# taz.de -- Fußball in Bosnien und Herzegowina: Von Drachen und Diamanten | |
> Erstmals nimmt Bosnien an einer WM teil. Die ethnisch geteilte | |
> Gesellschaft rückt zusammen. Auch dank des Fußball-Kommentators | |
> Mijajlovic. | |
Bild: Edin Dzeko (l.) und sein bester Freund. | |
SARAJEWO taz | In keinem Land Europas wurde die Qualifikation zur | |
Fußballweltmeisterschaft in Brasilien so herbeigesehnt wie in Bosnien und | |
Herzegowina. „Auf unser Land ein bisschen stolz sein zu können“, wie das | |
Nachbarn und Freunde in der Hauptstadt ausdrücken, weckt wieder | |
Lebensgeister. | |
Viele Menschen hoffen sogar, dass mit diesem Erfolg die ethnisch-politische | |
Teilung im Land wenigstens teilweise überwunden werden kann. Die Teilung | |
spiegelte sich bisher auch in Bezug auf den Fußball wider. Während die | |
Bosniaken (Muslime) des Landes seit jeher mit der Nationalmannschaft | |
fieberten, kehrten ihr die Mehrheit der Serben in der serbischen | |
Teilrepublik, der Republika Srpska, und auch die der Kroaten in der | |
Westherzegowina, den Rücken zu. | |
Nicht immer freiwillig. Beim Qualifikationsspiel für die | |
Europameisterschaft 2011, das Bosnien 4:2 gegen Belgien gewann, schaltete | |
die Republika Srpska in der Halbzeit kurzerhand die Übertragung ab. In den | |
Cafebars in den Serbengebieten wurden die Spiele meistens ohnehin nicht | |
übertragen. Ministerpräsident Milorad Dodik gab des Ton an: Er sei nur beim | |
Spiel Bosnien gegen die Türkei für Bosnien, erklärte er vor drei Jahren. | |
Doch die Stimmung scheint sich jetzt zu drehen. Nicht nur, dass junge | |
Serben und Kroaten mit den Erfolgen verstärkt in die von Bosniaken | |
dominierte Mannschaft drängen – immer mehr Menschen sehen sich nun die | |
Spiele an. Miso Vidovic, Journalist aus Banja Luka, berichtete am letzten | |
Dienstag über ein relativ großes Interesse im serbischen Landesteil. Und | |
dieses Interesse wird zudem durch einen geweckt, der für die serbischen | |
Nationalisten zum Verräter geworden geworden ist. | |
## Mijajlovics Reibeisenstimme | |
Der bosnische Serbe Marjan Mijajlovic ist dieser Tage zur populärsten | |
Person im Lande aufgestiegen. Er kommentiert für den in Sarajevo ansässigen | |
Privatsender „Face“ die Fußballübertragungen. Mit der Stimme eines | |
Reibeisens und seinen witzigen Kommentaren, reißt er das Publikum mit. | |
Seine Spontaneität entspricht der bosnischen Mentalität. Als am | |
Dienstagabend der Sieg in Litauen feststand und damit das Ziel | |
Qualifikation für die Weltmeisterschaft erreicht war, sprang der etwas | |
dickliche und klein gewachsene Reporter vor laufenden Kameras zu den | |
siegreichen bosnischen Spielern, hakte sie unter und hüpfte mit ihnen vor | |
Freude zum rhythmischen Klatschen der Fans. Da war nichts gestellt, nichts | |
geplant, das war ein spontaner Akt. | |
Mit seinen Sprüchen ist er Kult geworden. Er erfand Spitznamen für die | |
Spieler, erklärte den bosnischen Stürmerstar Edin Dzeko kurzerhand zum | |
„Diamanten“ und die bosnischen Spieler zu „Smajevi“ (Drachen). Während… | |
Übertragung des Spiels flechtet er witzige Episoden aus deren Privatleben | |
ein. | |
## Vedad heißt Liebe | |
„Wie kann ich die letzten 20 Minuten ohne Herzinfarkt überstehen“, rief er | |
ins Mikrofon, nachdem Vedad Ibisevic das Tor des Tages in Litauen | |
geschossen hatte. Vedad heißt übersetzt Liebe. Mit dem Wortspiel „Vedad, | |
wir lieben dich“, hatte er wiederum die Lacher auf seiner Seite. Als Marjan | |
den Torschrei ausdehnte und anschließend den Schlachtruf „Bosna, Bosna, | |
Bosna“ ins Mikrofon schmetterte, gab es bei den Fans kein Halten mehr. | |
Ironisch erklärte er, er wolle die dreimalige Wiederholung von „Bosna“ | |
natürlich nicht falsch verstanden wissen. Denn „Bosna“ heißt auf serbisch, | |
kroatisch und bosnisch gleichlautend „Bosna“. In den drei „Sprachen“ der | |
Volksgruppen also. | |
Nicht nur für ihn ist die von Nationalisten aller Seiten propagierte | |
künstlichen Teilung der Sprache ein Witz. Auch die durch den | |
Friedensvertrag von Dayton festgeschriebene territoriale Teilung des Landes | |
in einen serbischen und einen bosniakisch-kroatischen Teilstaat ist ein | |
Ärgernis. „Es gibt kein Schwarz und Weiß“, sagt Mijajlovic, „es gibt vi… | |
Zwischentöne“. | |
## Volksgruppe unwichtig | |
Mijajlovic sieht sich selbst als bosnisch-herzegowinischen Patrioten an. | |
„Mein Name ist Marjan und ich liebe Bosnien.“ Er steht für eine Generation | |
von Bosniern, die das Land noch von vor dem Krieg kennen und es heute | |
wieder zu einem liebenswerten Land machen wollen. Zu jener Zeit fragte | |
niemand, welcher Volksgruppe er zugehörte. | |
„Wir lebten einfach zusammen,“ sagte kürzlich die renommierte Journalistin | |
Aida Cerkez. „Ich wußte bei meiner Hochzeit gar nicht, dass mein erster | |
Mann Serbe war. Das spielte damals einfach keine Rolle.“ In Sarajevo lebten | |
vor dem Krieg über 40 Prozent der Menschen in gemischten Ehen. Eine typisch | |
bosnische Großfamilie ist ein Patchwork aus mehreren Religionen und | |
sogenannten „ethnischen Gruppen“. | |
Mit dem Krieg wurden zwar viele Familien auseinandergerissen, doch selbst | |
der in Den Haag als serbischer Kriegsverbrecher verurteilte Ex-Polizist | |
Kvocka ist bis heute mit einer Muslimin verheiratet. Der 1972 in der | |
bosnischen Stadt Tuzla geborene Mijajlovic dagegen stammt aus einer „rein | |
serbischen“ Familie aus Serbien, sein Vater war Offizier der jugoslawischen | |
Volksarmee. Die Atmosphäre der bis heute multinationalen Stadt Tuzla hat | |
Mijajlovic stark geprägt. Trotz finanziell lukrativer Angebote aus Serbien, | |
will er weiterhin in Bosnien bleiben und für Bosnien arbeiten. Um so mehr | |
ist er bei den serbischen Ideologen verhasst. | |
Wenn Mijajlovic bei seinen Reportagen zeigt, dass er die gemeinsame | |
bosnische Mannschaft liebt, versteht jedermann, was er damit meint. Auch in | |
der serbischen Teilrepublik. Der Fußball ist nicht nur in Bosnien und | |
Herzegowina eine Macht. Hier aber sind der Erfolg der | |
Fußballnationalmannschaft und der des Reporters Marjan Mijajlovic ein | |
Politikum. | |
18 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
## TAGS | |
Bosnien und Herzegowina | |
Fußballweltmeisterschaft | |
Republika Srpska | |
Fußball | |
WM-Qualifikation | |
Bosnien und Herzegowina | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Entscheidungen in der WM-Qualifikation: Bosnien fährt nach Brasilien | |
Auch England, Spanien und Russland nehmen an der WM teil. Frankreich und | |
Portugal müssen in die Play-Offs, die Türkei ist raus. Weitere | |
Entscheidungen fielen in Amerika. | |
Bosnien vor WM-Qualifikation: „Einfach einmal Glück haben“ | |
Die Fußballnationalelf weckt derzeit die Hoffnung der Menschen in Bosnien | |
und Herzegowina. In Litauen kann sie sich erstmals für eine WM | |
qualifizieren. | |
Zensus in Bosnien und Herzegowina: Bosniake, Serbe oder Eskimo | |
Bis Mitte des Monats findet die erste Volkszählung seit dem Ende des | |
Krieges 1995 statt. Einige Bürger wehren sich gegen die Frage nach ihrer | |
Religion. |