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# taz.de -- Olympische Spiele in Russland: Ein Regenbogen reicht nicht
> In Russland werden sexuelle Minderheiten gezielt zu politischen Zwecken
> instrumentalisiert. Und die internationale Gemeinschaft treibt Sport.
Bild: Toll, die Tilda
Ein Satz, der so berührend wie banal ist, ging letzte Woche durch die
Weltpresse: „Egal ob du schwul, hetero, schwarz oder weiß bist: Wir alle
verdienen dieselben Rechte.“ Er stammt von Nick Symmonds, einem
800-Meter-Läufer, der seine Silbermedaille bei der Leichtathletik-WM in
Moskau seinen schwulen und lesbischen FreundInnen gewidmet hat.
Berührend, weil Symmonds so mutig war, diesen Satz auszusprechen – im
Angesicht einer potenziellen Bedrohung durch russische Behörden,
schließlich hatte er ganz offiziell „Propaganda für Homosexualität“
gemacht.
Banal, weil dieser Satz eigentlich eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck
bringt – wenn schon nicht im Alltag aller Menschen auf dieser Erde, aber
zumindest dann, wenn er im Rahmen internationaler Sportveranstaltungen
geäußert wird, sei es bei einer Weltmeisterschaft oder eben, und darum geht
es hier, bei den Olympischen Spielen.
Es sind derzeit vor allem schwul-lesbische AktivistInnen und „Betroffene“,
die einen Boykott der Olympischen Spiele in Sotschi fordern. Sei es die in
einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebende deutsche Radsportlerin
Judith Arndt oder der britische Schauspieler Stephen Fry, der in einem
Schreiben an das IOC und seinen Premierminister David Cameron darauf
hingewiesen hatte, dass Wladimir Putin aus „Schwulen Sündenböcke gemacht
hat – wie Hitler es mit den Juden getan hat“.
Überhaupt sind es schwul-lesbische AktivistInnen, die sich – mal wieder –
selbst darum kümmern müssen, dass ihresgleichen kein Leid geschieht. Ja, es
ist wunderbar, wenn sich Tilda Swinton mit einer Regenbogenflagge auf den
Roten Platz stellt, hinter ihr ein Polizeiwagen, und das Foto via Facebook
und Co. um die ganze Welt geht.
Ja, es ist aufrüttelnd, wenn sich die deutsche Dragqueen Barbie Breakout
vor laufender Kamera mit Nadel und Faden den Mund zunäht, um gegen
Homophobie in Russland zu protestieren. Es ist kreativ, wenn AktivistInnen
in Stockholm den Zebrastreifen vor der russischen Botschaft in den Farben
des Regenbogens gestalten, so wie SportlerInnen ihre Fingernägel.
All dies sind zivilgesellschaftliche Formen des Protests, die Respekt
abnötigen – und doch von Ohnmacht zeugen.
## Das IOC hält sich bedeckt
Die Mächtigen hingegen halten sich zurück. Weder David Cameron noch Barack
Obama sind gewillt, über einen Boykott der Olympischen Spiele auch nur
nachzudenken, ganz zu schweigen von Angela Merkel. Das Komitee selbst, das
IOC, hält sich bedeckt. So wie überhaupt die meisten „Stimmen der
Vernunft“, die der Meinung sind, dass erstens ein Boykott nichts bringe und
zweitens Sport nichts mit Politik zu tun habe.
Nun kann man, wie David Cameron, argumentieren, dass „wir Vorurteile besser
bekämpfen können, wenn wir teilnehmen“. Auch in Russland selbst sind sich
AktivistInnen nicht darüber einig, ob ein Boykott sinnvoll ist, weil die
Anwesenheit der internationalen Gemeinschaft ihnen womöglich die
Gelegenheit gäbe, auf ihre Situation aufmerksam zu machen.
Wobei man, abgesehen von der Frage, wie diese Situation nach Beendigung der
Spiele wäre (ein Moskauer Gericht hat jüngst den „Gay Pride“ in der
russischen Hauptstadt für die nächsten hundert Jahre verboten), beim Punkt
ist: Ganz selbstverständlich gehen die russischen AktivistInnen davon aus,
dass sie sich selbst kümmern müssen. Dass sie, so wie derzeit, auch in
Zukunft ihr Leben und ihre körperliche wie seelische Unversehrtheit in die
Waagschale werfen müssen, wenn sie irgendwann in ferner Zukunft ein
menschenwürdiges Leben führen wollen.
An diesem Punkt der Geschichte, wir schreiben das Jahr 2013, sollte es
nicht mehr darum gehen, dass kleine Grüppchen von AktivistInnen dagegen
ankämpfen müssen, in die Steinzeit zurückversetzt zu werden. Russland hat
sich mit der Gesetzgebung gegen Homosexuelle ganz bewusst außerhalb des
zivilisatorischen Konsens gestellt – ganz zu schweigen von der Missachtung
des olympischen Prinzips der „Völkerverständigung. “
## Einen Boykott gab es schon häufiger
Bringt nun ein Boykott der Olympischen Spiele etwas? Zumindest hat es
solche mehrmals gegeben. Erinnert sei etwa an das Fernbleiben der
AthletInnen der Niederlande, Spaniens und der Schweiz bei den Spielen von
1956 in Melbourne. Als Protest gegen die Niederschlagung des
Ungarn-Aufstands durch die Sowjetunion. Und dann, schon wieder Russland,
die Olympischen Sommerspiele von 1980 in Moskau: Aufgrund des Einmarschs in
Afghanistan blieben die SportlerInnen aus den USA, der BRD, Japan, Kanada,
Norwegen und Kenia zu Hause.
Der Boykott der Olympischen Spiele ist ein bereits etabliertes Mittel
politischer Auseinandersetzung. Das Verhalten der russischen Staatsführung,
das der offenen Menschenjagd auf sexuelle Minderheiten Vorschub leistet,
ist ein klarer Verstoß gegen die Menschenrechte. Keine Entschuldigung,
keine Relativierung greift. Kultur, Leiden am Postkolonialismus,
Imperialismus: In Russland werden, eingebettet in einer unheiligen Allianz
zwischen Nationalismus und Religion, sexuelle Minderheiten gezielt zu
politischen Zwecken instrumentalisiert.
Vielleicht kommt es am Ende auf die Art und Weise des Boykotts an. Die
beste Idee hierzu hatte bislang der schwule amerikanische Sportjournalist
Cyd Zeigler, der in der Huffington Post forderte, dass die Olympischen
Spiele in Sotschi auf jeden Fall stattfinden müssten. Unter Ausschluss nur
einer Nation: der russischen nämlich.
Eleganter könnte das IOC im Namen der Menschenrechte nicht zum Ausdruck
bringen, wie es sich eigentlich anfühlt, wenn man innerhalb der eigenen
Gesellschaft, der eigenen Stadt, des eigenen Landes von der Teilhabe
ausgeschlossen wird.
17 Aug 2013
## AUTOREN
Martin Reichert
## TAGS
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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