wachstums industriell nachverdichten, „um | |
den friedenstiftenden Krieg gegen die Ökosphäre mit veränderten Mitteln | |
fortzusetzen“. | |
Ganz schön gemein. Nun ist Niko Paech wie ich leidenschaftlicher | |
Nichtflieger und Gegner eines naiven grünen Wachstumsglaubens. Für mich ist | |
allerdings die jetzige Politik der EU im Bereich der Erneuerbaren noch viel | |
zu defensiv angesichts der noch geplanten Kohle- und Atomkapazitäten. Zudem | |
bezieht sich die Kompetenz der EU eben nicht vor Ort auf das Planungsrecht, | |
wie Paech suggeriert. | |
Die EU kann in Großbritannien keine Windparks durchdrücken. Oft ist es | |
sogar EU-Naturschutzrecht, das verhindert, dass ökologisches „Tafelsilber“ | |
verscherbelt wird. Positiv gestalten kann die EU besonders die Regulierung | |
des Energiemarktes. Ja, dieser sollte auch ökonomische Dezentralisierung | |
und regionale Wertschöpfung unterstützen, was er heute nicht tut. | |
## Grünes Wachstum nicht verteufeln | |
Einiges verbessern könnte die EU auch bei der Umschichtung von | |
Forschungsgeldern, etwa durch den Abschied von Euratom. Verbessern könnte | |
sie auch die Vorgaben für die Strukturfonds, die Umweltvorgaben für die | |
öffentliche Beschaffung, sie könnte auch die Regeln für staatliche | |
Beihilfen umweltfreundlich ausrichten. | |
In der Krise hilft es nicht weiter, grüne Ideen und Fortschritte als | |
teuflisches „grünes Wachstum“ zu diffamieren. Man muss sich die Mühe | |
machen, Alternativen zur aktuellen EU-Politik zu einzufordern. | |
Grundsätzlich ist die EU nicht weniger „unrettbar“ als die Bundesrepublik | |
Deutschland oder das Land Baden-Württemberg. Die EU sei „neoliberal“, sagen | |
die Linken und verweisen auf Bankenkrise und Spardiktat. Die EU sei | |
sozialstaatslastig, sagen die britischen Konservativen, siehe | |
Arbeitszeitrichtline. Die EU sei unrettbar wachstumsbesessen, sagen die | |
Postwachstumsfreaks. | |
Das ist der Klassiker: Da wird nicht sauber zwischen Politikinhalten und | |
-instrumenten, der Verfasstheit eines politischen Systems und dem täglichen | |
Politikbetrieb mit jeweiligen politischen Mehrheiten unterschieden. Wenn | |
jemand die gesamte ökologische Plünderung der europäischen Einigung | |
anlastet, stimmen viele taz-LeserInnen erst einmal zu. Der gleiche Vorwurf | |
gegen die Bundesrepublik klänge eher merkwürdig. Das Grundgesetz schreibt | |
nicht unbedingt den herrschenden Wachstumszwang vor. Genauso wenig | |
verordnet der Lissabonner Vertrag diesen der EU. | |
## Aufgaben für Nichtflieger | |
Die mehr oder weniger neoliberale und nachhaltigkeitsfeindliche Politik hat | |
auf allen Ebenen etwas mit politischen Mehrheiten zu tun. Unsere Aufgabe | |
als Nichtflieger ist es, eine Postwachstumsmehrheit im EU-Parlament und im | |
Rat zu schaffen. Dann wären andere Gesetze und institutionelle Anpassungen | |
möglich. Konkrete Vorschläge für Vertragsveränderungen hin zur | |
demokratischen Wunderwelt der Postwachstumswirtschaft habe ich aber selten | |
gehört. Ist denn beispielsweise Daniel Cohn-Bendits und Guy Verhofstadts | |
Vision eines Bundesstaats ebenso des Teufels? | |
Am meisten hat mich am EU-Bashing Paechs jedoch die geschichtliche | |
Gefühlskälte erstaunt: Wer mit gemeinsamer Plünderung beschäftigt sei, | |
komme nicht dazu, Krieg gegeneinander zu führen. Das ist als Beschreibung | |
des europäischen Friedensprojektes doch etwas unterkomplex. | |
1 Feb 2013 | |
## LINKS | |
[1] /Eurokolumne/!109709/ | |
## AUTOREN | |
Martin Unfried | |
Martin Unfried | |
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