| # taz.de -- Eurokolumne: Uovo der Daus! | |
| > Klassenstreber ist nicht Klassenbester: In Italien sank die | |
| > Staatschuldenquote um fast 20 Prozentpunkte. In Deutschland stieg sie um | |
| > 10 Prozentpunkte. | |
| Bild: „Macht zu viel Pasta doch blöd“? | |
| Italien hat gewählt und das Ergebnis schmeckt unseren Meinungsmachern | |
| nicht. Offenbar kommt der deutsche Drang zur ökonomischen Selbstkasteiung, | |
| der sich in Begriffen wie Sparpolitik und Reformbedarf ausdrückt, südlich | |
| der Alpen nicht so gut an. | |
| Mario Monti, unser Mann in Rom, wurde vom Wähler ebenso wie das | |
| sparfreudige Mitte-Links-Bündnis abgestraft. Avanti Dilettanti? Nicht | |
| unbedingt, bei genauer Betrachtung zeigt sich vielmehr, dass die deutschen | |
| Kommentatoren die eigentlichen Dilettanten sind. | |
| Wenn Deutschlands Meinungsmacher erzürnt sind, setzen sich gerne die | |
| verbale Pickelhaube auf: Pardon wird nicht gegeben! So fragte sich das | |
| deutsche Volksorgan mit den vier großen Buchstaben anlässlich des | |
| italienischen Wahlergebnisses, ob „zu viel Pasta doch blöd“ und die | |
| Italiener „jetzt unseren (sic!) Euro kaputt machen“. | |
| Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Vergessen wir mal für | |
| einen Moment den nationalchauvinistischen Unterton und fragen uns, wie es | |
| denn überhaupt vonstatten gehen soll, dass die Italiener den Euro „kaputt | |
| machen“. Selbst ein – sehr unwahrscheinlicher – Staatsbankrott Italiens | |
| würde den Euro nicht „kaputt machen“, sondern lediglich einigen Gläubigern | |
| arge Kopfschmerzen bereiten. | |
| Es stellt sich hier jedoch vor allem die Frage, ob die von Merkel, Bild und | |
| Co. favorisierte Kürzungs- und Reformpolitik den Euro im Umkehrschluss | |
| retten könnte. Die Antwort auf diese Frage kann auf Basis empirischer Daten | |
| nur ein klares „Nein“ sein. Nicht zu viel Pasta, sondern ein Job bei der | |
| Bild macht anscheinend blöd. | |
| ## Den Cavaliere in Schutz nehmen | |
| Es ist allerdings nicht nur das Leitmedium der Minderbemittelten und | |
| Merkbefreiten, das kein publizistisches Fettnäpfchen auslässt, wenn es um | |
| Italien geht. Stellvertretend für viele vermeintlich seriöse Publikationen | |
| unkte diese Woche der Focus, dass Silvio Berlusconi als | |
| „Hauptverantwortlicher für Rezession und Schuldenkrise“ gelte. Nun ist es | |
| freilich ein höchst undankbare Aufgabe, ausgerechnet den Cavaliere in | |
| Schutz zu nehmen. | |
| Aber was nicht stimmt, stimmt nun einmal nicht – auch wenn es um Berlusconi | |
| geht. Den historischen Vorkrisen-Höchststand markierte die italienische | |
| Staatsschuldenquote im Jahre 1994 mit 121,8 Prozent als Berlusconi zum | |
| ersten Mal Ministerpräsident wurde. Seitdem sank die Quote zwar langsam | |
| aber stetig auf 103,3 Prozent im Vorkrisenjahr 2007. Und wie sahen die | |
| Zahlen beim Klassenstreber Deutschland in dieser Zeit aus? | |
| Während in Italien die Staatschuldenquote um fast zwanzig Prozentpunkte | |
| sank, stieg sie im gleichen Zeitraum in Deutschland um zehn Prozentpunkte. | |
| Auch wenn die Leitartikler dies nicht wahrhaben wollen – nicht Deutschland, | |
| sondern Italien hat in den letzten Jahrzehnten seine Staatsschuldenquote | |
| mustergültig reduziert. | |
| Der Klassenstreber war hier wieder einmal nicht der Klassenbeste. Aber was | |
| interessieren schon Fakten, wenn sie die tolle Story vom mustergültigen | |
| Teutonen und vom chaotischen Italiener kaputt machen? | |
| Komplett faktenresistent zeigte sich diese Woche auch wieder einmal die | |
| Börsenberichterstattung der ARD. Es kann der Frömmste nicht in Frieden | |
| leben, wenn es den bösen Märkten nicht gefällt. Und das Votum der Italiener | |
| hat den Märkten ganz und gar nicht gefallen. Wie meist, wenn die ARD von | |
| der Börse berichtet, hatte das Fremdschämpotential dabei einen echten | |
| Bullenmarkt. | |
| ## Fieberthermometer der Marktkonformität | |
| Nach Auszählung der italienischen Stimmen gaben die öffentlich-rechtlichen | |
| Spökenkieker diesmal eine „Sturmwarnung für Europa“ ab, raunten von einem | |
| „Schock für die Finanzmärkte“ und plapperten ansonsten frohgemut nach, was | |
| ihnen die „Analysten“ der Banken vorgeplappert hatten. Was war geschehen? | |
| Der Dax, das Fieberthermometer der Marktkonformität, ist um sagenhafte zwei | |
| Prozent abgerutscht. Ei der Daus! | |
| Derart geschockt kann man natürlich schon mal vergessen, dass der Dax in | |
| den letzten Monaten um ganze 30 Prozent gestiegen ist. Die „Sturmwarnung | |
| für Europa“ war wohl eher eine Sturmwarnung im Wasserglas, die als | |
| geeigneter Vorwand genutzt wurde, um den deutschen Kleinsparer ganz in | |
| Merkels Sinne ideologisch zu festigen. Avanti Dilettanti, frei nach dem | |
| großen Philosophen Giovanni Trapattoni möchte man da nur noch sagen: | |
| „Deutsche Kommentatoren schreiben wie Flasche leer. Ich habe fertig.“ | |
| 28 Feb 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Berger | |
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