# taz.de -- Schmutzige Kriege der USA: Die Strafen der Guten | |
> Jeremy Scahill rechnet in „Schmutzige Kriege“ mit US-Geheimdiensten und | |
> -Militär ab. Nicht jede Kritik ist nachvollziehbar. Eine Begegnung. | |
Bild: Protest gegen US-Drohnenangriffe in Pakistan. | |
Jeremy Scahill wirkt aufgekratzt. Der US-Enthüllungsjournalist sitzt Mitte | |
Oktober in einem Berliner Hotel. Nebenan spiegeln sich Sonne und Spree in | |
den Fenstern des Bundesinnenministeriums. Manchmal zittern Scahills Hände, | |
wenn er spricht. Am Abend wird der 39-Jährige in Potsdam sein neues, jüngst | |
im Münchner Kunstmann Verlag erschienenes Buch vorstellen: „Schmutzige | |
Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen“. | |
Der Zeitpunkt ist günstig. In Deutschland wird gerade intensiv über die | |
US-Geheimdienste diskutiert. Die Kanzlerin soll von der NSA abgehört worden | |
sein. Obama hat davon angeblich ebenso wenig gewusst wie Kanzleramtschef | |
Ronald Pofalla, der noch zuvor eine Debatte über Ausspähaktionen deutscher | |
BürgerInnen durch britische und US-Dienste freudestrahlend für beendet | |
erklärt hatte. | |
Doch in Scahills Buch geht es nicht nur um die Überwachungsmethoden der | |
NSA. Es ist eine 700 Seiten starke, generelle Analyse der nach 9/11 | |
eingerichteten administrativen Machtstrukturen in den USA. | |
„Schmutzige Kriege“ beinhaltet einen Stammbaum, der erklärt, wer beim | |
Militär und bei den Geheimdiensten darüber Entscheidungen traf und trifft, | |
wem der „Krieg gegen den Terrorismus“ galt und gilt – von George W. Bushs | |
Prätorianern Rumsfeld und Cheney, die schon vor September 2001 die Fäden | |
zogen, bis zu Obamas Paladinen wie Vizepräsident Joe Biden. | |
## „Authorization for Use of Military Force“ | |
„Die Vereinigten Staaten befinden sich in einem endlosen Krieg, der keinen | |
klaren Lösungsansatz hat. Wir haben die Taktiken gesetzesloser Feinde | |
übernommen, zum Beispiel die Anwendung von Folter oder die Einrichtung des | |
Gefängnisses in Guantánamo auf Kuba. Und: dieser Krieg ist finanziell ein | |
Fass ohne Boden“, sagt Scahill, der für die Wochenzeitschrift The Nation | |
und das Politmagazin Democracy Now arbeitet. | |
Er bezieht sich damit auf eine Rede von Barbara Lee. Die demokratische | |
Kongressabgeordnete hatte zwei Tage nach den Anschlägen auf das World Trade | |
Center und das Pentagon im Repräsentantenhaus gewarnt: „Lasst uns nicht zu | |
dem Bösen werden, was wir beklagen.“ Lee stimmte am 14. September 2001 als | |
Einzige gegen ein Gesetz, das Präsident Bush umfangreichen | |
Handlungsspielraum einräumte, um die Verantwortlichen für 9/11 weltweit zu | |
jagen. | |
Die Verabschiedung des Gesetzes – „Authorization for Use of Military Force�… | |
– ist für Scahill ein entscheidendes Ereignis und einer der Ausgangspunkte | |
seiner Recherchen. Denn er versucht historisch herzuleiten, wie ein | |
völkerrechtlich fragwürdiger, „sauberer“ Drohnenkrieg und streng geheime | |
Missionen militärischer Spezialeinheiten gegen Terroristen und deren | |
Organisationen ins Zentrum der nationalen US-Sicherheitspolitik rücken | |
konnten. Fraglos ist all das – der Autor greift dafür auf ein scheinbar | |
großes Netzwerk unmittelbar beteiligter Informanten zurück – eine | |
beeindruckende Rechercheleistung. | |
## Debatte ist notwendig | |
So umfassend und auf den ersten Blick erschreckend seine berechtigte Kritik | |
gerade im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen und zivile Opfer der | |
Drohnenangriffe erscheint, ebenso einseitig wie verbittert mutet der | |
Tonfall des Epilogs von „Schmutzige Kriege“ an: „Heute fallen | |
Entscheidungen über Leben und Tod von Menschen im Namen der nationalen | |
Sicherheit Amerikas im Geheimen, Gesetze werden vom Präsidenten und seinen | |
Beratern hinter verschlossenen Türen ausgelegt […].“ | |
Es ist ein Satz, der Verschwörungstheoretiker jubeln lässt. Die USA, ein | |
von Paranoia und Sicherheitswahn getriebener Machtapparat von Orwell’scher | |
Dimension? Im Schatten einer solchen, derzeit öffentlich zerkauten Frage | |
wird gerne vergessen, dass der Terrorismus eine reale Bedrohung darstellt, | |
der diplomatisch kaum beizukommen ist. Eine Debatte, wie man einen Gegner, | |
der sich in instabilen Regionen verschanzt, rechtlich einwandfrei und ohne | |
zivile Opfer bekämpfen kann, erscheint zwar schwierig, aber zwingend | |
notwendig. | |
Scahill weiß, dass eine derartige Debatte in den USA fehlt. Auch, so glaubt | |
er, weil es um Muslime am anderen Ende der Welt gehe. Verkündet würden in | |
Washington letztlich nur Erfolgsmeldungen: gezielte Tötungen von führenden | |
Terroristen. Über zivile Opfer würde indes geschwiegen. „White-House-Leaks�… | |
nennt Scahill diese Informationspolitik. Solche Schlagworte benutzt er wie | |
publizistische Mantras, um den Blick für innere Widersprüche zu schärfen. | |
Spricht er etwa von Obama und seinen Kriegen, betitelt er Obama stets als | |
„Friedensnobelpreisträger“ und „Professor für Verfassungsrecht“. | |
## Zivile Opfer schüren noch mehr Hass | |
Sein Buch lässt Scahill pessimistisch enden: „Doch aufgrund meiner | |
Erfahrungen in mehreren nicht zum Kriegsgebiet erklärten Regionen auf der | |
ganzen Welt scheint mir klar, dass die Vereinigten Staaten […] in Somalia, | |
im Jemen, in Pakistan, Afghanistan und überall in der muslimischen Welt | |
eine neue Generation von Feinden heranzüchten.“ Die Botschaft ist klar: | |
Zivile Opfer schüren nur noch mehr Hass. | |
Bevor Scahill nach Deutschland kam, hat er monatelang in den USA für sein | |
Buch und seinen, dort bereits erschienen, gleichnamigen und thematisch | |
identischen Dokumentarfilm geworben, der im Januar 2013 beim renommierten | |
Sundance Film Festival in Utah prämiert wurde. Bei Twitter hat er über | |
114.000 Follower – bemerkenswert für einen Journalisten. Auf die Frage, ob | |
er sich nicht auch als Aktivist sehe, antwortet Scahill: „Ich bin definitiv | |
ein Journalist. Die Leute wissen, dass ich ehrlich bin. Wir werden mit | |
einer falschen Definition von Objektivität gefüttert. Es gibt immer zwei | |
Seiten einer Geschichte. Ich bin kein Propagandist für irgendeine Seite.“ | |
Ohne Zweifel ist Scahill hierzulande bereits ein Erfolgsautor. Die erste | |
Auflage von „Schmutzige Kriege“ ist laut Verlag bereits abverkauft. Das | |
große Interesse an seinem Buch aber lässt sich wohl auch mit einer | |
nüchternen Erkenntnis von Oscar Wilde erklären: „Studiert man die | |
Geschichte, so empfindet man den tiefsten Ekel nicht vor den Verbrechen, | |
die die Bösen begangen, sondern vor den Strafen, die die Guten verhängt | |
haben.“ | |
7 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Jan Scheper | |
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