Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Diskurs um elektronische Musik: Lass Asheville durchgeknallt bleiben
> In den Black Mountains im US-Bundesstaat North Carolina findet jedes Jahr
> im April das Moogfest, ein Festival der elektronischen Musik, statt
Bild: Egyptian Lover (links) und sein extrem gelassener Assistent
Dieser Song ist toll. Leider existiert er nur im Traum.“ Also habe er sich
vorgestellt, was ein Alien denken würde, der zum ersten Mal Musik von
Stevie Wonder hört. Ausgeschlafen gibt Nate Rocket Wonder Auskunft über
seine Arbeit als Produzent. Musik machen, das sei für ihn wie Brücken bauen
zwischen Unbewusstem und Realität. Es ist ein irdischer Donnerstagmorgen,
wir befinden uns im Diana-Wortham-Theatre von Asheville im US-Bundesstaat
North Carolina, und im Saal sind Zuhörer jeden Alters.
Die kleine Stadt im Süden des Landes steht seit 2004 alljährlich Ende April
im Zeichen des Moogfestes, einer fünftägigen Veranstaltung, die im
Untertitel die „Synthese von Technologie, Kunst und Musik“ verspricht und
nun also ihr zehnjähriges Jubiläum begeht.
Der Markennamen im Titel täuscht nicht, die Synthesizer-Firma Moog ist
Sponsor. Was Aufmachung und Durchführung angeht, hebt sich das Moogfest
deutlich vom Brandingwahnsinn ab. Dass hier neben Musikdarbietungen auch
technisches Know-how vermittelt und Diskurs gepflegt wird, ist durchaus
politisch zu verstehen.
Die künstlerische Leiterin des Festivals, die schwarze New Yorkerin Emmy
Parker, erklärt: „Wir wollen nicht, dass Menschen von Maschinen ersetzt und
erdrückt werden. Unser Festival soll einen Ausgleich schaffen zwischen
technischer Innovation und menschlichen Bedürfnissen.“ Begriffe wie Ethik
und Community fallen und die Bemerkung, dass die Menschheit nicht um jeden
Preis Schritt halten kann mit der Digitalisierung.
## Science-Fiction-Romane und Superhelden-Filme
Nate Rocket Wonder, der zusammen mit dem Drehbuchautor Chuck Lightning und
der Sängerin Janelle Monae das Wondaland-Kollektiv in Atlanta bildet,
entspricht jedenfalls der im Moogfest-Untertitel angekündigten Synthese, so
wie er den afrofuturistischen Ansatz in der Musik von „Electric Lady“
Janelle Monae veranschaulicht. „Eigentlich huldigen wir nur unseren Helden,
wir schreiben ihre Geschichte mit unseren Songs neu.“ Zum Beispiel die
Sci-Fi-Romane von Octavia Butler, die gehören zum Wondaland-Kanon, ergänzt
Chuck Lightning, genau wie die Superhelden in den Filmen ihrer Jugend, von
denen sie das Teambuilding übernommen haben.
Sehr elegant sehen die drei Künstler aus: einheitlich in Smokings
gekleidet, Monae mit kleinem Hütchen und Rennfahrer-Handschuhen aus Leder.
Ihr züchtiges Outfit sei Protest dagegen, wie die Körper schwarzer Frauen
im Mainstream vermarktet werden, erklärt Janelle Monae. „Ich behalte
Kontrolle über mein Image“, erklärt sie. Haut zeigen? „Nur wenn ich es
will.“ In erster Linie richte sich ihre Musik an junge Frauen in der
Provinz. So wie sie, die aus Kansas City stammt, wo die Eltern als
Hausmeisterin und als Müllmann gearbeitet haben. Was ihre Musik
futuristisch gemacht habe? „Als ich akzeptiert habe, dass ich Außenseiterin
bin.“
## Sündenpfuhl mit Yoga
„Keep Asheville weird“ ist ein Slogan, der hier alternativen Tourismus
ankurbelt. Asheville liegt mitten im Kernland des konservativen Amerika.
Noch heute bezeichnen religiöse Fundamentalisten die Stadt als
„Sündenpfuhl“. Tatsächlich ist die 80.000-Einwohner-Gemeinde Oase für
gestresste Großstädter, die von der Ost- und Westküste hierherkommen, die
Hügel der Stadt, die angrenzende Berge, das milde Klima und die friedliche
Atmosphäre genießen. In den Auslagen der Geschäfte ist ersichtlich, warum:
Es wird viel gebatikt und getöpfert, wie selbstverständlich beginnt auch
das Festival jeden Morgen mit einer Yoga-Session.
Asheville hatte immer Platz für Andersdenkende. In der Nähe existierte
zwischen 1933 und 1956 auch das Black Mountain College, wohin
Bauhauskünstler aus Nazideutschland emigrierten, auch Visionäre wie
Buckminster Fuller lehrten hier. Und der interdisziplinäre Ansatz, der am
Black Mountain College gepflegt wurde, wurde beim Moogfest
weiterentwickelt. Auch der New Yorker Robert Moog suchte 1978 mit seiner
Familie Zuflucht in Asheville und nahm einen zweiten Anlauf als Dozent,
nachdem seine Synthesizerfirma in Konkurs gegangen war.
## Weltkulturerbe im Backsteingebäude
Heute gehören Moogs Instrumente zum Weltkulturerbe des elektronischen Pop,
ein Großkonzern ist die Firma, die seit Moogs Tod 2005 von seinem Sohn
betreut wird, aber nie gewesen. Momentan ist die Fabrik in einem
zweistöckigen Backsteingebäude untergebracht, es gibt 56 Angestellte, davon
sieben Ingenieure, wie der Systems-Manager Rob Gray bei der Führung stolz
erklärt.
Der ausgezeichnete Ruf des Synthesizers verdankt sich übrigens einem
Programmierfehler. Sein charakteristischer cremig-schmatzender Ton ist
durch eine fehlerhafte Filterfunktion entstanden. Nicht nur die Anfänge in
den Siebzigern waren für Moog schwierig. Mit der Digitalisierung der
elektronischen Musik und ihrer Vertriebswege im Internet in den nuller
Jahren stand Moog erneut vor der Pleite.
Das kulturelle Engagement vor Ort könnte die nachhaltigere
Überlebensstrategie sein. Stars wie Kraftwerk oder David X. Cohen,
Drehbuchautor für „Simpsons“ und „Futurama“ füllen beim Moogfest das …
Zuschauer fassende Thomas-Wolfe-Auditorium aus. Ausverkauft ist die Arena
aber nur, als M.I.A. ihre Show spielt und begleitet von drei Tänzern ihre
an Baltimore Bounce und Baile Funk angelehnte elektronischen Tanzmusik
körperintensiv performt.
Die Dancemoves visualisieren die Musik beeindruckend. Zeitgleich bietet
sich im kleinen Masonic Temple die Möglichkeit, einer Hörspiel-Performance
der jungen kalifornischen Autorin Martine Sims über den Alltag einer jungen
schwarzen Frau im Los Angeles des Jahres 2050 beizuwohnen. Man hat hier
immer die Wahl zwischen Unterhaltung und Erbauung.
## Auftritt des Egyptian Lover
Spätestens am Freitagabend, als der kalifornische Electro-Meister Egyptian
Lover auf einer Open-Air-Bühne neben der Moog-Fabrik seine Platten
rückwärts laufend ineinanderkratzt und das Publikum die Vorzüge seiner
bollernden Drum Machine (vom Synthesizer-Konkurrenten Roland) mit den
Worten: „8-O-motherscratchin’-8“ nachsagen lässt, entstehen auch
Schnittmengen. Nur Worte und Beats, so einfach, so genial klingt Egyptian
Lover und bringt die Menschen zurück in die elektronische Zukunft der
minimalen Sounds. Und dann schließt sich unten vor dem DJ-Pult ein Kreis
von Breakdancern, mittendrin eine ältere Frau, die geschmeidig zum
beinharten Scratching des Egyptian Lover tanzt.
Etwas später hat Giorgio Moroder seinen großen Auftritt als DJ. Gut, der
73-Jährige ist kein DJ wie Egyptian Lover, er lebt von seinem Ruf als
genialer Produzent, Disco-Miterfinder und Schöpfer zahlreicher Soundtracks.
Natürlich spielt er auch den Song, der ihn vergangenes Jahr vom
Kreuzworträtsellösen abgebracht hat: „Giorgio by Moroder“ von Daft Punk,
der aus einem Interview mit Moroder entstanden ist. Wie zu seiner großen
Zeit in den Siebzigern wird der spitzbübisch grinsende Schnauzbart-Träger
wieder zum Crowdpleaser: Eltern und Kinder, Alte und Junge, Schwarze und
Weiße sind glücklich vereint vor der Bühne und tanzen.
## Mit nomadischem Blick
Es ist interessant, wie Mainstream und Underground beim Moogfest für einmal
in Sichtweite existieren. Etwa im Club „New Earth“, wo Freitagnacht ein
Showcase mit DJs aus Detroit stattfindet. Endlich wird auch die
elektronische Diaspora in den USA berücksichtigt. Lokale Brauereien bieten
ihre Biere feil, „Rocket Girl“ nennt sich eines, das „im Besitz der
Angestellten“ ist, wie auf der Dose steht. Eine junge Frau verkauft an
einem Stand Einhörner zum Umbinden an die Stirn, während DJ Mike Huckaby
mit seinen harten Beats die Leute zum Schreien bringt.
„The Nature of Creativity“ ist ein Panel betitelt, das am Samstagnachmittag
vom New Yorker Afropunk-Kollektiv präsentiert wird, namentlich vom Autor
Greg Tate, dem Schauspieler und Musiker Saul Williams und den beiden
bildenden Künstlern Sanford Biggers und Marcia Jones. In einer Mischung aus
freier Rede, Impulsvortrag und Spoken-Word-Performance jazzen sich die vier
einander durch Begriffe wie „Being“, „Belonging“, und „Shape Shifting…
Medien, Popkultur, Politik, Rassenbeziehungen werden unterhaltsam, fast
musikalisch gestreift. Tate spricht vom „nomadischen Blick“, mit dem er
durch die Bilderwelten des Pop skippt. Ein Dia-Vortrag zeigt dazu analog
Plattencover, Fotoporträts und Filmstills, viel Material von schwarzen
Künstlern. Alle erzählen von ihren Auslandserfahrungen und den
Schwierigkeiten, sich in Afrika zur US-Nationalität bekennen zu müssen.
Post-black, erläutert Greg Tate, dieses Label störe ihn. Wenn, dann müsse
es auch post-white geben. Erst wenn ein weißer Junge aus Connecticut
dereinst sagen würde: „Wow, James Brown, solche Musik haben wir
erschaffen!“, dann sei man weiter gekommen.
Williams, der mit einer Afrikanerin verheiratet ist, berichtet, wie seit
den Massenmorden von Hutus an Tutsis sich die Menschen nur noch als Ruander
bezeichnen. Das habe ihm zu denken gegeben. Marcia Jones stört sich an dem
Twerking-Video von US-Teeniestar Miley Cyrus, das käme ihr vor wie ein
kapitalistisch gemorphter Kolumbus.
## Kommt drauf an, wer twerkt
Tatsächlich twerken am Sonntagnachmittag zwei junge weiße Männer zum Sound
von DJ Treasure Fingers, der zum Moogfest-Abschluss auf der Open Air Bühne
verzinkten Südstaaten-R&B spielt. Twerking ist ursprünglich eine schwarze
Tanzmode, meist von Frauen dargeboten. Mit den Köpfen bis zum Boden
gebeugt, strecken die beiden Männer ihre Hinterteile weit jenseits von
lasziv in die Höhe und bringen sie zum Zittern.
Man hat den Eindruck, dass beim Moogfest utopische Potenziale ausgelotet
werden und dass das Publikum bereit ist mitzugehen.
4 May 2014
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
elektronische Musik
Schwerpunkt Coronavirus
North Carolina
New York
Synthesizer
Kalifornien
Miley Cyrus
M.I.A.
Punk
Pop
China
Großbritannien
House
Iggy Iop
## ARTIKEL ZUM THEMA
US-Musiker Moses Sumney: Alleine sein als Privileg
Der US-Künstler Moses Sumney erforscht mit dem tollen Album „græ“ das
Alleinsein, passend zum Zeitalter des Social Distancing.
Gespenstergeschichte des Klangs: Wie wir vom Spuken reden
Allerlei Geräusche machen sich im Alltag akustisch bemerkbar. Versuch einer
Analyse der Lebensräume unseres Klangspektrums.
Moogfest in North Carolina: Erst Disco Brunch, dann Séance
Digital Blackness als Genre, Kampf gegen das Transgendergesetz und Jaron
Lanier flötet. Eindrücke vom Moogfest in North Carolina.
Neues vom Multichecker Saul Williams: Rollen wandeln, Systeme hacken
Der New Yorker Künstler Saul Williams zeigt auf seinem furiosen neuen Album
„MartyrLoserKing“, wie politisch zeitgemäßer Pop klingen kann.
Giorgio Moroder über seine Karriere: „Los Angeles ist keine einfache Stadt“
Der Starproduzent über verbranntes Geld, die Klangvielfalt von
Synthesizern, Filmmusik in Hollywood und die Charakteristika seines Sounds.
Neuer House aus Kalifornien: Warten auf den Bus
Entschleunigt, verspult, auch melodiös: Die unglaublich seltsame Welt des
genialen US-Houseproduzenten SFV Acid.
Miley Cyrus in Köln: Schöne Bilder, öde Musik
Bunter war's bei den Beatles auch nicht: Miley Cyrus bietet in Köln viele
Eindrücke. Und das Glück der anwesenden Teenies tröstet über den Rest
hinweg.
Neues Video von M.I.A.: Die bewaffneten Arme der Göttin
Pistolen aus dem 3D-Drucker sind nun auch im Pop angekommen: M.I.A. gibt
sie in ihrem jüngsten Musikclip ein paar Teenagern in die Hände.
Konzertbesprechung Sleaford Mods: Pinkelt im nächsten Hinterhof
Die Song gewordenen Sozialdramen des britischen Duos Sleaford Mods werden
gehypet. Musikalisch ist ihr Gastspiel in Berlin etwas eintönig.
Lily Allens neues Album „Sheezus“: Mit Haaren auf den Zähnen
Lily Allen verpackt auf ihrem neuen Album „Sheezus“ die popfeministische
Wut in hübsche Ohrwurm-Hits. Musikalisch aber fehlt der Wumms.
Shanzai meets Pop: Frisch aus der Szechuan-Küche
Was für ein Debüt: „Asiatisch“, das Konzeptalbum der kuwaitischen
Künstlerin Fatima Al Qadiri, beschäftigt sich mit China als westlicher
Vorstellungswelt.
Grundlagenwerk zur Poptheorie: In die Zukunft
Der britische Autor Mark Fisher präsentiert seinen Essayband „Ghosts of my
Life“. Er ist gesellschafts- und ökonomiekritisch.
House-Produzent Kassem Mosse: Spediteur großer Gefühle
Niemand klingt hierzulande so visionär wie der Leipziger
Elektronik-Produzent Kassem Mosse. Im Ausland schlägt sein Sound seit
längerem Funken.
Ein Punk is dead: Iggys Halbbruder
Weder Kleinkunst noch Virtuosität. Nur bumms. Der Drummer der Stooges,
Scott Asheton, ist am Samstag im Alter von 64 Jahren gestorben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.