Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Vom Überleben in der Krise: Staat ist keine schwäbische H…
> „Sparen“ ist in der deutschen Sprache positiv besetzt. In vielen anderen
> Ländern ist das nicht so. In Südeuropa werden andere Begriffe verwendet.
Bild: Der Grieche ist sauer!
Generalstreik! Millionen Südeuropäer gingen in dieser Woche gegen den
Sparkurs ihrer Regierungen auf die Straße. In Deutschland wurden die
Proteste häufig mit Kopfschütteln quittiert. Wer nicht spart, so die simple
Logik, bleibt verschuldet. Für eine Volkswirtschaft muss das jedoch nicht
gelten. Im Gegenteil. Wenn der Staat mitten in einer Wirtschaftskrise die
Ausgaben kürzt, kann dies verheerende Folgen haben – und den Staatshaushalt
auf lange Sicht sogar vollends ruinieren.
„Sparen“ ist in der deutschen Sprache positiv besetzt. Wer Geld spart,
verbessert seine finanzielle Lage. Was für den einzelnen Haushalt gilt,
lässt sich jedoch nicht auf die Gesamtwirtschaft übertragen. Wenn ein
Haushalt spart, legt er in der Regel Geld bei einer Bank an, die ihm nur
deshalb Zinsen gutschreiben kann, weil andere Haushalte, Firmen oder eben
der Staat sich verschulden. Wenn niemand Schulden macht, kann also auch
niemand sparen.
In einer Wirtschaftskrise geben die privaten Haushalte in der Regel als
Folge steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Löhne weniger Geld aus.
Wenn die Nachfrage wegbricht, bröckelt auch der Investitionshunger der
Konzerne.
Im Gegenteil: Anstatt neue Jobs zu schaffen, werden vorhandene vernichtet.
Wenn sowohl Privatiers als auch Unternehmer nicht mehr Geld ausgeben können
oder wollen, beginnt ein Teufelskreis aus rückläufiger Nachfrage und
steigender Arbeitslosigkeit. Jetzt kann nur noch der Staat eingreifen –
meist mit Geld, das er nicht hat: Schulden. Wenn der Staat in der Krise
weniger Geld ausgibt, verstärkt er den Teufelskreis, statt ihn zu stoppen.
## Es wird immer weniger
Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, die Nachfrage zurückgeht und die
Unternehmen Verluste machen, nimmt der Staat auch in allen Bereichen
weniger Steuern ein. Dafür steigen auf der anderen Seite Ausgaben wie die
Kosten für die Sozialsysteme. Wenn ein Staat in der Krise Ausgaben kürzt,
hat er im Folgejahr also nicht mehr, sondern weniger Geld zur Verfügung.
Genau in diesem Punkt unterscheidet sich der Staat dann doch fundamental
von der schwäbischen Hausfrau.
Südeuropa befindet sich mitten im Teufelskreis aus rückläufiger Nachfrage
und steigender Arbeitslosigkeit. Dies ist vor allem eine Folge der
Sparpolitik der letzten Jahre. Wenn die südeuropäischen Staaten an dieser
Politik festhalten, ist auch kein Ende der Krise in Sicht.
Erstaunlich, dass dieser simple Zusammenhang in Deutschland nicht
verstanden wird. Stattdessen wundert man sich hierzulande, dass die
südeuropäischen Länder „trotz größter Sparanstrengungen“ ihre Etatziele
regelmäßig verfehlen. Dass diese Ziele nicht trotz, sondern wegen des
Sparens verfehlt werden, gerät im öffentlichen Diskurs oft völlig in den
Hintergrund.
## Enthaltsamkeit statt Sparpolitik
Einiges wäre erreicht, wenn wir uns wenigstens vom Begriff „Sparpolitik“
verabschieden würden. Im Englischen spricht man von „Austerity“ (lateinisch
austeritas – strenge Enthaltsamkeit). Dieser Begriff wird als „Austerität�…
auch in der deutschen Fachliteratur verwendet.
Die Franzosen sprechen gar von einer „Politique de rigueur“ (Politik der
Härte/Strenge/Unerbittlichkeit). Sprachlich ein großer Unterschied zum
positiv besetzten deutschen Begriff „Sparpolitik“. Unsere Sprache bestimmt
unser Denken. Wahrscheinlich würden die Deutschen anders über ihre
Mitmenschen in Südeuropa denken, wenn diese nicht gegen „Sparpolitik“,
sondern gegen eine „Politik der Härte“ protestieren würden?
Und wenn man schon nicht auf das Wort „Sparen“ verzichten mag: Passender
ist in diesem Zusammenhang wohl „Totsparen“.
16 Nov 2012
## AUTOREN
Jens Berger
## TAGS
Eurokolumne
Sparkurs
Streik
Griechenland
Wirtschaftskrise
Italien
Eurokrise
Schweiß
taz.gazete
Eurokrise
Euro-Krise
Inflation
Euro
## ARTIKEL ZUM THEMA
Eurokolumne: Uovo der Daus!
Klassenstreber ist nicht Klassenbester: In Italien sank die
Staatschuldenquote um fast 20 Prozentpunkte. In Deutschland stieg sie um 10
Prozentpunkte.
Kolumne Vom Überleben in der Krise: Kein Wachstum ist auch keine Lösung
Aus der Krise kann man man sich nicht heraussparen. Der Deutsche
Gewerkschaftsbund hat zur Rettung einen „Marshallplan für Europa“
vorgestellt.
Kolumne Vom Überleben in der Krise: Legt die Steueroasen trocken!
Steueroasen wie die Schweiz bieten potenziellen Steuerbetrügern zu viel
Schutz und Anonymität. Das muss sich ändern.
Kolumne Vom Überleben in der Krise: Dagobert Duck irrt sich
Dagobert Duck tappte in die Liquiditätsfalle, als er in seinem Geld lieber
badete, statt es auszugeben. Heutzutage herrscht ein ähnliches Prinzip.
Kolumne Überleben in der Krise: Die Zukunft ist leider schon da
Firmenanteile gegen Kündigungsschutz – ein schlechter Tausch. Die Krise
verschärft das Lohn- und Arbeitsrechte-Dumping und die Gewerkschaften
verlieren an Macht.
Kolumne Vom Überleben in der Krise: Und immer grüßt die Bank
Während in Europa massig Staatsschulden angehäuft werden, sind
angeschlagene Kreditinstitute fein raus. Sie werden gerettet – alles andere
wäre zu gefährlich.
Eurokolumne: Die Angst vor dem Gelduntergang
Inflation ist ein nationales Trauma. Darum äußert sich auch der ehemalige
Weinbauminister Rainer Brüderle gewohnt kompetent dazu.
Kolumne Vom Überleben in der Krise: Mehr Demokatie wagen
Den EU-Bürgern soll ein bisschen Mitbestimmung in der Währungsunion
zugebilligt werden. Substanzielle Fragen werden auf dem EU-Gipfel aber
offenbleiben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.