# taz.de -- Weltwirtschaftsforum in Davos: „Wir müssen mehr Steuern zahlen“ | |
> US-Ökonom Barry Eichengreen über die Welt nach der großen Krise, die | |
> Wichtigkeit des Euro und die Furcht vor einer Wachstumsschwäche. | |
Bild: Der Dollar verliert global an Wichtigkeit, im Gegensatz zum Euro. | |
taz: Herr Eichengreen, das Weltwirtschaftsforum in Davos diskutiert, wie es | |
nach dem großen Schock weitergeht. Europa scheint auf dem Weg der | |
Besserung. Besteht jetzt die Gefahr, dass die Krise erneut in den USA | |
zuschlägt? | |
Barry Eichengreen: Ich kann nicht sehen, dass die Probleme in Europa gelöst | |
wären. Die geplante europaweite Aufsicht über die Banken funktioniert | |
nicht, erschreckend viele Europäer haben keine Arbeit, und das | |
demokratische Defizit der EU wird auch nicht kleiner. Das sind nur einige | |
der offenen Baustellen. Aber Sie haben Recht: Euroland wird wohl nicht | |
auseinanderbrechen. Immerhin diese Gefahr wurde gebannt. Insofern ist die | |
Krise in eine ruhigere Phase getreten. Ich mache mir aber Sorgen, dass nun | |
eine lange Periode der Wachstumsschwäche folgen könnte, wie wir sie seit 20 | |
Jahren in Japan beobachten. | |
Die Eurostaaten gehen die Probleme der Staatsverschuldung und mangelnden | |
Zusammenarbeit immerhin an – was man über die verfeindeten Parteien in | |
Washington nicht sagen kann. Ist das amerikanische Regierungssystem noch | |
uneffektiver als das europäische? | |
Tatsächlich tut die US-Politik alles, um die Probleme zu verschärfen. Wir | |
sind nicht in der Lage, unser Sozialsystem in Ordnung zu bringen, die | |
Schulen zu verbessern und die Straßen zu reparieren. Wir müssten einfach | |
mehr Steuern zahlen, damit der Staat seine Aufgaben erfüllen kann. Tun wir | |
das nicht, sehe ich die Gefahr von ebenso unausweichlicher wie | |
undifferenzierter Sparpolitik und einer nachfolgenden Rezession. Dann | |
würden wir die Fehler Europas nachahmen. | |
In Ihrem Buch „Exorbitant Privilege“ sehen Sie voraus, dass der US-Dollar | |
seine Rolle als Weltwährung allmählich einbüßt und ihm andere Währungen den | |
Rang ablaufen. Ist das auch heute Ihre Position, oder hat Sie die Eurokrise | |
eines Besseren belehrt? | |
Was den Euro betrifft, war ich zunächst wohl etwas zu optimistisch. | |
Trotzdem bin ich weiterhin überzeugt, dass der Euro mit der Zeit ein immer | |
stärkerer Rivale des Dollar werden wird, ebenso wie die chinesische Währung | |
Renminbi. | |
Warum wird der Euro international eine größere Bedeutung bekommen? | |
Wenn wir davon ausgehen, dass der internationale Handel weiter wächst, | |
braucht die Welt größere Mengen sicherer, leicht einlösbarer Wertpapiere, | |
in denen beispielsweise Gewinne angelegt werden können. Diese Funktion | |
erfüllten bisher zu einem guten Teil amerikanische Staatspapiere. Jedoch | |
nimmt der US-Anteil am globalen Handel ab. Damit wird auch die Bedeutung | |
von US-Papieren auf den internationalen Finanzmärkten abnehmen. Die Schweiz | |
oder Norwegen sind zu klein, um in die Lücke zu stoßen. Das können nur die | |
EU und China, später vielleicht noch andere Staaten wie Indien oder | |
Brasilien. | |
Heute tragen die 27 Länder der EU etwa 20 Prozent zum Welthandel bei. Aber | |
sinkt ihre Leistung im Verhältnis zu den aufstrebenden Ländern nicht | |
ebenfalls? | |
Trotzdem kann der Euro den Dollar teilweise ersetzen. Der Markt für | |
Euroanleihen ist groß genug. Außerdem macht Europa Fortschritte, indem man | |
den Anlegern zunehmend gemeinsame Papiere anbietet. Kürzlich hat erstmals | |
der Stabilisierungsfonds ESM Anleihen veräußert, die die Investoren zu sehr | |
niedrigen Zinsen kauften – ein positives Zeichen für den Euro. Und die | |
Investoren wissen: Euroland als Ganzes wirtschaftet relativ solide, nur | |
einzelne Mitglieder sind zu stark verschuldet. | |
Während das Wachstum in Schwellenländern wie China teilweise an die zehn | |
Prozent jährlich heranreicht, müssen sich die alten Industriestaaten mit | |
ein oder zwei Prozent begnügen. Gerät das westliche Wohlstandsmodell | |
allmählich an seine Grenzen? | |
Vor verallgemeinerten Aussagen möchte ich warnen. Die Gründe für geringeres | |
Wachstum sind jeweils unterschiedlich. In Europa spielt die Demografie eine | |
Rolle – der Anteil der jungen, konsumfreudigen und innovativen Menschen an | |
der Bevölkerung nimmt ab. In den USA ist es eher die schlechte Wirtschafts- | |
und Finanzpolitik. Bei uns fehlen der Regierung die finanziellen und | |
gesetzgeberischen Möglichkeiten, etwa mittels der Modernisierung des | |
Bildungssystems die Grundlage für höheres Wachstum zu legen. | |
Eine Lehre aus der Finanzkrise könnte lauten, dass die entwickelten | |
Volkswirtschaften höhere Wachstumsraten nur noch schaffen, wenn sie | |
gefährliche Risiken eingehen. | |
Ich glaube nicht, dass es so ist. Während der vergangenen 50 Jahre gelang | |
es den westlichen Demokratien doch meist, anhaltendes Wachstum zu | |
generieren, ohne dass es dauernd zu solchen Verwerfungen wie der | |
Finanzkrise kam. | |
In Ihrem neuen Buch „Die Weltwirtschaft nach der globalen Krise“ | |
diskutieren Sie und Ihre Kollegen den Begriff der „großen Stagnation“. Was | |
ist damit gemeint? | |
Manche Ökonomen weisen darauf hin, dass das Wachstum in den entwickelten | |
Staaten insgesamt abnimmt. Sie machen sich Gedanken darüber, ob das | |
Zeitalter der großen Innovationen vorbei ist. | |
Nach dem Motto: In den vergangenen 200 Jahren hatten wir die Dampfmaschine, | |
die Elektrizität, den Verbrennungsmotor und weitere epochale Erfindungen – | |
doch jetzt fällt uns nichts mehr radikal Neues ein, das zusätzlichen | |
Wohlstand schafft? | |
Ich habe da weniger Sorgen. Ein Argument gegen die wachstumsskeptische | |
These lautet beispielsweise, dass Computer und Internet ähnlich | |
bahnbrechende Innovationen darstellen wie die Eisenbahn im 19. Jahrhundert. | |
Obwohl fast alle Einwohner und Firmen der alten Industriestaaten das | |
Internet nutzen, nehmen Produktivität und Wohlstand trotzdem nur noch | |
langsam zu. Das kann daran liegen, dass die großen Erfindungen manchmal | |
lange brauchen, bis sich ihre Effekte durchsetzen. | |
Von den großen Entwicklungen der Elektrizitätstechnologie um 1880 bis zur | |
Verkabelung der Privathaushalte dauerte es 40 Jahre. Die Entwicklung des | |
Internets ist noch jung. Möglicherweise wird sie erst in 20 oder 30 Jahren | |
die Produktivität der Wirtschaft stärker ansteigen lassen. Ich glaube, wenn | |
wir später aus der Zukunft zurückschauen könnten, wären wir erstaunt, was | |
alles passiert ist. | |
23 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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