# taz.de -- Film über Donald Rumsfeld: Das Schneekugel-Orakel | |
> Wortmanipulationen und Witzchen: Der Film „The Unknown Known“ lauscht der | |
> wirkungsvollen Rhetorik des früheren US-Verteidigungsministers. | |
Bild: „Lincoln war kein großer Mann“: Rumsfeld spricht geschmeidig und üb… | |
BERLIN taz | Der US-amerikanische Dokumentarist Errol Morris beschäftigt | |
sich in seinen Filmen gerne mit umstrittenen Persönlichkeiten. In „The Fog | |
of War“ (2003) widmete er sich Robert McNamara, dem Minister, der die USA | |
in den Vietnamkrieg führte, in „Mr. Death: The Rise and Fall of Fred A. | |
Leuchter, Jr.“ (1999) porträtierte er einen bekannten Holocaust-Leugner, | |
der zudem an der Entwicklung von Hinrichtungsmethoden beteiligt war, und in | |
„Standard Operating Procedure“ (2008) ging es um US-amerikanische Soldaten | |
wie Sabrina Harman, die in Abu Ghraib Häftlinge folterten und die | |
Misshandlungen per Kamera festhielten. | |
Ins Zentrum seines neuen Films „The Unknown Known“ rückt er den ehemaligen | |
US-amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Der Film mischt | |
ausführliche, aus mehreren Perspektiven gefilmte, effektvoll montierte | |
Interviewsequenzen mit Archivmaterial, dazu kommen viele Luftaufnahmen, | |
etwa von einer blau schimmernden Meeresoberfläche, von einem Sumpfgebiet | |
oder von Militärgefängnissen wie Guantánamo oder Bagram, an die sich die | |
Kamera aus der Luft heranzoomt; zudem gibt es zahlreiche Nahaufnahmen der | |
Memos, die der Politiker im Laufe seiner Karriere angefertigt hat, die | |
Kamera – Robert Chappell führt sie – fährt an einzelnen Sätzen entlang, | |
verharrt bei markanten Begriffen, bei handschriftlichen Ergänzungen, sie | |
gibt sich alle Mühe, den Text wirkungsvoll in Szene zu setzen, sie macht | |
ihn geradezu zum Fetisch. | |
„Snowflakes“ nennt Rumsfeld diese Memos, Schneeflocken, und als der Begriff | |
fällt, schaut die Kamera in ein Schneegestöber. Mehrmals sieht man das | |
Close-up einer Schneekugel vor schwarzem Hintergrund, als wäre sie ein | |
Orakel. Ein dramatisch-treibender Score, für den Danny Elfman | |
verantwortlich zeichnet, unterstützt die Kamera bei der Effektmaximierung. | |
Eines wird in diesem suggestiven Arrangement überdeutlich: Rumsfeld, der am | |
9. Juli seinen 82. Geburtstag feiern wird, weiß, was Rhetorik ist und wie | |
er sie zu seinem Vorteil einsetzt. Er spricht geschmeidig und überzeugend, | |
und das war zu Zeiten der Bush-Regierung nicht anders. Mehrmals zeigt | |
Morris Archivaufnahmen von den Pressekonferenzen, die Rumsfeld vor und nach | |
dem Beginn des Irakkriegs gab. Sobald die Fragen der Journalisten | |
kritischer werden, macht er Witzchen, gibt er Sentenzen zum Besten, bringt | |
er einen Chiasmus in Stellung: „Der Mangel an Beweisen ist kein Beweis für | |
den Mangel.“ Dabei verliert sich der kritische Impuls der Fragen. | |
Einmal insistiert eine Journalistin: Saddam Hussein habe doch gerade | |
öffentlich erklärt, dass er weder über Massenvernichtungswaffen noch über | |
Verbindungen zu al-Qaida verfüge. „Und Abraham Lincoln war ein kleiner | |
Mann“, kontert Rumsfeld mit einem feinen Lächeln im Gesicht. Lincoln war | |
1,93 Meter groß. Er legt eine effektvolle Pause ein, bevor er fortfährt: | |
Hussein habe schon immer gelogen. Warum solle man ihm jetzt glauben? | |
## Eingriffe in die Sprache haben Konsequenzen | |
Heute, da die Geschichte von den Massenvernichtungswaffen als Lüge enttarnt | |
ist, könnten sich solche Sätze gegen Rumsfeld selbst wenden. Aber „The | |
Unknown Known“ bleibt zurückhaltend. Morris hakt zwar nach, bisweilen sind | |
seine Fragen aus dem Off zu hören, doch er bringt seinen Protagonisten nie | |
in Bedrängnis. Wer wohlwollend ist, mag diese Methode für subtil halten; | |
Morris’ Zurückhaltung treibt Rumsfeld dazu, sich in seiner eigenen Rhetorik | |
zu verheddern. | |
Einmal zum Beispiel erläutert er, wie man im Pentagon vor dem Irakkrieg | |
dachte: „Wenn wir Saddam Hussein absetzen würden, würde sich unsere | |
Stellung im Irak und in der Region entscheidend verbessern.“ In der | |
Rückschau bekommt der Satz eine pikante Note. Zugleich bleibt offen, wie | |
sich die Samthandschuhe, mit denen Morris Rumsfeld anfasst, zu all den | |
Keulen der filmischen Effektmaximierung verhalten. | |
Instruktiv ist „The Unknown Known“ trotzdem – vor allem dann, wenn der Fi… | |
zu analysieren versucht, wie sich die Sprache während der Präsidentschaft | |
von George W. Bush verändert hat. Einmal erläutert Rumsfeld die zahlreichen | |
Begriffsverschiebungen jener Jahre, dass man nicht mehr von | |
Kriegsgefangenen spreche, sondern von irregulären Kombattanten, und er | |
erklärt die Begriffsliste, mit der die Verhörmethoden in Guantánamo oder | |
Abu Ghraib beschrieben werden. | |
Eingriffe in die Sprache, das legen diese Szenen nahe, haben Konsequenzen | |
im politischen und militärischen Handeln. Je euphemistischer man über | |
Folter spricht, umso besser sind die Voraussetzungen dafür, dass sie sich | |
zutragen kann. Oder, in leichter Abwandlung Rumsfelds eigener Worte: Wenn | |
man etwas nicht als Folter bezeichnet, so bedeutet dies nicht, dass keine | |
Folter stattfindet. | |
2 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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