Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues vom Multichecker Saul Williams: Rollen wandeln, Systeme hacken
> Der New Yorker Künstler Saul Williams zeigt auf seinem furiosen neuen
> Album „MartyrLoserKing“, wie politisch zeitgemäßer Pop klingen kann.
Bild: Lässt sich vom Geist des Tupac Shakur beflügeln: Saul Williams.
Hacken und Rappen. Automatisch bringt man diese beiden Tätigkeiten nicht
unbedingt deckungsgleich. Kein Zufall, dass die Verbindung ausgerechnet
durch den Querkopf Saul Williams hergestellt wird. Für den 1972 geborenen
New Yorker Rapper, Dichter und Schauspieler, und Sprecher des
Kunstkollektivs „Afropunk“ verbinden sich Rappen und Hacken zu einer
poetisch-politischen Strategie.
Statt Slogans und ein schwarz-weißes Weltbild verkleidet in Musik vor sich
her zu tragen, hackt Williams lieber Wörter. Er lässt sich von ihrem
Gleichklang leiten: Hacken und Rappen wäre ein einfaches Beispiel, der
Titel seines aktuellen Albums „MartyrLoserKing“ erhöht das poetische Level
um ein Vielfaches.
Williams’ Debütalbum „Amethyst Rockstar“ (2000) wurde von Rick Rubin
produziert, sein drittes Album „The Inevitable Rise and Liberation of Niggy
Tardust!“ von Trent Reznor. Für sein nun erschienenes Werk
„MartyrLoserKing“ erledigt diesen Part Justin Warfield. Den fehlenden
Legendenstatus, wie ihn Rubin und Reznor haben, ersetzt Warfield mit einem
anspielungsreichen Klangtrip von HipHop bis Darkwave. „MartyrLoserKing“
erhält dadurch einen energiegeladenen, treibenden Sound, der amtlichem
HipHop genauso viel zu verdanken hat wie dem Breakcore der US-Band Rage
Against The Machine.
## Umweg Gedichtbände
Williams hat Philosophie und Schauspiel studiert und kam erst über den
Umweg über die Lyrik zur Musik. Neben den bisher erschienenen fünf Alben
hat er Gedichtbände veröffentlicht, zuletzt 2015 „US (a.)“. Und als
Schauspieler ist er ebenso erfolgreich: 1998 spielte er etwa die Hauptrolle
in dem preisgekrönten Spielfilm „Slam“.
Vor zwei Jahren verkörperte Williams im Broadway-Musical „Holler If Ya Hear
Me“ Tupac Shakur. Daneben beherrscht er auch die Kunstform des Bloggings.
Auf seinem Tumblr springt er mühelos von Walter Benjamin zu Comics, vom
Tor-Browser zu Transmenschen in Südostasien, von Ausschnitten aus seinen
Notizbüchern über historische Fotografien zum ausgestreckten Mittelfinger.
Auf seinem Debüt „Amethyst Rockstar“ hatte Williams mit „Coded Language�…
gleich auch eine poetische Regierungserklärung abgegeben. In ihr prangerte
er die Verlogenheit eines Rap-Biz an, das sich fröhlich „Keep it real“
zuruft, um im nächsten Reim von Mord und Vergewaltigung zu träumen.
Gleichzeitig stellte sich Williams in eine Traditionslinie, die neben
mythischen Figuren aller Religionen und Protestbewegungen von Che Guevara
bis Martin Luther King eine auffallende Anzahl an Heldinnen wie Emily
Dickinson oder Ayn Rand aufweist.
## Programmiercode-Poesie
Die Mehrdeutigkeit von „MartyrLoserKing“ macht diese Strategie erneut
geltend. Es geht Williams’ poetischen Aktivismus um das Spiel mit den
Codes: dem Code der Straße und der Tags aus der Graffiti, den Codes von Rap
und den Slogans der Bürgerrechtsbewegung. „MartyrLoserKing“ führt dieses
Prinzip schon im Titel. Saul Williams definiert Codes als Programmiercodes,
die digitale Kulturen am Laufen halten. Die Themen seiner Songs reichen von
einer dezidierten Überwachungskritik bis zum Hacking als Metapher
subversiver Strategien. „Homes / Drones / Poems / Drums“ heißt ein Track,
der auf den Dronenkrieg anspielt. Im trügerischen Gleichklang der Worte
entfaltet sich widerständiges Potenzial, das seine Kraft aus einer
ästhetischen Haltung zieht.
Das gilt auch für das Hacking, das gleich in mehreren Songs auftaucht:
„Hack into dietary sustenance-tradition vs. health / Hack into
comfort-compliance / Hack into the rebellious gene / Hack into
doctrine-capitalism in relation to free labor and slavery“ beginnt eine
schier endlose Liste der zu hackenden Dinge am Ende von „Bear/Coltan As
Cotton“. Coltan ist im Übrigen – eine weitere Dimension des Hackens – ein
wichtiges Mineral in der Computertechnik.
Auch in „Burundi“, einem Kommentar zu den globalen Bezügen der politischen
Lage in dem afrikanischen Staat, verwendet er dieses Schlagwort: „Hacker,
I’m a hacker / I’m a hacker in your hard drive“ heißt es an einer Stelle.
Und weiter: „Virus, I’m a virus / I’m a virus in your system“. Hacken i…
die zentrale Metapher des Albums. Hacken kann man nicht nur den Code der
Programme, sondern auch den der Sprache, indem man das poetische Potenzial
der Wörter auslotet.
Zuletzt heißt Hacken auch: die Dinge hinterfragen. Da wird Williams auch
einmal direkt. „Question your authority“ fordert er in „Burundi“. Davon
abgesehen zeigt „MartyrLoserKing“, dass künstlerischer Widerstand immer
einen ästhetischen Überschuss braucht. Plakative Parolen sind dazu in den
meisten Fällen ungeeignet. Außer man verschiebt ihre Bedeutung und spielt
mit den Assoziationen. Saul Williams wandelt sich vom Märtyrer zum
Verlierer zum König, vom Dichter zum Schauspieler zum Rapper. Und die immer
mehrdeutige Parole lautet: Hack the system!
13 Feb 2016
## AUTOREN
Elias Kreuzmair
## TAGS
New York
Afro-Punk
Afro-Punk
Digitalisierung
Björk
elektronische Musik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Afro-amerikanische Kunst in London: Als die Mauern Seele hatten
In der Tate Modern und im Barbican Arts Centre richten zwei Ausstellungen
den Blick auf afro-amerikanische Kunst und ihre Inspiration durch Jazz.
Rapkünstler Saul Williams in Berlin: Wenn die Menge wild wird
Mit guten Beats und einer ungewöhnlichen Video-Show zieht der Amerikaner
Saul Williams das Publikum im Frannz Club auf die Tanzfläche.
Die digitale Welt treibt Künstler um: Ein Gefühl des Unentrinnbaren
In Utrecht nehmen Künstler die Kontrollgesellschaft der neuen Medien und
sozialen Netzwerke aufs Korn: auf der Ausstellung „Hacking Habitat“.
Futuristische Elektrobeats: Von der Schöpfung der Mutanten
Was für ein Gesamtkunstwerk: Der venezolanische Produzent Arca und sein
mäanderndes neues Elektronik-Album „Mutant“.
Diskurs um elektronische Musik: Lass Asheville durchgeknallt bleiben
In den Black Mountains im US-Bundesstaat North Carolina findet jedes Jahr
im April das Moogfest, ein Festival der elektronischen Musik, statt
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.