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# taz.de -- Die digitale Welt treibt Künstler um: Ein Gefühl des Unentrinnbar…
> In Utrecht nehmen Künstler die Kontrollgesellschaft der neuen Medien und
> sozialen Netzwerke aufs Korn: auf der Ausstellung „Hacking Habitat“.
Bild: Stanza nennt seine Modellstadt aus Rechnern „Nemesis Machine – From M…
„Sie können uns nicht zwingen, das San-Bernardino-iPhone zu hacken.“ Der
Satz, mit dem Apple-Chef Tim Cook sich kürzlich weigerte, verschlüsselte
Daten für das FBI zu entsperren, hat es in sich. Das Betriebsgeheimnis des
umstrittenen Softwarekonzerns könnte uns vielleicht noch egal sein. Die
Gefahr für die informationelle Selbstbestimmung von Millionen von Usern
eher nicht. Der Streit, den Apple vor Gericht gewann (das FBI knackte das
iPhone aber doch), belegt, wie die einst subversive Tätigkeit von ein paar
Nerds zur zentralen Kategorie der (Netz-)Gesellschaft avanciert ist.
„Hacking Habitat“, eine internationale Kunstausstellung im niederländischen
Utrecht, verfolgt die zentrale Idee, dass „Hightechsysteme unser Leben
unter Kontrolle gebracht“ haben und zum zentralen Bestandteil unseres
alltäglichen Lebens geworden sind. Der Beweis dafür wird uns mit jeder
neuen App quasi frei Haus geliefert. Die künstlerische Aufarbeitung eines
sozialen Konfliktfeldes allererster Rangordnung war also mehr als
überfällig.
Die Utrechter Kuratorin Ine Gevers, Jahrgang 1960, ist eine Spezialistin
für Themen jenseits des Mainstreams, „Niet normaal“ hieß eine Ausstellung
von ihr 2010. Werke von 85 internationalen KünstlerInnen hat sie für ihr
jüngstes Projekt versammelt. Darunter Größen wie William Kentridge, Joseph
Beuys oder Harun Farocki.
## Angstthema schlechthin
Und wo ließe sich die Idee, dass wir einer allumfassenden
Kontrollgesellschaft ausgeliefert sind, besser visualisieren als in einem
Knast? Das Utrechter Gefängnis Wolvenplein, 1865 auf den Resten der alten
Stadtmauer Utrechts nach dem Vorbild von Jeremy Benthams legendärem
Zentralgefängnis erbaut und 2014 endgültig aufgegeben, ist der ideale
Schauplatz für Gevers’ Vorstellung von der alles beherrschenden Kraft des
„neuen Panoptikums“: dem unentrinnbaren Kreislauf der Netzwerke,
Systemprotokolle und Algorithmen.
Wie sehr die Verheißung einer neuen Utopie in Gestalt des Internets zum
Angstthema schlechthin geworden ist, zeigt sich, sobald man das Gefängnis
betritt. Der argentinische Künstler Eduardo Basualdo hat einen riesigen
schwarzen Ballon in der Form eines verschrumpelten Globus in das Foyer
gehängt. Das könnte die schwarze Negativform der unschuldigen weißen
Datenwolke sein, die uns digitale Schwerelosigkeit verspricht, in Wahrheit
aber überwacht.
So arbeitet man sich von Aram Bartholls Netzwerk „Dead Drops“ aus in die
Wand eingelassenen USB-Sticks zu den „Camera Birds“ des niederländischen
Duos Front 404 vor: Vögel, die statt eines Kopfes eine Kamera tragen. Jedes
Werk ist eingepfercht in die kaum drei Quadratmeter großen Zellen,
Stahlabort und Zellen-Sichtfenster inklusive.
## Modell einer Stadt
Überall wird sichtbar, wie sehr die Künstler das Entstehen der schönen
neuen Kontroll-Welt umtreibt. Ob man nun die „Nemesis Machine“ des
britischen Künstlers Stanza nimmt, mit der er die Gesamtheit der
Datenströme thematisiert: Solche aus Überwachungskameras, von
Wettermessungen oder dem Verkehrsaufkommen in London in Echtzeit überträgt
er in sein aus Computerbauteilen errichtetes Modell der Stadt.
Oder ob man sich von der Recherche seines Landsmanns Timo Arnall
faszinieren lässt. „Internet Machine“ heißt dessen sechsminütiger Kurzfi…
in dem er sich auf einen Streifzug durch das 65.700 Quadratmeter große
unterirdische Speicherzentrum der spanischen Telefónica in Alcalá, 35
Kilometer nordöstlich von Madrid, begibt.
## Back-up, dieselbetrieben
Die Bilder der riesigen Rechner oder der gelben, dieselbetriebenen
Back-up-Generatoren, die den Betrieb bei Stromausfall aufrechterhalten
sollen, destruieren lautlos, aber unaufdringlich den Mythos der Cloud, die
das Immaterielle der digitalen Welt suggeriert.
Das Problem von Gevers’ Ausstellung ist, dass sie mit der Metapher des
Gefängnisses und ihrer Warnung vor der „samtenen Diktatur“ dem
ambitionierten Parcours ein reichlich kulturpessimistisches Gefühl des
Unentrinnbaren unterlegt. Zumal die Beispiele für das, was sie in einer
eigenen Abteilung „Violence and its counterstrikes“ nennt, nicht gerade
überzeugend, um nicht zu sagen hilflos sind.
Die US-Künstlerin Susan Hiller hat in einem Raum mit Jukebox und Songbooks
eine „Die Gedanken sind frei“ betitelte Sammlung von Freiheitsliedern
zusammengetragen. Und das niederländische Kunstkollektiv Circus Engelbregt
will den Menschen mit Workshops wieder so etwas wie „Intuitieve
Mensbenadering – Intuitive menschliche Annäherung“ ermöglichen:
Antidigitaler Ringelpietz mit Anfassen gegen die NSA?
## Verbergen unter Pixeln
Überzeugender erscheint da noch das Projekt „Error404“ einer cleveren
Studentengruppe aus Utrecht. Mit dieser, nach der berühmten „Not
found“-Irrtumsmeldung im Internet benannten „Scrambler App“ können
Facebook-User die Texte und Bilder zu verpixelten, bunten Mosaiken
auflösen, von denen sie nicht wünschen, dass das Netzwerk sie
identifizieren kann. Nur der jeweilige Adressat kann sie mit der App wieder
lesbar machen. Von dieser Counter-Hack-Art könnte sich selbst der
vermeintlich große Freund der User, Apple, noch eine Scheibe abschneiden.
7 Apr 2016
## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Digitalisierung
Schwerpunkt Türkei
Axel Springer
New York
The Pirate Bay
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