| # taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Die Reykjavík-Gang | |
| > Islands Staatskasse wurde regelrecht verzockt. Aber wie kam es dazu, dass | |
| > dieses kleine Land ins große Finanzgeschäft einstieg? Ein wahrer | |
| > Wirtschaftskrimi. | |
| Bild: Gegen den Crash von Landsbanki & Co. kam auch der Eyjafjallajokull nicht … | |
| Am 9. April lehnte eine große Mehrheit der isländischen Bürger in einem | |
| Referendum das dritte Icesave-Abkommen ab. Diese Vereinbarung über die | |
| Kompensation der durch den isländischen Bankencrash geschädigten | |
| ausländischen Einleger war zuvor zwischen den Regierungen Islands, der | |
| Niederlande und Großbritanniens ausgehandelt worden. Maßgeblich für das | |
| negative Votum der Isländer war weniger der Inhalt des Abkommens als | |
| vielmehr die Debatte über die künftigen Beziehungen zwischen ihrem Land und | |
| der Europäischen Union. | |
| An der Spitze der Nein-Kampagne standen Anhänger der extremen politischen | |
| Rechten und der äußersten Linken, deren Hauptziel es ist, einen EU-Beitritt | |
| Islands zu verhindern. Viele Bürger wollten mit ihrem Nein aber auch ihre | |
| Wut über die isländischen Banker artikulieren. Denn die für den Crash | |
| Verantwortlichen können heute ein luxuriöses Leben im Ausland genießen. Für | |
| die riesigen finanziellen Verluste, die sie Unternehmen wie privaten | |
| Anlegern zugefügt haben, müssen sie in keiner Weise geradestehen, weil die | |
| Banken ihre irrwitzigen Schulden einfach auf den Staat überschreiben | |
| durften. | |
| Das kleine Island steht damit exemplarisch für das größte Problem, vor dem | |
| heute alle Regierungen stehen: Sie sind außerstande, den Bankensektor zu | |
| kontrollieren, weil sie für die Finanzierung der Staatsaufgaben auf eben | |
| diesen Sektor angewiesen sind. | |
| Island war noch 2007 das fünftreichste Land der Welt, sein | |
| Bruttoinlandsprodukt pro Kopf übertraf das der USA um 60 Prozent. In | |
| Reykjavík boomten die Designergeschäfte, in den Restaurants speiste man | |
| teurer als in London, und die engen Straßen waren von Luxusgeländewagen | |
| verstopft. Glaubt man einer vergleichenden Studie von 2006, so fühlten sich | |
| die Isländer als die glücklichsten Menschen der Welt. | |
| Ein Großteil dieses Reichtums beruhte auf dem rasanten Wachstum der drei | |
| größten isländischen Banken Kaupthing, Glitnir and Landsbanki, die noch | |
| 1998 kleine, kundenorientierte Geldinstitute gewesen waren. Dann aber | |
| entwickelten sie sich innerhalb von acht Jahren zu wahren Finanzgiganten, | |
| die in die Liga der 300 weltweit größten Banken aufstiegen. Diese "großen | |
| drei" haben ihren Bilanzwert im Zeitraum zwischen 2000 und 2007 von 100 | |
| Prozent des isländischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf knapp 800 Prozent | |
| gesteigert. Eine solche Zunahme um das Achtfache wurde nur noch von den | |
| Schweizer Banken übertroffen. | |
| Fast genauso hoch lag allerdings die Summe ihrer Fremdmittel. Als im | |
| September 2008 die Finanzmärkte im Gefolge des Bankrotts der US-Großbank | |
| Lehman Brothers zum Erliegen kamen, konnten die isländischen Banken ihre | |
| Gläubiger nicht mehr bedienen. Die Krise war da: Innerhalb einer Woche | |
| brachen die "großen drei" zusammen und wurden vom Staat übernommen. Damit | |
| waren sie über Nacht in eine weniger ruhmreiche Liga abgestiegen: Die | |
| Ratingagentur Moody's führte sie auf der Liste der elf größten Bankencrashs | |
| der Geschichte. | |
| Island hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts - nach über 600 Jahre währender | |
| Fremdherrschaft - eine Sozialstruktur, die im Vergleich mit allen | |
| nordeuropäischen Länder noch am stärksten von der Feudalzeit geprägt war. | |
| Wichtigster Wirtschaftssektor war der Fischfang, der dem Land einen | |
| Großteil seiner Devisen einbrachte. Die wurden dazu genutzt, einen | |
| wachsenden, allerdings von Importen abhängigen gewerblichen Sektor | |
| aufzubauen, was dann weitere Investitionen in die Bau- und Leichtindustrie | |
| wie im Bereich der Dienstleistungen nach sich zog. | |
| Nach dem Zweiten Weltkrieg löste die Kombination von drei Faktoren eine | |
| Periode verstärkten Wachstums aus: erstens die Gelder aus dem Marshall-Plan | |
| (als Gegenleistung für die Einrichtung einer großen US- und | |
| Nato-Militärbasis); zweitens die stabile Nachfrage nach dem wichtigsten | |
| Exportprodukt: die Fänge der isländischen Hochseefischereiflotte; und | |
| drittens eine sehr kleine, aber sehr gut ausgebildete Bevölkerung mit einem | |
| ausgeprägten Nationgefühl. | |
| Mit wachsendem Wohlstand baute Island einen Wohlfahrtsstaat auf, der sich | |
| an dem steuerfinanzierten skandinavischen Modell orientierte. In den 1980er | |
| Jahren erreichte das Land hinsichtlich Einkommenshöhe und -verteilung ein | |
| Niveau, das dem skandinavischen Durchschnitt entsprach. Die staatliche | |
| Regulierung wie auch der Klientelismus waren in Island allerdings noch | |
| stärker ausgeprägt als bei seinen europäischen Nachbarn. Die Folge war, | |
| dass der politische wie der ökonomische Bereich von einem örtlichen | |
| Oligopol beherrscht und zugleich gefesselt wurde. | |
| Von dieser quasifeudalen, aus dem 19. Jahrhundert überkommenen Verteilung | |
| der Macht führte eine direkte Linie zu den Machtstrukturen, die der | |
| modernisierte isländische Kapitalismus in der zweiten Hälfte des 20. | |
| Jahrhunderts ausgebildet hat. Seit der unmittelbaren Nachkriegsperiode | |
| setzte sich die Elite, die Politik und Wirtschaft beherrschte und die | |
| ökonomische Entwicklung steuerte, aus einem guten Dutzend Familien | |
| zusammen. Dieser Machtblock, im Volksmund "der Oktopus" genannt, | |
| kontrollierte buchstäblich alles: Banken und Versicherungen, das | |
| Transportwesen und die Fischerei, die Belieferung der Nato-Basen und den | |
| Importsektor. Dieser Machtblock stellte über fünfzig Jahre lang auch die | |
| meisten Spitzenpolitiker des Landes. Die Oligarchen und ihr Familienklüngel | |
| hatten quasi dieselbe Macht wie im früheren Island die Stammesoberhäupter. | |
| Der Oktopus hatte die rechte Unabhängigkeitspartei im Griff, die wiederum | |
| die Medien kontrollierte und über die Besetzung aller höheren Posten in der | |
| Bürokratie, im Polizeiapparat und im Justizwesen entschied. Auch die | |
| (staatlichen) Banken waren praktisch im Besitz der herrschenden Parteien. | |
| Wenn normale Bürger einen Kredit für die Anschaffung eines Autos oder | |
| Devisen für eine Auslandsreise beantragen wollten, mussten sie sich an | |
| Parteifunktionäre wenden. Dieses Machtgeflecht degenerierte zu einem wilden | |
| Gestrüpp aus Misstrauen, Liebedienerei und Erpressung, durchtränkt von | |
| einer Kultur brachialer Männlichkeit, die an die frühere Sowjetunion | |
| erinnerte. | |
| Seit den späten 1970er Jahren wurde diese traditionelle Ordnung von innen | |
| infrage gestellt, und zwar durch eine neoliberale Fraktion. Diese | |
| sogenannte Lokomotiv-Gruppe hatte sich schon in den frühen 1970er Jahren | |
| formiert, als einige Jura- und BWL-Studenten an der Universität Island das | |
| Kommando bei einer Zeitschrift namens Lokomotive übernahmen. Mit der | |
| Propagierung marktradikaler Ideen wollten diese jungen Aufsteiger zugleich | |
| ihre eigenen Karrieren vorantreiben, ohne auf die Patronage durch den | |
| Oktopus angewiesen zu sein. Nach der Auflösung des Ostblocks 1989 sah diese | |
| Gruppe ihre Position materiell wie ideologisch in dem Maße gestärkt, wie | |
| die Kommunisten und Sozialdemokraten an Wählerrückhalt verloren. | |
| Ein prominentes Mitglied der Lokomotiv-Gruppe war Davíd Oddsson, der aus | |
| einer Reykjavíker Mittelschichtfamilie stammte. 1982 im Alter von 34 Jahren | |
| zum Bürgermeister von Reykjavík gewählt, begann er eine | |
| Privatisierungskampagne, die auch den Verkauf der Fischereiflotte der | |
| Hauptstadt einschloss, wovon vor allem seine Spezies aus der | |
| Lokomotiv-Gruppe profitierten. 1991 gewann die Unabhängigkeitspartei mit | |
| Oddsson als Spitzenkandidaten die Parlamentswahlen. Anschließend herrschte | |
| er (das Wort ist in dem Fall keine Übertreibung) 14 Jahre lang als | |
| Ministerpräsident. In dieser Funktion ermöglichte er das fantastische | |
| Wachstum des isländischen Finanzsektors, bevor er sich 2004 zum Gouverneur | |
| der Zentralbank machte. Nachfolger als Regierungschef wurde sein | |
| Gefolgsmann Geir Haarde, der ihm seit 1998 als Finanzminister gedient | |
| hatte. | |
| David Oddsson bewegte sich Zeit seines Leben nur innerhalb der isländischen | |
| Politik; jenseits der Inselgrenzen hat er kaum Erfahrungen gesammelt, und | |
| sein Interesse für den Rest der Welt war eher begrenzt. Die radikale | |
| Liberalisierung der isländischen Wirtschaft begann 1994, als der Beitritt | |
| zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)(1) alle Beschränkungen für die | |
| grenzüberschreitende Bewegung von Kapital, Waren, Dienstleistungen und | |
| Menschen mit einem Schlag aufhob. Damals beschloss die Regierung Oddsson | |
| den Ausverkauf staatlicher Unternehmen und Vermögenswerte sowie eine | |
| radikale "Deregulierung" der Arbeitsverhältnisse. | |
| ## Eine Orgie der Selbstbedienung | |
| Allerdings blieb der Finanzsektor bis Ende der 1990er Jahre überschaubar | |
| und bestand hauptsächlich aus den staatlichen Banken. Als Oddsson 1998, in | |
| einer Koalition mit der Fortschrittspartei, die Privatisierung dieses | |
| Sektors in Angriff nahm, begann eine wahre Orgie der Selbstbedienung: Die | |
| Landsbanki wurde den Granden der Unabhängigkeitspartei, die Kaupthing den | |
| Bossen der Fortschrittspartei zugeschanzt - ausländische Mitbieter hatte | |
| man ausgeschlossen. Diese beiden wurden zur "Liga der drei" erweitert, als | |
| wenig später durch die Fusion von mehreren kleineren Banken eine weitere | |
| Privatbank namens Glitnir entstand. | |
| Zur Jahrtausendwende stieg Island dann ganz groß ins internationale | |
| Finanzgeschäft ein. Ermöglicht wurde dies durch zwei Trends auf globaler | |
| Ebene - billige Kredite im Überfluss und unbeschränkte Mobilität des | |
| Kapitals - und durch drei Voraussetzungen in Island selbst: Erstens hatten | |
| die Banken politische Rückendeckung; zweitens wurde Investmentbanken | |
| erlaubt, mit Geschäftsbanken zu fusionieren, womit der riskantere | |
| Investmentsektor durch dieselben Regierungsgarantien gedeckt war wie die | |
| Einlagen der Geschäftsbanken; und drittens sicherte die Tatsache, dass | |
| Island eine geringe Staatsverschuldung aufwies, den Banken die für große | |
| Geschäfte unerlässlichen Bestnoten der internationalen Ratingagenturen. | |
| Angesichts solch prächtiger Bedingungen beschlossen die Großaktionäre der | |
| Landsbanki, der Kaupthing und der Glitnir, sich der politischen Aufsicht | |
| über den Finanzsektor zu entledigen. Zukünftig sollte sich die Politik der | |
| Regierung den Zielen des Finanzsektors unterordnen. Als nächsten Schritt | |
| weichten Oddsson und seine Freunde die Regeln für die Vergabe staatlicher | |
| Hypothekenkredite derart auf, das ein Bausparer einen Kredit über 90 | |
| Prozent des Immobilienwerts aufnehmen konnte. Die frisch privatisierten | |
| Banken überboten sich im Anbieten noch großzügigerer Konditionen, und die | |
| Regierung senkte die Einkommensteuern wie die Mehrwertsteuerrate, mit dem | |
| strategischen Ziel, Island zu einem steuergünstigen internationalen | |
| Finanzzentrum zu machen. | |
| Damit war allerdings eine Dynamik entfesselt, die zu einer Kreditblase | |
| führen musste. Um immer größere Bereiche der isländischen Volkswirtschaft | |
| an sich zu reißen, investierte die neue Bankelite in diese Blase, teils | |
| einvernehmlich, teils in Konkurrenz zueinander. Ihr Rezept bestand darin, | |
| bei den eigenen Banken großzügige Kredite aufzunehmen - wobei ihre | |
| Aktienpakete als Sicherheit dienten. Mit diesem Geld kauften sie teilweise | |
| noch mehr Anteile derselben Banken, um deren Kurs weiter hochzutreiben. Das | |
| Bankmanagement war angewiesen, dieses Spiel mitzumachen. | |
| Ähnliche Geschäfte wurden auch für Klienten der anderen Banken organisiert. | |
| Dabei vergab Bank A einen Kredit an Anteilseigner der Bank B, die noch mehr | |
| Aktien von Bank B kauften und damit deren Aktienkurs stimulierten. Im | |
| Gegenzug leistete die Bank B dieselben Dienste für Anteilseigner der Bank | |
| A. Am Ende der Operation hatte der Börsenwert beider Banken zugelegt, ohne | |
| dass diesen neue Gelder zugeflossen wären. Die der anderen Bank gewährten | |
| Kredite wurden zudem auch als Sicherheit genutzt, um Anleihen (also reales | |
| Geld) bei ausländischen Banken aufzunehmen. | |
| Diese Operationen funktionierten im Grunde wie ein Kettenbriefsystem. Die | |
| Ökonomen sprechen von "Ponzi-Finanzierung", bei der Kredite schlicht durch | |
| weitere Anleihen refinanziert werden. Wobei das Geschäft im isländischen | |
| Fall großenteils mit "Scheinkapital" abgewickelt wurde, das von illegalen | |
| Marktmanipulationen herrührte. Dass diese Kreditketten nicht tragfähig | |
| waren, blieb unsichtbar, weil die Banken ein raffiniertes Netzwerk von | |
| gemeinsam gegründeten Briefkastenfirmen unterhielten. Diese Firmen - | |
| registriert in Luxemburg, der Isle of Man, den britischen Jungferninseln | |
| oder Kuba - kauften sich gegenseitig Aktienanteile ab, um damit | |
| ausgeglichene Bilanzen zu fingieren. | |
| Die unbegrenzte Kreditschwemme ermöglichte auch den normalen Isländern | |
| einen extravaganten Konsum, mit dem sie das Ende der jahrzehntelangen | |
| finanziellen Dürreperiode feiern konnten, in der man einen Kredit nur | |
| mittels politischer Beziehungen bekommen hatte. Dass sich die Isländer | |
| nunmehr endlich als "unabhängige Leute" fühlen konnten, dürfte zumindest | |
| teilweise erklären, warum sie sich selbst als "die glücklichsten Menschen | |
| der Welt" einschätzten. | |
| Die beschriebenen Methoden ermöglichten es dem winzigen Island, mit seinen | |
| Finanzinstituten in die Liga der internationalen Großbanken aufzusteigen. | |
| Dabei genehmigten sich die Anteilseigner und Manager immer größere | |
| Dividenden und Boni und organisierten damit eine Art Bankraub von innen. Da | |
| sie mit ihrem wachsenden Reichtum auch immer mehr politische Unterstützung | |
| kaufen konnten, begannen viele von ihnen zu glauben, sie könnten wie der | |
| legendäre König Midas alles zu Gold machen. Zum optischen und akustischen | |
| Symbol ihres Machtbewusstseins wurden die zahlreichen Privatjets, mit denen | |
| sie den Flughafen von Reykjavík zudröhnten. | |
| ## Finanzwerte von zweifelhafter Qualität | |
| Doch gleichzeitig nahm in diesen Jahren die Ungleichheit bei der Vermögens- | |
| und Einkommensverteilung drastisch zu. Und die Politik der Regierung, die | |
| Steuerlast immer stärker auf die ärmere Hälfte der Bevölkerung zu | |
| verlagern, verstärkte diesen Trend noch.2 Die Banker zeigten sich dafür | |
| erkenntlich, indem sie reichlich Spenden an die regierenden Parteien | |
| abführten und den maßgeblichen Politikern beträchtliche Kreditsummen | |
| bewilligten. | |
| 2004 feierte der führende isländische Propagandist des Marktradikalismus im | |
| Wall Street Journal das "Oddsson'sche Experiment einer liberalen Strategie" | |
| noch als " größte Erfolgsstory der Welt".(3) Dann aber tauchten Anfang 2006 | |
| in der Finanzpresse die ersten besorgten Fragen über die Stabilität der | |
| großen Banken auf, als diese erstmals Probleme hatten, sich neue Mittel auf | |
| den Finanzmärkten zu beschaffen (worauf ja ihr ganzes Geschäftsmodell | |
| beruhte). Das Defizit der isländischen Zahlungsbilanz hatte sich von 2003 | |
| bis 2006 vervierfacht und war von 5 Prozent des BIPs auf 20 Prozent | |
| angewachsen (damals eines der größten Zahlungsbilanzdefizite der Welt). Der | |
| isländische Aktienindex war wischen 2001 und 2007 um das Neunfache | |
| gestiegen. Die "großen drei" Landsbanki, Kaupthing und Glitnir arbeiteten | |
| mit geliehenen Geldern, die weit jenseits der Deckungskapazität der | |
| isländischen Zentralbank lagen, obwohl diese als "lender of last resort" | |
| für dieses Kreditvolumen bürgen musste. Zumal die Verbindlichkeiten der | |
| Banken höchst real waren, viele ihrer Aktiva dagegen eine zweifelhafte | |
| Qualität aufwiesen und große Teile von beiden in ausländischen Währungen | |
| bilanziert waren. | |
| Im Februar 2006 senkte die Ratingagentur Fitch ihre Bewertung der | |
| isländischen Zukunftsperspektiven von stabil auf negativ. Das löste die | |
| sogenannte Minikrise von 2006 aus: Die isländische Krone verlor drastisch | |
| an Wert, entsprechend stieg der Wert der Bankverbindlichkeiten in fremder | |
| Währung, womit das Problem der hohen Verschuldung in Fremdwährung | |
| "verstaatlicht" wurde. Als Nächstes gingen die Aktienkurse in den Keller | |
| und die Zahl der Firmeninsolvenzen in die Höhe. Ein Bericht der Danske Bank | |
| charakterisierte den Fall Island als "Geysir-Ökonomie", die kurz vor der | |
| Explosion stehe. Im Mai 2006 schickte der Internationale Währungsfonds | |
| (IWF) der Regierung in Reykjavík einen besorgten Bericht, der aber nur in | |
| einer stark verwässerten Fassung veröffentlicht wurde. Während der interne | |
| Bericht die Ungleichgewichte in der isländischen Wirtschaft als | |
| "staggering" (erschütternd) beschrieb, bezeichnete die veröffentlichte | |
| Version sie lediglich als "auffallend". | |
| Von den isländischen Bankern und Politikern wurde die "Minikrise" von 2006 | |
| verharmlost und auf die Ignoranz der Kritiker zurückgeführt. Die | |
| Zentralbank legte neue Anleihen auf, um ihre Devisenreserven zu verdoppeln. | |
| Die isländische Handelskammer - in der natürlich die Repräsentanten der | |
| drei Banken und ihrer diversen Ableger das Sagen hatten - reagierte mit | |
| einer PR-Kampagne: Dem bekannten Monetaristen Frederic Mishkin, Professor | |
| an der Columbia Business School, zahlte sie 124 000 Dollar für seinen Namen | |
| unter einem Report, der den isländischen Banken eine stabile Basis | |
| bescheinigte. In Wirklichkeit war das Papier größtenteils von einem | |
| isländischen Ökonomen verfasst. Dasselbe gilt für einen zweiten Report, dem | |
| der Londoner Wirtschaftsprofessor Richard Portes für 8 000 Pfund seinen | |
| Namen lieh. | |
| Und der bekannteste Vertreter der Angebotsökonomie, Arthur Laffer, | |
| versicherte den isländischen Kapitalvertretern noch im November 2007, | |
| rasches Wirtschaftswachstum bei einem großen Handelsbilanzdefizit und rasch | |
| steigender Auslandsverschuldung sei nur ein Beleg für eine erfolgreiche | |
| Ökonomie. Laffers Fazit lautete: "Island sollte der ganzen Welt als Vorbild | |
| dienen."(4) Zu diesem Zeitpunkt hatten die "Aktiva" der isländischen Banken | |
| einen Wert erreicht, der das Bruttoinlandsprodukt des Landes um das | |
| Achtfache überstieg. | |
| Nach den Wahlen vom Mai 2007 stieg die Sozialdemokratische Allianz (SDA) in | |
| eine Koalition mit der immer noch dominierenden Unabhängigkeitspartei ein. | |
| Zum Entsetzen vieler SDA-Anhänger vergaß die sozialdemokratische Führung | |
| dabei ihre Wahlversprechen und gab der weiteren Expansion des Finanzsektors | |
| ihre volle Unterstützung. | |
| Auch nachdem die drei Großbanken die Minikrise von 2006 überstanden hatten, | |
| erwies es sich für sie als schwierig, die nötigen Geldsummen aufzutreiben, | |
| um ihre Expansion zu finanzieren und die aufgelaufenen Kredite (großenteils | |
| in fremder Währung) zurückzuzahlen. Zur Lösung dieses Problems entwickelten | |
| die Banken zwei Methoden: Die erste wurde von der Landsbanki erfunden. Sie | |
| gründete eine Onlinebank namens Icesave, mit der sie durch hohe Zinsen, die | |
| höher lagen als die normaler Institute, Einlagen von ausländischen | |
| Einzelkunden anlockte. | |
| ## Milliardenschwere Liebesbriefe | |
| Icesave hatte seinen ersten Auftritt im Oktober 2006 in Großbritannien (im | |
| Frühjahr 2008 folgten die Niederlande) und wurde auf den Finanz-Sites im | |
| Internet alsbald als "best buy"-Tipp gehandelt. Ein Strom von Einlagen | |
| begann zu fließen: Neben hunderttausenden privaten Anlegern vertrauten | |
| Institutionen wie die Universität Cambridge, die Verwaltung der Londoner | |
| Polizei, ja sogar die britische Audit Commission (öffentliche | |
| Aufsichtsbehörde für die Gemeindefinanzen) der isländischen Onlinebank | |
| Millionen britischer Pfund an. Allein in Großbritannien konnte Icesave 300 | |
| 000 Anleger gewinnen. | |
| Die Mitarbeiter bei der Landsbanki konnten ihr Glück kaum fassen. Der | |
| Cash-Zufluss erlaubte es der Bank, ihre Kredite abzuzahlen und weitere | |
| Vermögenstitel zu kaufen. Da die Icesave-Internetbanken juristisch als | |
| "Filialen" und nicht als "Tochtergesellschaften" konstruiert waren, | |
| unterstanden sie der Rechtsaufsicht Islands und nicht der ihrer | |
| Gastgeberländer (Großbritannien und Niederlande). Übersehen wurde dabei, | |
| dass die isländische Bankaufsichtsbehörde nur 45 Leute (einschließlich | |
| Pförtner) beschäftigte. Zudem machte sich niemand große Gedanken darüber, | |
| dass Island als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) zu einer | |
| (begrenzten) Sicherung der Einlagen ihrer Bankkunden verpflichtet war. Das | |
| bedeutete, dass die 320 000 isländischen Bürger im Fall eines Bankrotts für | |
| die Entschädigung der ausländischen Anleger aufkommen mussten, während | |
| zugleich die kurzfristigen Profite der Landsbanki von deren Aktionären | |
| eingesackt wurden. | |
| Die zweite Methode, mit der die isländischen Banken ihre Probleme bei der | |
| Beschaffung neuen Kapitals "lösen" konnten, bestand in der Kunst, an | |
| liquide Mittel heranzukommen, ohne reale Werte als Sicherheit zu | |
| hinterlegen. Und das ging so: Da die großen drei ihren Kreditspielraum bei | |
| der Zentralbank ausgeschöpft hatten, machten sie sich daran, sogenannte | |
| Darlehenssicherheiten an die kleineren Regionalbanken zu verkaufen. Diese | |
| hinterlegten diese Papiere dann bei der Zentralbank als Sicherheit für neue | |
| Kredite, die sie anschließend an die große Bank weiterreichten, von der das | |
| Geschäft seinen Ausgang genommen hatte. Die Finanzprofis erfanden für diese | |
| neuartigen Papiere den Spitznamen "love letters", weil sie nichts als | |
| Versprechungen enthielten. | |
| Mit dieser Methode machten die großen drei bald auch internationale | |
| Geschäfte. Gestützt auf ihre "gesunden" Bilanzabschlüsse, gründeten sie | |
| Tochterunternehmen in Luxemburg, denen sie ebenfalls "Liebesbriefe" | |
| verkauften. Diese veräußerten die Töchter an die Zentralbank von Luxemburg | |
| (BCL) und die Europäische Zentralbank (EZB); die eingenommenen Gelder | |
| konnten sie an das Mutterinstitut in Island zurückreichen oder für eigene | |
| Geschäfte verwenden. Allein von Februar bis April 2008 erhöhten die großen | |
| drei (Landsbanki, Kaupthing, Glitnir) ihre Kreditaufnahme bei der BCL um | |
| 2,5 Milliarden Euro, bis Ende Juni kamen weitere 2 Milliarden Euro dazu. | |
| Natürlich hätte keine der beteiligten Zentralbanken die Schuldentitel einer | |
| isländischen Bank als Sicherheit für Kredite an eine andere Bank | |
| akzeptieren dürfen, da die Banken ja ineinander verschachtelt waren. Am | |
| erstaunlichsten ist dabei aber, dass zumindest eine der großen drei, | |
| nämlich Glitnir, von einer US-amerikanischen Kreditratingagentur für ihre | |
| Anleihepapiere die Bestnote AAA erhielt, also höher bewertet wurde als | |
| Island insgesamt. | |
| Der Zusammenbruch der isländischen Banken begann nur zwei Wochen nach dem | |
| Bankrott der US-Großbank Lehman Brothers. Am 29. September 2008 erbat die | |
| Glitnir den Beistand der Zentralbank zur Abwendung einer drohenden | |
| Zahlungsunfähigkeit. Um das Vertrauen der Märkte wiederherzustellen, wurde | |
| die Zentralbank von ihrem Gouverneur Oddsson angewiesen, 75 Prozent der | |
| Glitnir-Aktien aufzukaufen. Die Folge war jedoch nicht, dass Glitnir | |
| gestärkt wurde, sondern dass das Vertrauen in Island insgesamt litt. Die | |
| Ratingagenturen stuften die Kreditwürdigkeit des Landes herab, worauf die | |
| ausländischen Geldinstitute der Landsbanki und der Kaupthing die | |
| Kreditlinien kündigten. Die Folge war eine Panik unter den britischen und | |
| holländischen Icesave-Kunden, die begannen ihre Einlagen abziehen. | |
| Daraufhin entschied Oddsson am 7. Oktober 2008, den Wechselkurs der | |
| Isländischen Krone an einen Korb von stabilen Währungen zu binden. | |
| Angesichts der Begleitumstände - die Krone verlor bereits an Wert, die | |
| Devisenreserven der Zentralbank gingen zu Neige und für den Kapitalexport | |
| existierten keinerlei Beschränkungen - hielt diese Stabilisierung der | |
| isländischen Währung nur wenige Stunden. Kurzlebiger ist eine | |
| Wechselkursbindung wohl nie gewesen, aber für die eingeweihten Kumpane von | |
| Oddsson reichten die paar Stunden aus, um ihre Kronen-Bestände in harte | |
| Währungen umzutauschen - natürlich zu weit günstigeren Kursen, als sie | |
| danach für die normalen Isländer galten. | |
| Insider gehen davon aus, dass in diesen Stunden Werte von mehreren | |
| Milliarden Euro aus der isländischen Währung flüchten konnten. Nach | |
| geglückter Kapitalflucht wurde der Wechselkurs der Krone freigegeben und | |
| sank wie ein Stein. Am 8. Oktober ließ Premierminister Gordon Brown - unter | |
| Berufung auf die britischen Antiterrorgesetze - die Vermögenswerte der | |
| Landsbanki in Großbritannien einfrieren. In Island stürzten die Kurse der | |
| Aktien und Bankobligationen ebenso ab wie die Häuserpreise und die | |
| Durchschnittseinkommen. | |
| Mitte Oktober reiste eine IWF-Delegation nach Reykjavík, um ein Programm | |
| zur Krisenbewältigung auszuarbeiten. Es war das erste Mal seit der | |
| britischen Währungskrise von 1976, dass der Internationale Währungsfonds | |
| zur wirtschaftlichen Rettung eines entwickelten Landes herbeigerufen wurde. | |
| Um die isländische Krone zu stabilisieren, bewilligte der IWF am 24. | |
| Oktober ein mit Auflagen versehenes Darlehen in Höhe von 2,1 Milliarden | |
| Dollar; zugleich unterstützte er die Forderung der Regierungen in London | |
| und Den Haag, dass Island seine Verpflichtungen aus dem europäischen | |
| Einlagengarantieabkommen zu erfüllen habe. Das bedeutete, dass Reykjavík | |
| beiden Regierungen die Summen rückerstatten muss, mit denen diese die | |
| britischen und niederländischen Icesave-Anleger entschädigt hatten. | |
| ## Joghurtbecher gegen das Parlament | |
| Die normalerweise gelassenen und konsumorientierten Isländer formierten | |
| sich zu einer zornigen Protestbewegung, deren Angriffsziel vor allem | |
| Regierungschef Haarde und Zentralbank-Gouverneur Oddsson mitsamt ihren | |
| Kumpanen von der Unabhängigkeitspartei waren. Tausende Demonstranten | |
| umzingelten das Parlament in Reykjavík, um die Regierung zum Rücktritt | |
| aufzufordern, und bewarfen das Gebäude mit Tomaten und Joghurtbechern. Im | |
| Januar 2009 brach die Koalition aus Unabhängigkeitspartei und | |
| Sozialdemokraten auseinander. Bis heute ist die isländische Regierung die | |
| einzige, die aufgrund der globalen Finanzkrise zurücktreten musste. | |
| Island ist auch das einzige Land, das nach den Ereignissen vom September | |
| 2008 einen deutlichen Linksruck vollzogen hat. Im Januar 2009 bildete die | |
| Sozialdemokratische Partei (SDA) mit der erstarkenden | |
| "Links-Grünen-Bewegung" (LGM) eine Interimsregierung, die das Land in | |
| Neuwahlen führte. Am 26. April gewann die Unabhängigkeitspartei nur noch 16 | |
| von 63 Sitzen: das schlechteste Ergebnis seit ihrer Gründung im Jahr 1929. | |
| Die neue Regierung aus SDA und LGM geriet sofort unter Druck. | |
| Großbritannien und die Niederlande drängten auf die Rückzahlung der | |
| Icesave-Schulden; der IWF hielt einen Großteil der zugesagten Kreditsumme | |
| bis zu einer Einigung mit London und Den Haag zurück. Die Koalition war | |
| sich zudem uneinig in der Frage, ob Island der EU und der Eurozone | |
| beitreten sollte, was eine Mehrheit der Sozialdemokraten fordert. Nach | |
| langen Verhandlungen präsentierte Ministerpräsidentin Jóhanna | |
| Sigurdardóttir im Oktober 2009 die ausgehandelte Vereinbarung über die | |
| Icesave-Schulden: Im Zeitraum von 2016 bis 2023 sollten an Großbritannien | |
| und die Niederlande insgesamt 5,5 Milliarden Euro gezahlt werden, das | |
| entspricht 50 Prozent des isländischen Bruttoinlandsprodukts. | |
| Ein Aufschrei ging durch das Land. In der LGM regte sich heftiger | |
| Widerstand. Einer ihrer Minister trat aus Protest zurück, und fünf | |
| LGM-Abgeordnete stimmten im Parlament gegen die Vereinbarung. Dennoch wurde | |
| das Gesetz am 30. Dezember 2009 durchgepeitscht. Doch am 5. Januar 2010 | |
| erklärte Staatspräsident Grímsson, er respektiere die Volksstimmung und | |
| werde das Gesetz nicht unterschreiben. Damit musste ein Referendum | |
| entscheiden. Im März wurde das Icesave-Abkommen von 93 Prozent der Wähler | |
| abgelehnt. | |
| Die Regierung hat ihre geplanten Haushaltskürzungen zunächst aufgeschoben, | |
| was der Volkswirtschaft eine Atempause verschafft hat. Für 2011 sind jedoch | |
| drastische Einschnitte geplant. Krankenhäuser und Schulen haben drastische | |
| Gehaltskürzungen angekündigt und begonnen, Personal zu entlassen. Der | |
| vorläufige Stopp bei der Pfändung von (überschuldetem) Hausbesitz ist Ende | |
| 2010 ausgelaufen. Das isländische BIP, das 2010 um 3,4 Prozent schrumpfte, | |
| ist jedoch nicht so stark gesunken wie in Ländern mit rigorosen | |
| Sparprogrammen (Irland, Estland, Lettland). Die Arbeitslosenquote (2006 nur | |
| bei 2 Prozent) bewegt sich seit 2009 zwischen 7 und 9,5 Prozent. Allerdings | |
| hat die Auswanderungsquote bei Isländern - ebenso wie bei den vorwiegend | |
| polnischen EU-Arbeitskräften - den höchsten Stand seit 1889 erreicht. | |
| Im Oktober 2010 hat das Parlament den ehemaligen Regierungschef Haarde | |
| wegen Verletzung der Amtspflichten angeklagt. Seine Akte liegt jetzt beim | |
| Landsdómur, einem eigens für diesen Fall einberufenen "Obersten Gericht". | |
| Der frühere Finanzstaatssekretär, ebenfalls ein Mitglied der | |
| Lokomotiv-Gruppe, wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er beim | |
| Verkauf seiner Landsbanki-Aktien im September 2008 Insiderinformationen | |
| genutzt hatte. Nicht zur Verantwortung gezogen wurde dagegen | |
| Zentralbankchef Oddsson. Ihn hat man vielmehr mit dem Chefredakteursposten | |
| bei der führenden Tageszeitung Morgunbladid belohnt. Als solcher darf er | |
| die Berichterstattung über die "isländische Krise" orchestrieren. Ein | |
| Kommentator meinte, das sei so, als ob man nach dem Watergate-Skandal | |
| Expräsident Nixon zum Chefredakteur der Washington Post gemacht hätte.(5) | |
| Eigentlich sollte man annehmen, dass es in einem winzigen Land wie Island | |
| leichter gewesen wäre, die Leugnung der bevorstehenden Krise durch die | |
| Regierung zu durchschauen. Aber das Gegenteil war der Fall. Die Regierung | |
| Oddsson betrieb eine extreme "Privatisierung" der Informationen, indem sie | |
| sich bei der Analyse der isländischen Wirtschaft und ihrer Perspektiven vor | |
| allem auf die Banken selbst und deren Forschungsabteilung verließ. Einzig | |
| das Nationale Wirtschaftsinstitut, das für seine unabhängigen Analysen | |
| bekannt war, veröffentlichte unliebsame Berichte und warnte vor dem | |
| nahenden Chaos. Es wurde 2002 von Oddsson aufgelöst. | |
| Es gab zwar noch die staatliche Statistikbehörde, aber die wagte kaum, die | |
| Aufmerksamkeit auf ungünstige Entwicklungen in der Einkommens- und | |
| Vermögensverteilung zu lenken. Auch die Universität von Island beugte sich | |
| dem politischen Druck und machte aus ihren wirtschafts- und | |
| sozialwissenschaftlichen Forschungszentren selbstfinanzierte Institute - | |
| was praktischerweise zur Folge hatte, dass sie aufhörten, kritische | |
| Berichte über die gesamtwirtschaftliche Situation vorzulegen. | |
| Als die Blase gefährlich zu wachsen begann, erschienen mehrere kritische | |
| Berichte, und zwar auch von der Zentralbank. Aber als die Gefahren dann | |
| 2008 und 2009 akut wurden, fielen die Berichte - auch seitens des IWF - | |
| merklich milder aus. Es scheint, dass die offiziellen Finanzinstitutionen, | |
| genau wie Banker und Politiker, die Lage als so labil einschätzten, dass | |
| das bloße Reden darüber womöglich einen Sturm auf die Konten ausgelöst | |
| hätte, den man durch beharrliches Schweigen abzuwenden hoffte. Schlechte | |
| Nachrichten hatten zu unterbleiben; wer darauf bestand, sie zu verbreiten, | |
| wurde als inkompetent und alarmistisch abqualifiziert. | |
| Wie stark die damalige Regierung aus Unabhängigkeitspartei und | |
| Sozialdemokraten mit der Finanzelite verbandelt war, zeigt sich in ihrer | |
| nach dem Crash getroffenen Entscheidung, alle Einlagen bei den drei großen | |
| Banken ohne jede Obergrenze zu garantieren. Hätte sie diese Garantie auf | |
| Guthaben bis 5 Millionen Kronen (etwa 50 000 Euro) begrenzt, wären damit 95 | |
| Prozent aller Einleger geschützt gewesen. Von der unbegrenzten Garantie | |
| profitierten also nur die reichsten 5 Prozent. | |
| Diese Entscheidung hat nicht nur weitere Einschränkungen der öffentlichen | |
| Haushalte erzwungen. Mit ihr kommt auf die isländische Regierung außerdem | |
| die Forderung zu, auch alle ausländischen Icesave-Anleger vollständig zu | |
| entschädigen. Geschieht dies nicht, verstößt sie gegen EU-Recht, weil sie | |
| ausländische Bürger diskriminiert. Von allen Problemen, die der finanzielle | |
| Zusammenbruch von 2008 zur Folge hatte, ist das Problem Icesave dasjenige, | |
| das Regierung, Parlament und das isländische Volk noch am längsten | |
| beschäftigen und belasten wird. | |
| Fußnoten: | |
| (1) Der EWR (englisch: European Economic Area oder EEA) ist ein | |
| Freihandelsraum, der die EU und die Efta-Länder Norwegen, Island und | |
| Liechtenstein angehören. | |
| (2) Stefán Ólafsson und Arnaldur Sölvi Kristjánsson (2010), "Income | |
| Inequality in a Bubble Economy: The Case of Iceland 1992-2008": | |
| [1][www.lisproject.org/conference/papers/olafsson-kristjansson]. | |
| (3) Hannes Gissurarson, "The Miracle on Iceland", "Wall Street Journal, 29. | |
| Januar 2004. | |
| (4) Arthur Laffer, "Overheating is not dangerous", "Morgunbladid, 17. | |
| November 2007. | |
| (5) So Thorvaldur Gylfason, "From Boom to Bust: The Iceland Story", in: | |
| Gylfason u. a. (Hg.), "Nordics in Global Crisis", Helsinki (Taloustieto Oy) | |
| 2010, S. 158. | |
| Aus dem Englischen von Niels Kadritzke | |
| erschienen in [2][Le Monde diplomatique] am 13.5.2011 | |
| 15 May 2011 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.lisproject.org/conference/papers/olafsson-kristjansson | |
| [2] http://www.monde-diplomatique.de | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Wade | |
| Silla Sigurgeirsdóttir | |
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