# taz.de -- Debatte Finanzkrise: Vorbild Island | |
> Bürger retten, Banken pleitegehen lassen. Island hat auf die Finanzkrise | |
> anders als Deutschland reagiert – und damit Erfolg gehabt. | |
Bild: Krisenerprobt: Isländische Pferde. | |
Island, das die internationale Bankenkrise als Erstes traf, war so etwas | |
wie der Kanarienvogel in der Goldmine des Finanzsystems. Bergleute hatten | |
den Vogel einst eingesetzt, um vor tödlichen Gasen im Schacht zu warnen. | |
Angelockt von hohen Zinsen pumpten internationale Banken, Fonds und | |
Kleinanleger über Jahre hinweg Milliardensummen in das weitestgehend | |
deregulierte Bankensystem der 300.000-Seelen-Insel. Am Vorabend der Krise | |
hatten die drei größten Banken des Landes eine Bilanzsumme, die dem | |
Neunfachen der Wirtschaftskraft des Landes entsprach. | |
Islands Geschäftsmodell, langfristig vergebene Kredite kurzfristig zu | |
refinanzieren, platzte jedoch in der Finanzkrise. Eigentlich hätte der | |
isländische Kanarienvogel im Herbst 2008 am aufsteigenden Gemisch aus | |
toxischen Wertpapieren ersticken müssen. Er zwitschert heute jedoch wieder | |
munter und rettete sein Leben auf eine eher unkonventionelle Art und Weise. | |
Island ließ seine Banken pleitegehen, kürzte keine wichtigen Staatsausgaben | |
und rettete seine Bürger. | |
Und siehe da – was für deutsche Ohren wie Häresie klingt, hat auf ganzer | |
Linie funktioniert. Erst vor wenigen Tagen würdigte der Internationale | |
Währungsfonds (IWF) Islands „überraschenden“ Erfolg und erklärte das | |
isländische Krisenprogramm zu einem Vorbild für andere Staaten unter | |
internationalen Hilfsprogrammen. Island habe, so der IWF, nicht den | |
Steuerzahler für die Verluste der Banken in Haftung genommen und konnte | |
dadurch das Wohlfahrtssystem erhalten und die Gefahr einer | |
Massenarbeitslosigkeit abwenden. | |
## Kreativität wurde freigesetzt | |
Es lohnt also, sich einmal näher mit Islands Antwort auf die Krise zu | |
beschäftigen. Der Zusammenbruch des Bankensystems setzte bei den Isländern | |
eine nicht immer marktkonforme Kreativität frei. Anderswo erhielten die | |
leitenden Bankmanager millionenschwere Abfindungen, in Island bekamen sie | |
einen Haftbefehl zugestellt. | |
Man gründete keine „Bad Bank“, sondern „Good Banks“, in die ausschlie�… | |
das solide Inlandsgeschäft überführt wurde. Diese neuen Banken wurden | |
verstaatlicht und übernahmen reibungslos das eigentliche Kerngeschäft. Die | |
fragwürdigen neuen Finanzprodukte und das Auslandsgeschäft – inklusive der | |
horrenden Schulden – blieben bei den alten Banken, die die Regierung wenige | |
Tage später kollabieren ließ. | |
Während Islands Steuerzahler relativ glimpflich davonkamen, mussten die | |
kreditgebenden internationalen Banken und Kleinsparer, die sich von | |
irrealen Zinsen hatten blenden lassen, ihre Forderungen abschreiben. Das | |
mag für die Betroffenen ärgerlich sein, aber so funktioniert nun einmal der | |
Kapitalismus. Ein hoher Zins geht stets mit einem hohen Risiko einher. | |
## Binnenkonjunktur gestärkt | |
Islands unkonventionelle Lösung der Bankenkrise war jedoch nicht kostenlos | |
zu haben. Um die neuen staatlichen Banken zu kapitalisieren und die | |
realwirtschaftlichen Kosten der Krise schultern zu können, musste der Staat | |
Kredite des IWF in Anspruch nehmen. Und nun begann der zweite Teil des | |
isländischen Wunders. Während andere Kreditnehmer vom IWF gnadenlos zu | |
Deregulierung, neoliberalen Reformen und Kürzungen der öffentlichen | |
Haushalte verdonnert werden, schafften es die Isländer, der Washingtoner | |
Organisation die Zustimmung für ein Krisenprogramm abzuringen, das in | |
nahezu allen Punkten Neuland war und zudem der traditionellen IWF-Politik | |
widersprach. | |
Anstatt den Staatshaushalt durch sogenannte Sparmaßnahmen sanieren zu | |
wollen, setzte die Regierung in Reykjavik auf gezielte Programme, um die | |
isländische Binnenkonjunktur zu stärken. Durch die Immobilienkrise | |
überschuldete Privathaushalte kamen beispielsweise in den Genuss eines | |
Teilschuldenerlasses; andere konnten auf staatliche Beihilfen hoffen. So | |
gelang es, eine Masseninsolvenz zu verhindern, die der Konjunktur | |
vermutlich einen Knock-out versetzt hätte. | |
Aber auch abseits der Schuldenproblematik ging Island neue Wege, indem es | |
nicht die Normalverdiener, sondern die Wohlhabenden durch Steuererhöhungen | |
zur Ader ließ. Dadurch konnte die Regierung Kürzungen im Sozialbereich | |
vermeiden und die Binnennachfrage stabilisieren. | |
Der Erfolg dieser Maßnahmen war gewaltig – nachdem die Arbeitslosenquote im | |
Sog der Krise auf fast zehn Prozent anstieg, beträgt sie heute nur noch 4,8 | |
Prozent. Und während Islands Wirtschaft im Katastrophenjahr 2009 noch um | |
6,7 Prozent schrumpfte, wird sie in diesem Jahr den Prognosen zufolge um | |
mehr als zwei Prozent wachsen. Die OECD geht davon aus, dass der | |
isländische Staatshaushalt in diesem Jahr wieder ausgeglichen sein wird. | |
Von solchen Strukturdaten können die meisten Mitglieder der Eurozone nur | |
träumen. | |
## Island macht alles richtig | |
Nachdem Island in diesem und im letzten Jahr bereits den Großteil der | |
bilateralen Hilfen aus Skandinavien und Polen zurückzahlen konnte, tilgte | |
es im Juni dieses Jahres bereits vorzeitig ein Viertel der IWF-Kredite, | |
indem es rund 500 Millionen US-Dollar (umgerechnet knapp 400 Millionen | |
Euro) nach Washington überwies. | |
Dies mag für eurokrisengewöhnte Ohren nicht sonderlich beeindruckend | |
klingen – rechnet man diese Summe auf das ungleich größere Deutschland um, | |
kommt man jedoch auf sehr beeindruckende 133 Milliarden Dollar – rund 106 | |
Milliarden Euro. Island konnte bereits zweimal erfolgreich frische | |
Staatsanleihen am Markt platzieren, wurde von den internationalen | |
Ratingagenturen wieder auf „Investment Grade“ heraufgestuft und konnte | |
einen Großteil seiner Krisenschulden wieder zurückzahlen. | |
Man kann das isländische Modell nicht ohne Weiteres auf andere Staaten | |
übertragen. Islands Antwort auf die Krise zeigt aber, dass das Mantra der | |
systemrelevanten Banken nicht haltbar ist. Island hat bewiesen, dass sich | |
ein Staat in brenzliger Situation durch eine schuldenfinanzierte Stärkung | |
der Konjunktur und durch eine Stärkung der Sozialsysteme retten kann. | |
Das in Deutschland beliebte Austeritätsdogma gehört auf den Müllhaufen | |
gescheiterter Ideologien. Ein Staat, der nicht seine Banken, sondern seine | |
Bürger rettet, macht alles richtig. Diese Lektion darf in Europa nicht | |
ungehört bleiben. | |
7 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Jens Berger | |
## TAGS | |
Italien | |
Steuerzahler | |
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