| # taz.de -- Zensus in Bosnien und Herzegowina: Bosniake, Serbe oder Eskimo | |
| > Bis Mitte des Monats findet die erste Volkszählung seit dem Ende des | |
| > Krieges 1995 statt. Einige Bürger wehren sich gegen die Frage nach ihrer | |
| > Religion. | |
| Bild: Mostar: Wie viele Menschen rechts und links der Brücke leben, wird nun g… | |
| SPLIT taz | Seit dem Ende des Krieges 1995 in Bosnien und Herzegowina | |
| rätselt man, wie viele der einstmals 4,4 Millionen Einwohner in dem Land | |
| eigentlich noch geblieben sind. Nach der Ermordung und dem Tod von rund | |
| 100.000 Menschen und der Vertreibung von zwei Millionen, von denen nur ein | |
| Teil zurückgekehrt ist, soll darüber nun endlich Klarheit hergestellt | |
| werden. | |
| Die Regierungen, die Wirtschaft und die Europäische Union brauchen diese | |
| Informationen, um überhaupt Planungen zum Beispiel für die Verbesserung der | |
| Infrastruktur beginnen zu können. Bis zum 15. Oktober werden über 18.000 | |
| Helfer von Tür zu Tür gehen, um eine Volkszählung durchzuführen. | |
| Das auszufüllende Formular ist umfangreich und soll nicht nur Aufschlüsse | |
| über die Anzahl der Menschen geben, sondern auch über Besitzstand, | |
| Familienverhältnisse, Herkunft und Altersstruktur. Scharfe Kritik wurde | |
| laut, als vor der Zählung bekannt wurde, dass jeder auch seine Religion und | |
| die Zugehörigkeit zu einer der Volksgruppen angeben muss. | |
| Das war seit Jahren die Bedingung vor allem der serbischen und kroatischen | |
| Nationalisten für die Durchführung der Volkszählung gewesen. Schließlich | |
| gab die Führung der stärksten Partei in der bosniakisch-kroatischen | |
| Föderation, der nichtnationalistischen Sozialdemokraten SDP, nach und | |
| schluckte diese Kröte. | |
| ## Angabe der Religion umstritten | |
| Doch viele Bürger wehrten sich. Vor allem Menschen aus gemischten Ehen, und | |
| das sind immer noch nicht wenige, kritisierten diese Kategorien. „Wer ist | |
| mein Sohn, ich bin Bosniakin, mein Mann war Serbe, wer also ist er“, fragte | |
| eine Mutter bei einer Radiodiskussion. Der Politikwissenschaftler und | |
| Philosoph Sulejman Bosto aus Sarajevo erklärte, er sei ein Bürger und als | |
| Mensch „komplex“ und nicht in diese einfachen Kategorien einzuordnen. | |
| Viele bezweifeln, ob die Angaben zur Religion in eine Volkszählung gehört. | |
| Die Kritik der Zivilgesellschaft erreichte wenigstens einen Teilerfolg. Die | |
| Formulare wurden geändert. Immerhin können die Bürger sich jetzt nicht nur | |
| als Serben, Kroaten und Bosniaken definieren, sondern auch in einem vierten | |
| Feld als Mitglied einer nationalen Minderheit, als Bosnier (Bosnanac) oder | |
| sogar als Eskimo. | |
| Aber wer wird dies schon in den Dörfern und Kleinstädten tun? Zwar sind die | |
| Zähler verpflichtet, Stillschweigen zu wahren, doch in einer | |
| korruptionsanfälligen Bürokratie wie der bosnischen können Informationen | |
| über einzelne Personen leicht herausgefunden werden. Nicht genehme | |
| Antworten können so zu Nachteilen bei der Jobsuche führen. Nach wie vor | |
| bestimmen die ethnisch definierten politischen Parteien den Arbeitsmarkt. | |
| Positiv wird nach den Erwartungen der Institutionen der Internationalen | |
| Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina allerdings sein, dass endlich | |
| Klarheit über die Anzahl der Bewohner der Gemeinden hergestellt wird. | |
| Negativ sehen die Mitglieder der Zivilgesellschaft, dass nun die Verbrechen | |
| der ethnischen Säuberungen endgültig legitimiert werden könnten. Mit den | |
| neuen Zahlen würden nationalistische Politiker ehemals ethnisch gemischte | |
| Regionen nun leichter als Besitz „ihrer“ Volksgruppe ausgeben können. | |
| Bei der letzten Volkszählung im Jahr 1991 gaben 44 Prozent der damals 4,4 | |
| Millionen Einwohner an, Bosniaken (Muslime) zu sein, 33 Prozent Serben, 17 | |
| Prozent Kroaten, die restliche Bevölkerung definierte sich als „Jugoslawen“ | |
| oder als nationale Minderheiten wie Roma, Juden, Deutsche, Ukrainer und als | |
| „andere“. Erste Ergebnisse der neuen Zählung sollen nach 90 Tagen | |
| vorliegen. | |
| 6 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Erich Rathfelder | |
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