# taz.de -- Neue Kultur des Wirtschaftens: Gutes Leben in der Bilanz | |
> 980 Firmen weltweit agieren „gemeinwohlökonomisch“. Ob PR-Agentur oder | |
> Friseur – sozial und ökologisch handeln ist nicht einfach. | |
Bild: Auch mancher Friseur achtet bereits auf das Gemeinwohl. | |
BERLIN taz | Ganz schön frustrierend war das, gibt Oliver Viest zu. Nur 369 | |
von 1.000 möglichen Punkten. Das war das Ergebnis der ersten | |
Gemeinwohlbilanz, die er für seine Kommunikationsagentur em-faktor | |
erstellen ließ. Mit der Bilanz legt der Geschäftsführer Rechenschaft über | |
die sozialen und ökologischen Konsequenzen seines Wirtschaftens ab. | |
In 13 europäischen Städten haben am Mittwoch Unternehmen parallel derartige | |
Bilanzen der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie alle haben sich dem Konzept | |
der Gemeinwohlökonomie verschrieben. Das Konzept möchte eine andere Kultur | |
des Wirtschaftens fördern: gutes Leben aller statt Gewinnmaximierung einer | |
einzelnen Firma, Kooperation statt Konkurrenz. | |
Das Konzept geht zurück auf Christian Felber, einen der Gründer von Attac | |
Österreich. Inzwischen haben sich 980 Unternehmen aus 15 Staaten der | |
Initiative des Autors des Buches „Gemeinwohlökonomie“ angeschlossen. Sie | |
lassen ihre Bilanz entweder von externen Gutachtern abklopfen oder | |
schließen sich mit anderen Unternehmen zusammen, um sich gegenseitig zu | |
bewerten. | |
Die Bilanz bewertet nicht nur Soll und Haben, sondern auch die Bereiche | |
Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale | |
Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung. Diese Aspekte werden auch | |
für verschiedene Bezugsgruppen überprüft, etwa Lieferanten, Geldgeber oder | |
Mitarbeiter. Anhand der Kriterien werden Punkte vergeben. Für eine gerechte | |
Verteilung des Einkommens etwa bekommt eine Firma 60 Punkte. Werden Frauen | |
und Männer aber ungleich bezahlt, schlagen 200 Minuspunkte zu Buche. | |
Viest stellte die Bilanz seiner Firma in Stuttgart vor. Auch wenn er selbst | |
gespannt auf die Bilanzpunkte geguckt hat, weiß er, dass es vielmehr auf | |
den Prozess ankommt. „Die Bilanz ermöglicht uns einen objektiven Blick auf | |
uns selbst: Ist das, was wir tun, genug, oder glauben wir nur, dass es | |
genug ist?“ | |
## Gemeinwohlwirtschaft bewegt was im Kopf | |
Während er etwa beim Punkt Transparenz gute Werte erzielte, gab es | |
Minuspunkte im Bereich Teilhabe. „Das Spannende ist, dass es dabei nicht | |
nur um die Teilhabe von Mitarbeitern geht, sondern auch der Gesellschaft. | |
Das war ein Aspekt, der viel bewegt hat in meinem Kopf.“ | |
Julia Bauer hält die Zahlen vor allem auch für eine gute Möglichkeit, | |
Transparenz zu schaffen. Sie arbeitet beim baden-württembergischen | |
Outdoor-Ausrüster Vaude. Das Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, bis | |
2015 Europas nachhaltigster Outdoor-Ausstatter zu werden. Doch anhand | |
welcher Kennzahlen lässt sich das nachweisen? Mit dieser Frage beschäftigt | |
sich Bauer oft. Menschenwürde, Solidarität, ökologische Verantwortung – | |
„das sind Dinge, die jeder im Privaten erwartet, aber die so schwer messbar | |
sind“, sagt sie. Anhand der Matrix könne der Kunde nun selbst nachprüfen, | |
wie viel ein Unternehmen in einem bestimmten Bereich macht. | |
Doch die Werte der Gesellschaft können sich auch ändern. Ziel der | |
Gemeinwohlbewegung ist es daher, dass die Werte immer wieder neu diskutiert | |
werden. So könnte in zehn Jahren die Bewertungsmatrix ganz andere | |
Anforderungen an Unternehmen stellen und die Punkte anders gewichten. | |
Für den Moment kann Ilona Beinhoff eine durchaus positive Bilanz vorweisen. | |
Sie führt in Stuttgart den Friseursalon „Haargalerie“ mit sechs | |
Mitarbeiterinnen. „Mir war klar, wenn ich mich selbstständig mache, werde | |
ich sofort einen Systemwechsel anstreben.“ So arbeitet sie ausschließlich | |
mit Vertrieben zusammen, die nachhaltige Produkte mit hohem Anteil an | |
pflanzlichen Inhaltsstoffen anbieten. Außerdem bietet sie ihren Kunden | |
Gesundheitsvorträge an, um sie ganzheitlich zu betreuen. Künftig möchte sie | |
die Mitarbeiter an ihrem Betrieb beteiligen. | |
In der Bilanz kam sie damit auf 502 Punkte. Gefördert habe der | |
Bilanzierungsprozess vor allem den Dialog mit ihren Mitarbeiterinnen. „Wir | |
haben diskutiert, wann wir Konkurrenz sind und wann wir kooperieren“, | |
erzählt Beinhoff. „Das hat uns noch einmal näher zusammengebracht und mir | |
Mut gegeben, mich noch mehr mit meinen Mitarbeiterinnen | |
auseinanderzusetzen.“ | |
24 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Nadine Michel | |
Nadine Michel | |
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