# taz.de -- Debatte SPD und Steuerpolitik: Verteilungsgerechtigkeit adé | |
> Die SPD präsentiert sich auf ihrem Parteitag als Partei, die mit sich im | |
> Reinen ist. Dabei macht sie gerade einen kapitalen Fehler auf Kosten der | |
> Mittelschicht. | |
Bild: Schnell noch was mitnehmen, bald gibt es nichts mehr. | |
Die SPD hat zwar die Bundestagswahl verloren, aber in mehr als der Hälfte | |
der Länder regieren SPD-MinisterpräsidentInnen. Das ist angesichts des | |
nachhallenden Agenda-Schocks kein ganz schlechtes Ergebnis. | |
Die SPD war ja in einer verzwickten Lage. Bekannte sie sich trotzig zur | |
Agenda 2010, demonstrierte sie Lernunfähigkeit und Ignoranz gegenüber dem | |
unteren Fünftel, als dessen Sprachrohr sie mal galt. Lehnte sie die Agenda | |
schroff ab, stieß sie damit den nicht geringen Teil der | |
Aufstiegsorientierten ihrer Wählerschaft ab. | |
Es ist Sigmar Gabriels nicht zu unterschätzendes Verdienst, die SPD | |
halbwegs mit sich selbst ausgesöhnt zu haben. Und zwar auf eine typisch | |
sozialdemokratische Art, mit kleinteiligen Reparaturen im laufenden | |
Betrieb. Rente mit 67 – ja, aber mit mehr Ausnahmen. Dem von der | |
Clement-SPD gezielt ausgeweiteten Niedriglohnsektor will die SPD mit | |
Mindestlohn und mehr Regulierung von Zeit- und Leiharbeit beikommen. Und | |
die Reichen, die unter Rot-Grün entlastet wurden, sollten wieder ein | |
bisschen mehr Steuern zahlen. | |
## Vom Markt kuriert | |
Die SPD ist 2013 wieder halbwegs geworden, was sie vor 2003 war: eine | |
Interessenpartei. Mindestlohn, frühere Rente für Arbeitnehmer und Hannelore | |
Krafts Bremsversuch in der Energiewende, die industrieverträglich sein | |
soll, liegen auf dieser Linie. Die Sozialdemokratie will das Machbare, eine | |
geerdete Politik, die die Kluft zwischen Arm und Reich zumindest nicht | |
weiter vergrößert. | |
Diese Politik ist moralisch eher anspruchslos, aber sie hat einen | |
sichtbaren roten Faden. Die SPD steht für die Interessen der sozialen | |
Mitte. Progammatisch vertritt sie einen moderaten, über sich selbst | |
aufgeklärten Etatismus. Von der Planungseuphorie und Staatsgläubigkeit | |
früherer Zeiten hat sie sich verabschiedet, weil sie nicht mehr zu einer | |
sozial zerklüfteten, individualisierten Gesellschaft passen. Aber sie ist, | |
unter Schmerzen, auch von der Marktgläubigkeit der Schröder-Clement-Ära | |
kuriert. | |
Jetzt aber wird es ernst – und unübersichtlich. Denn es geht nun nicht mehr | |
darum, Kompromisse mit sich selbst zu machen, um Formulierungen auf | |
Parteitagen zu ringen, sondern darum, zu regieren. Und zwar mit der Union, | |
die vor allem will, dass alles bleibt, wie es ist. | |
Die SPD erscheint angesichts der dröhnenden Ideenarmut der Union als | |
vitale, vorandrängende Kraft. Doch den Plan umzusetzen, dass diese Große | |
Koalition eine deutlich sozialdemokratische Handschrift trägt, gestaltet | |
sich schwieriger als gedacht. | |
Die SPD hat gleich zu Beginn einen strategischen Fehler gemacht: Sie hat | |
auf Steuererhöhungen verzichtet. Die seien mit der Union nicht | |
durchsetzbar, heißt es. Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn sterben wollte | |
die SPD für die Reichensteuer auch nicht. Was Merkel getan hätte, wenn die | |
SPD Steuererhöhung für unverhandelbar erklärt hätte, so wie die Union das | |
Betreuungsgeld, wissen wir nicht. | |
## Zwei scheinbare Auswege | |
Finanzen sind etwas anderes als Volksentscheide oder das Adoptionsrecht für | |
homosexuelle Paare. Steuern sind keine Detailfrage, sondern für die | |
Handlungsfähigkeit der Regierung fundamental wichtig. | |
Die Union hat auch ein paar äußerst kostspielige Ideen: Sie will mehr Rente | |
für Mütter und das Kindergeld erhöhen. Sie will die kalte Progression | |
beseitigen, damit die Mittelschicht weniger Steuern bezahlt, und außerdem | |
den Unternehmen per bessere Abschreibung Geld schenken. Die Union will mehr | |
ausgeben und weniger einnehmen – und das wird nicht funktionieren. | |
Die Christdemokraten werden am Ende mit einem Achselzucken einen Großteil | |
ihrer Forderungen aufgeben: leider nicht finanzierbar, man muss an die | |
Schuldenbremse denken. | |
Die SPD kann das nicht so nonchalant. Wenn sie die Verteilungsgerechtigkeit | |
faktisch aufgibt, wird sie dies teuer zu stehen kommen – und viel von dem | |
Glaubwürdigkeitsgewinn, den sie sich seit 2009 mühsam erarbeitet hat, | |
verbrennen. | |
Es gibt aus zwei scheinbare Auswege aus dieser Klemme. Der einfachste ist | |
ein Koalitionsvertrag mit vielen schönen SPD- und Unions-Plänen: Milliarden | |
für Bildung, Kitas, Infrastruktur, Reparatur maroder Brücken und | |
Internetausbau – mit dem Zusatz des Finanzierungsvorbehalts. Das ist | |
äußerst verführerisch, weil es einen unauflösbaren Konflikt vertagt. Und es | |
ist falsch, weil alles, was nicht durch Mehreinnahmen finanziert ist, nie | |
kommt. Dann besser keine Versprechungen, keine Illusionen. | |
## Umgekehrter Düsenantrieb | |
Die zweite Lösung ist trickreicher. Die Union will Müttern die Rente | |
erhöhen, die SPD Arbeitnehmern, die 45 Jahre Rentenbeiträge bezahlt haben. | |
Beide Pläne kommen der Kernklientel der Parteien zugute. Beide Erhöhungen | |
sind legitim. Sie schließen Gerechtigkeitslücken. Aber wer bezahlt? | |
Fair wäre eine Finanzierung aus Steuergeldern. Weil es dafür aber mangels | |
Steuererhöhung für Besserverdienende plus Schuldenbremse keinen Spielraum | |
gibt, soll die Rentenkasse allein aufkommen. | |
Und das ist die falsche Richtung. Höhere Beiträge für Renten-, Pflege- und | |
Krankenversicherung, wie sie derzeit im Gespräch sind, haben | |
verteilungspolitisch einen umgekehrten Düsenantrieb. Die Reichen werden | |
wegen der Beitragsbemessungsgrenze nicht tangiert. Dafür muss die | |
Mittelschicht zahlen. | |
Das ist das Gegenteil dessen, was die SPD im [1][Wahlkampf versprochen | |
hat]: mit äußerst moderaten Steuererhöhungen die Reichen, derer Vermögen in | |
den letzten 15 Jahren extrem gewachsen ist, wieder stärker an der | |
Staatsfinanzierung zu beteiligen. Das wäre gerecht. Und nötig. Die | |
Umverteilung von spekulativem, privatem Kapital auf die Staatskasse würde | |
auch Druck aus der Finanzblase nehmen. | |
Die SPD redete sich nun die Lage schön: Die Union werde irgendwann schon | |
selbst darauf kommen, dass es ohne Steuererhöhung für Reiche nicht geht. | |
Vielleicht. Sicher ist aber, dass die SPD darauf keinen Einfluss hat. Sie | |
ist Zuschauer, nicht Akteur. | |
Gabriel & Co werden der Union wohl ein paar Erfolge abhandeln: beim | |
Einstieg ins Equal Pay, also mehr gleichen Lohn für Frauen, bei der | |
doppelten Staatsangehörigkeit, beim Mindestlohn. Das ist etwas. Aber nicht | |
genug. | |
14 Nov 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=ffG18Nz5cSQ | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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