| # taz.de -- Datenschützer über Selbstbestimmung: „Recht auf elektronisches … | |
| > 1983 stoppte das Verfassungsgericht die Volkszählung. Peter Wedde spricht | |
| > darüber, was aus dem Recht auf informelle Selbstbestimmung geworden ist. | |
| Bild: Klare Botschaften: Demo gegen die Volkszählung 1987 in Berlin | |
| taz: Herr Wedde, bestimmen wir selbst darüber, was andere über uns wissen? | |
| Peter Wedde: Eigentlich nicht. Auch wenn man sich komplett aus der | |
| digitalen Welt verabschieden würde – keine Waren mehr online bestellt, | |
| keine E-Mails schreibt, kein Onlinebanking macht – selbst dann könnten wir | |
| nicht über persönliche Informationen bestimmen. In dem Moment, in dem | |
| andere unsere Adresse haben und sie in ein System eingeben, verlieren wir | |
| die Kontrolle. | |
| Wir können also Beobachtung gar nicht mehr vermeiden? | |
| Genau. Es kommt allerdings darauf an, wer beobachtet. Dass die | |
| Buchhändlerin in meinem Stammbuchladen weiß, wie ich heiße und welche | |
| Bücher ich gerne lese, ist nicht schlimm. Das Problem beginnt, wenn | |
| unbekannte Menschen und Unternehmen auf diese Informationen zugreifen | |
| können – und umfassende Profile entstehen. | |
| Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem legendären Volkszählungsurteil | |
| vor 30 Jahren unter anderem gesagt: Wer weiß, dass er beobachtet wird, | |
| passt sein Verhalten an. Im Kontext der NSA-Enthüllungen würde das | |
| bedeuten, dass wir heute eine durch und durch angepasste Gesellschaft sind. | |
| Man muss sich diese Aussage im historischen Zusammenhang ansehen. Die | |
| Verfassungsrichter wollten damit sagen, dass Bürger vermutlich nicht zu | |
| Demonstrationen gehen, wenn sie dabei registriert werden. Das Beispiel ist | |
| nicht an den Haaren herbeigezogen. Damals gab es aufgrund von | |
| Ausschreitungen bei großen Anti-AKW-Demonstrationen die Idee, einen | |
| maschinenlesbaren Personalausweis einzuführen. Bürger sollten den auf einer | |
| Demonstration durch ein Lesegerät ziehen, damit sich Sachschäden gleich | |
| zuordnen lassen. | |
| Da würde es wohl auch heute noch einen Aufschrei geben. | |
| Wer weiß. Das Bundesverfassungsgericht hat jedenfalls 1983 deutlich auf die | |
| Gefahr von Verhaltensänderungen durch Überwachung hingewiesen. Aber es | |
| sieht aus, als würde sich das gerade ändern. | |
| Inwiefern? | |
| Viele Bürger stumpfen mehr und mehr ab. Zum Beispiel die Kameraüberwachung | |
| auf öffentlichen Plätzen – regt sich da noch jemand nennenswert auf? Die | |
| Leute merken es immer erst dann, wenn sie selbst mit unliebsamen | |
| Erkenntnissen konfrontiert werden. | |
| Zum Beispiel? | |
| Wer heute eine Fußballdauerkarte hat, wird am Eingang registriert: Der | |
| Meier ist um 16:10 Uhr durch den Einfang fünf in das Stadion gekommen. Und | |
| wenn es genau dort Randale gibt, steht Meier sofort auf der Liste | |
| potentieller Randalierer und wird von der Polizei befragt. Das findet Meier | |
| dann sicher nicht gut. | |
| Das heißt, der Großteil der alltäglichen Überwachung wird gar nicht mehr | |
| als solche wahrgenommen? | |
| Genau. Ich habe zum Beispiel vor einigen Monaten ein Ersatzteil für eine | |
| Beregnungsanlage im Garten bestellt. Online. Und plötzlich bekomme ich auf | |
| der Seite angezeigt: Dieses Ersatzteil haben folgende Händler in Ihrer | |
| Umgebung. | |
| Weil der Anbieter an Hand Ihrer IP-Adresse mit einiger Wahrscheinlichkeit | |
| erkennen kann, wo Ihr Rechner steht? | |
| Ja. Aber für viele ist das nicht Überwachung, sondern nur ein guter | |
| Service. Und der Weg dahin, zu diesem Gefühl, Überwachung nicht mehr als | |
| solche wahrzunehmen, ist ein schleichender Prozess. Verstärkt wird er | |
| dadurch, dass auch der Gesetzgeber nach und nach immer mehr Befugnisse | |
| geschaffen hat, die das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung | |
| aushöhlen. | |
| In welchen Bereichen geschieht das? | |
| Nehmen Sie die Anfragen staatlicher Stellen bei Banken. Der | |
| Bundesdatenschutzbeauftragte hat gerade darauf hingewiesen, dass | |
| Finanzämter in diesem Jahr alleine bis Ende September 40 Prozent mehr | |
| Anfragen bei Banken gestellt haben als im gesamten Vorjahr. Teilweise ohne | |
| Benachrichtigung der Betroffenen. Mit der Bekämpfung von Terrorismus, für | |
| die die Abfragemöglichkeiten eigentlich gedacht waren, hat das nichts mehr | |
| zu tun. | |
| War früher alles besser? | |
| Nein, das nicht. Vor dem Volkszählungsurteil war es etwa üblich, dass | |
| staatliche Stellen untereinander auf dem kurzen Dienstweg und ohne klare | |
| gesetzliche Grundlage Informationen ausgetauscht haben. Ich habe das als | |
| studentische Hilfskraft in einer Behörde selbst erlebt. Da haben | |
| Familiengerichte bei der Scheidung eines Beamten mal eben die Personalakte | |
| angefordert, um zu schauen, was der verdient. | |
| Hat das nach dem Volkszählungsurteil aufgehört? | |
| Zunächst schon. | |
| Und jetzt ist es wieder üblich? | |
| In vielen Bereichen. Das hat der Gesetzgeber möglich gemacht. Zum Beispiel | |
| bei Arbeits- und Sozialämtern, um herauszufinden, ob jemand von beiden | |
| Leistungen bezieht. Eine neue Qualität könnte das Ganze nun durch die | |
| Vorratsdatenspeicherung bekommen. Im Koalitionsvertrag steht sie drin. Und | |
| das trotz NSA-Affäre. Mit Blick auf zu schützende Grundrechte macht das | |
| fassungslos. | |
| Kommt die NSA nicht sowieso an die Daten? | |
| Man macht es Geheimdiensten mit dem Gesetz einfacher. Was die NSA und | |
| andere Geheimdienste tun, ist zudem mehr als nur Überwachung oder Spionage. | |
| Sie erzeugen ein Gefühl des Ausgeliefertseins und schüren eine Angst. Sie | |
| vermitteln: Wenn du als Bürger bestimmte Dinge tust, die staatsfeindlich | |
| sind, dann werden wir dich kriegen. | |
| Es gibt andere Länder, die mit persönlichen Informationen viel | |
| transparenter umgehen, etwa Schweden. | |
| Das stimmt, aber dort ist die gesellschaftliche Einstellung eine andere. | |
| Obwohl es rechtlich möglich ist, sehen die Schweden nicht massenhaft | |
| Steuererklärungen von ihren Nachbarn ein. Sondern nur in Einzelfällen, wenn | |
| etwa ein Politiker behauptet, er hätte kaum Geld, obwohl er ein Vermögen | |
| verdient. | |
| Glauben Sie, der Prozess der zunehmenden Überwachung lässt sich aufhalten? | |
| Ich bin nicht sicher. Vor allem, weil die Politik den Schutz von Daten | |
| nicht wertschätzt. Nehmen Sie als Beispiel die Kritik am scheidenden | |
| Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar. Innenminister Friedrich hat ihm | |
| jüngst vorgehalten, dass er zu Vorhaben wie der Vorratsdatenspeicherung nur | |
| Kritik äußert und nie etwas Positives. Dabei kann es gut sein, dass die | |
| Vorratsdatenspeicherung tatsächlich keine Vorteile bringt. Da bleibt nur | |
| noch die Hoffnung, dass sich der Wind wieder grundlegend dreht. | |
| Und wie? | |
| Die Einstellung zum Datenschutz wandelt sich immer wieder. Zu Zeiten der | |
| Volkszählungsdebatte 1983 war das Thema für sehr viele Menschen wichtig. | |
| Mit der Ausbreitung der PCs und des Internets hat es an Bedeutung verloren | |
| – zunächst. Auch wenn heute der Facebook-Generation immer wieder | |
| unterstellt wird, dass Datenschutz für sie unwichtig wäre – immer mehr | |
| Nutzer merken, dass ihre fünf Jahre alten „Komasauf-Fotos“ nicht aus dem | |
| Netz zu tilgen sind. Und natürlich die Debatte über NSA und Co. Vielleich | |
| wird Edward Snowden für seine Verdienste eines Tages doch noch zu einem | |
| Volksheld, der in Deutschland Asyl bekommt. | |
| Und wie stellen Sie sich die Zukunft in 30 Jahren vor? | |
| Wir werden noch sehr viel transparenter sein, als wir es uns heute | |
| überhaupt vorstellen können. Es könnte aber sein, dass es neben rauchfreien | |
| Restaurants und Verwaltungen dann auch überwachungsfreie Zonen und Räume | |
| gibt, in denen etwa Datenbrillen und Smartphones verpönt sind. Und | |
| vielleicht gibt auch es ein Recht auf elektronisches Vergessen. Damit wäre | |
| wirklich schon sehr viel gewonnen. | |
| 14 Dec 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
| ## TAGS | |
| Volkszählung | |
| Datenschutz | |
| Schwerpunkt Überwachung | |
| Datenschutz | |
| NSA | |
| Datenschutz | |
| Datenschutz | |
| Edward Snowden | |
| Andrea Voßhoff | |
| Andrea Voßhoff | |
| Schwerpunkt Überwachung | |
| Edward Snowden | |
| Bundesinnenministerium | |
| NSA | |
| Bosnien und Herzegowina | |
| iPhone | |
| Zensus | |
| Zensus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Big Brother Awards in Bielefeld: Große Brüder ausgezeichnet | |
| Datenschützer vergeben sechs Preise für Überwachung. Die Bundesregierung | |
| kommt schlecht weg. Einen Positivpreis gibt es auch. | |
| Studie über NSA-Datensammlung: Für den Antiterrorkampf irrelevant | |
| Die New America Foundation hat viele Terrorismus-Fälle seit 9/11 | |
| analysiert. Nur ein Mal waren die aus NSA-Datensätzen gewonnenen Hinweise | |
| wichtig. | |
| US-Nutzer klagen gegen Facebook: Privat ist nicht privat | |
| Weil der Konzern private Nachrichten mitliest, reichen Verbraucher in den | |
| USA eine Sammelklage ein. Facebook weist die Vorwürfe zurück. | |
| Aufzeichnung des Fahrverhaltens: Freie Fahrt für überwachte Bürger | |
| Datenschützer kritisieren einen neuen Versicherungstarif, bei dem das | |
| Fahrverhalten im Auto ständig kontrolliert wird. Wer brav fährt, zahlt | |
| weniger. | |
| Blogger über digitalen Kontrollverlust: „Es gibt noch Freiheit im Netz“ | |
| Seit Snowden ist klar: Niemand ist mehr Herr seiner Daten. Welche | |
| Möglichkeiten es gibt damit umzugehen, fasst Michael Seemann in einem Buch | |
| zusammen. | |
| Datenschutzbeauftragter Schaar: Privat ist privat ist politisch | |
| Peter Schaar war 10 Jahre lang Datenschutzbeauftragter. Der Grüne war gegen | |
| die Vorratsdatenspeicherung und Google Street View. | |
| Neue Bundesdatenschutzbeauftragte: Hintertür in den Bundestag | |
| Die CDU-Politikerin Andrea Voßhoff wird neue Bundesdatenschutzbeauftragte. | |
| Die Grünen kritisieren sie, weil sie für die Vorratsdatenspeicherung | |
| stimmte. | |
| Streit über Vorratsdatenspeicherung: „Nicht hinter Europa verstecken“ | |
| Nach dem Gutachten des EuGH gibt es Äger in der Großen Koalition. Die SPD | |
| will die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nun nicht mehr umsetzen. | |
| Edward Snowden bei der NSA: Spuren gut verwischt | |
| Wie viele Dokumente Edward Snowden hat mitgehen lassen, wird wohl niemals | |
| aufgeklärt, berichtet die „New York Times“. Sein Rechner bei der NSA war | |
| schlicht zu alt. | |
| Bericht über Bundesinnenministerium: Krankenakten seit Jahren öffentlich | |
| Die „Welt“ berichtet, dass im Bundesinnenministerium sensible Daten über | |
| Mitarbeiter hausintern öffentlich sind. Die Behörde widerspricht. | |
| Reform der US-Geheimdienste: 40 Ratschläge für Obama | |
| Experten legen dem US-Präsidnten zahlreichen Vorschläge zur Änderung der | |
| Geheimdienste vor. Unterdessen gibt es neue Enthüllung zur Arbeit der NSA. | |
| Zensus in Bosnien und Herzegowina: Bosniake, Serbe oder Eskimo | |
| Bis Mitte des Monats findet die erste Volkszählung seit dem Ende des | |
| Krieges 1995 statt. Einige Bürger wehren sich gegen die Frage nach ihrer | |
| Religion. | |
| Neues iPhone mit Fingerabdruckscanner: Alles wird ganz einfach! | |
| Apple hin, NSA und Sascha Lobo her – Datenskandale interessieren die | |
| Mehrheit der Menschen einen Dreck: Was der Scanner im neuen iPhone beweist. | |
| Folgen der Volkszählung: Bremerhaven: Wir sind größer | |
| Bremerhaven will den Zensus 2011 gerichtlich prüfen lassen. Die Stadt | |
| fürchtet finanzielle Einbußen, sollte es beim Befund des Einwohnerschwunds | |
| bleiben. | |
| Ergebnisse Zensus 2011: Deutschland zählt sich klein | |
| Weniger Einwohner, weniger Ausländer, mehr Wohnungen: Deutschland hat | |
| Inventur gemacht. Die Ergebnisse haben weitreichende Konsequenzen. |